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KULTUR/0950: Am neoliberalen Leistungsprimat gescheitert - Schavans Verdienste (SB)




Die Verteidiger der zurückgetretenen Bundesbildungsministerin Annette Schavans führen gerne ihre Leistungen im hochschulpolitschen Bereich an, um das vermeintliche Unrecht, mit den Plagiatsvorwürfen einer vor 33 Jahren verfaßten Promotionsarbeit konfrontiert zu werden, anzuprangern. Leistung ist für die CDU-Politikerin der zentrale Wert einer bildungspolitischen Konzeption, die angeblich sozial gerechter wäre, da sie nicht die Herkunft und das Vermögen der Eltern Studierender berücksichtige. Längst nachgewiesen ist jedoch, daß die soziale Selektivität der Hochschulreform des Bologna-Prozesses keineswegs geringer ist als zuvor, zumal die verringerten Studienzeiten eine noch höhere Verdichtung der Arbeitsintensität mit sich bringen. Dies benachteiligt Studentinnen und Studenten, die neben ihrer Ausbildung Lohnarbeit verrichten müssen, nicht nur, sondern führt zu einer erhöhten Rate an psychischen Belastungen unter ihnen.

Das Verdienst Schavans besteht im wesentlichen darin, die marktförmige Orientierung und Strukturierung der Hochschulen allen kritischen Einwänden zum Trotz vorangetrieben und durchgesetzt zu haben. Die Konkurrenz nicht nur zwischen den Hochschulen, sondern auch unter den Studierenden wurde verschärft zugunsten der Ausrichtung der Bildungspolitik auf die Ziele der Wirtschaft, die vor allem an paßförmig auf ihre Erfordernisse zugerichteten Arbeitskräften Interesse hat. Gleichzeitig wurden die Universitäten den Profitinteressen der Bildungsunternehmen geöffnet, so daß die akademische Ausbildung nicht nur von gesellschaftlicher Kritikfähigkeit und übergreifender Bildung verschont bleibende Marktsubjekte hervorbringt, sondern über Privatisierungsprozesse selbst zum Verwertungsinstrument wurde. Der Ausbau der Drittmittelabhängigkeit führte in Einzelfällen so weit, daß die Einrichtung von Ausbildungsgängen und die Inhalte des Curriculums vom Plazet der Geldgeber abhängig gemacht wurden.

Die das neoliberale Bildungswesen leitenden Konzepte wie "wissensbasierte Gesellschaft" und "lebenslanges Lernen" bedienen das Interesse an der Erarbeitung weitgehend durch Verwertbarkeit im Job vorformulierter Inhalte. Forschungsvorhaben, die etwa die Grundlagen kapitalistischer Vergesellschaftung in Frage stellen, werden mit dem Rechen des Hochschulrankings und anderer anwendungsorientierter Evaluationskriterien als ideologisches Unkraut der Tilgung durch die gar nicht so unsichtbare Hand des Marktes überantwortet. In Kollaboration mit den Stiftungen großer Wirtschaftskonzerne, allen voran des Medienkonzerns Bertelsmann, wurde die unternehmerische, nach Managementkriterien organisierte Hochschullandschaft zum Durchlauferhitzer für eine studentische Jugend umgebaut, die seit Beginn der manifesten Krise des Kapitals über ihre Zukunftsaussichten nicht verunsicherter sein könnte und daher leichte Beute für die Prediger alleinseligmachender Marktprinzipien sind.

Die obsessive Beurteilung und Reglementierung des Menschen nach Verhaltens- und Leistungskriterien ist Bestandteil seiner Zurichtung auf die Erfordernisse der mit dem Bologna-Prozeß EU-weit eröffneten Produktivitätsoffensive. Der durch das Sperrfeuer der Leistungsüberprüfungen gestählte Bachelor verschwendet keinen unnützen Gedanken mehr daran, daß der Bestand an verfügbarem menschlichen Wissen auf einer zivilisatorischen und humanistischen Entwicklung beruht, die niemals über den Horizont jener sozialdarwinistischen Konstitution hinausgelangt wäre, die im Homo oeconomicus ihren entwicklungsgeschichtlich regressiven Niederschlag findet, wenn sie von vornherein auf die Verabsolutierung des Konkurrenzprinzips beschränkt geblieben wäre. Das Eindampfen menschlichen Vermögens auf ein flexibel verfügbares Quantum an Leistungsfähigkeit, deren Verwertbarkeit dem Lohnabhängigen den Kniefall des Bittstellers abnötigt, um schließlich als gesichts- und sprachloses Humankapital in den Ziffern der Unternehmensbilanz aufzugehen, ist Ergebnis des Warencharakters einer Bildung, die subjektiven Eigensinn und sozialen Widerstand rückstandslos entsorgt.

Schavan durfte ihre Doktorarbeit noch in einer vom demokratischen und emanzipatorischen Aufbruch der sechziger Jahre bestimmten Hochschullandschaft verfassen. Weit schwerwiegender für die Beurteilung ihres politischen Wirkens als der Vorwurf des Plagiierens wiegt die affirmative Inbrunst und bürokratische Effizienz, mit der sie der Zerstörung auch nur der Erinnerung an humanere Entwürfe akademischer Entwicklung zugearbeitet hat. Was wie eine Flaschenpost aus jener Zeit an den Strand einer für nicht in Wert zu setzende Wissenschaften kaum noch fruchtbaren Bildungswüste gespült wurde, bekräftigt diesen Verlust. Den angeblichen bildungspolitischen Errungenschaften, die auf der Habenseite Schavans verbucht werden, steht in der breiten Debatte um das Schicksal der CDU-Politikerin eine läßliche Sünde gegenüber - so geht selbst mit ihrem Rücktritt die Kommodifizierung menschlicher Erkenntnis zu Lasten jener Subjektivität, die vollends zur Ressource fremdnütziger Zwecke zu machen das erklärte Ziel der "Wissensgesellschaft" und des "kognitiven Kapitalismus" ist.

11. Februar 2013