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KULTUR/0942: Apokalypse später ... warten und hoffen auf bessere Zeiten (SB)




Einmal mehr fällt das Ende der Welt aus, doch schon das Warten darauf hat sich gelohnt. Natürlich nicht im Sinne eines Gewinns, der den Verlust einer grundstürzenden Veränderung aufwiegen könnte, aber wer kokettiert nicht gerne mit dem Gedanken, daß die Zukunft unbestimmt und das Ende nah ist. Als letztgültige Antwort auf die Mühen der Ebene, die sich vor Gipfeln erstreckt, die zu erklimmen desto weiter in die Ferne rückt, als ihre Sichtbarkeit dazu einlädt, haben Endzeiten stets den Reiz gehabt, allzu konkrete Schrecken in den Nimbus schicksalhafter Ungewißheit zu tauchen. Anstatt nach der letzten Party des Lebens verkatert aufzuwachen und eine neue Runde im Hamsterrad anzutreten das ganz und gar Andere zu erleben gibt zu Spekulationen über das Danach allen Anlaß.

So ist die Lust am Untergang nicht nur ein Medienhype, wie die vielen Stellungnahmen zur Auskunft berufener Experten vermuten lassen, die allen Ernstes und mit wissenschaftlicher Beweiskraft verkünden, daß das Ende eines 400jährigen Zyklus des Maya-Kalenders nicht als apokalyptisches Finale zu verstehen sei. Sie befriedigt auch das Bedürfnis, dem lebenslangen Verhängnis des Wartens und Hoffens zu entrinnen, auf daß endlich ein Anfang genommen werden kann, der nicht von den Irrtümern und Fehlern eigenen Scheiterns behaftet ist. Tabula rasa zu machen erfolgt stets in Hinblick auf die Neuaufstellung der Dinge, ist die dahinter aufscheinende Nichtigkeit doch zu fürchterlich, als daß man das im Wortsinn Untragbare zu konfrontieren wagte. Das Nachher folgt dem Vorher nicht auf den Fuß, es kehrt den kausalen Zwang gegen sich selbst, weil das Später die perspektivische Entfaltung des Wartens und Hoffens auf Antworten und Lösungen erst möglich macht. Mit letzteren die nächste Runde auf dem Karussell der Erlösungshoffnung anzutreten ist Sinn und Zweck von Fragen, die aus dem Katalog verfügbarer Antworten hervorgehen und damit jegliche Erkenntnis, die die selbstreferenzielle Fessel herrschender Systemlogik aufzuheben in der Lage wäre, von vornherein ausschließen.

Warum kleiner, wenn man es auch größer haben kann, scheint die Devise jener Finalität zu sein, über die im öffentlichen Diskurs so bemüht gescherzt wird, daß die chiliastische Erlösungshoffnung christlicher Tradition den Anspruch auf aufgeklärte Vernunft Lügen straft. Tatsächlich fällt der Apfel der esoterischen Hingabe an die kalendarische Ordnung einer Kultur, deren Nachfahren mit dem Elend des postkolonialen Erbes geschlagen sind, das die Raubzüge christlicher Konquistadoren zugunsten der zivilisatorischen Suprematie Europas begründete, nicht weit vom Stamm christlicher Endzeitvisionen. Gemeinsam ist beiden der freiwillige Verzicht darauf, die Gegenwart in ihrer Verheißung auf Zugriff und Kontrolle als unumstößlich determiniert und damit unbrückbar vergangen zu verwerfen, um eine Zukunft zu wagen, der die revolutionäre Überwindung des Bekannten immanent ist. Welche Erlösung wovon könnte dem zuteil werden, dessen Hände greifen, dessen Füße gehen, dessen Mund spricht und dessen Sinne nicht mehr nach der Devise "Mal Schauen" als kognitive Instanzen des Wartens und Hoffens fungieren?

Im apokalyptischen Probelauf nach Maßgabe einer Flaschenpost, die den düsteren Vorschein der Zukunft mit dem historischen Untergang ihrer Absender illustriert, negiert die kulturindustriell tausendfach als Spektakel der Lemminge inszenierte Faszination am Untergang den Mut zum Widerstand gegen eine Zerstörung, deren Folgen für Millionen Menschen längst katastrophale Realität sind. Was mit fataler Unbeirrbarkeit die Grundlagen allen Lebens oder zumindest des der Menschheit in Frage stellt, bedarf seiner esoterisch-religiösen Simulation schon deshalb, weil die ersehnte Erleichterung nicht anders als im Versprechen auf sie zu haben ist. Für die Hoffnung auf Erlösung ist die Verwirklichung des Paradieses belanglos, sie bescheidet sich mit der Aussicht darauf, von der Totalität des ultimativen Endes verschont zu bleiben. Die große Attraktivität der Erlösungsreligionen liegt darin, die Konstante aller Schicksalhaftigkeit, dem Wandel ohnmächtig unterworfen zu sein, anstatt ihn selbst zu vollziehen, nicht mit ungewissem Ausgang zu bestreiten, sondern sich von vornherein auf der Seite des Siegers zu wähnen.

Die Paulinische Trias "Glaube, Hoffnung. Liebe" verhilft zu dem guten Gefühl, daß alles irgendwie seine Richtigkeit hat, wenn man nur weiter wartet und hofft. So wärmt sich der Mensch an selbsterklärter Unmündigkeit, weil das Feuer ihrer Überwindung nichts so beläßt, wie es einmal war. Zu wagen, den herrschenden Verhältnissen ohne Gott und Teufel die Stirn zu bieten, läßt schlichtweg keinen Raum, der sich zwischen Wunsch und Wirklichkeit noch auftun könnte. Diesen Raum unter allen Umständen zu wahren, ja ihn zum Quell kultureller Entwicklung zu machen und als Herrschaft des Menschen über den Menschen zu konstituieren, dafür ist jede noch so schlechte Aussicht, und sei es die auf das Ende von allem und jedem, dem Ende aller Aussichten vorzuziehen.

21. Dezember 2012