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KULTUR/0967: Mut zum Streit - Werner Pirker bleibt unvergessen (SB)


gezeichnetes Porträt - Grafik: © 2014 by Schattenblick

Werner Pirker
Grafik: © 2014 by Schattenblick

Mit Werner Pirker verliert die an schlagkräftigen Autoren nicht eben reiche Linke einen ihrer streitbarsten und wirkmächtigsten Journalisten und Kommentatoren. Nur wenige Tage nach dem traditionellen Besuch der Rosa-Luxemburg-Konferenz und der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde verstarb der Wiener in derjenigen Stadt, in der die Tageszeitung herausgegeben wird, mit der sein Name untrennbar verbunden ist. Zahlreiche von ihm verfaßte Kommentare, hin und wieder großformatige Hintergrundsanalysen insbesondere über die politischen Umstände des Endes der Sowjetunion, das er als Moskau-Korrespondent des ehemaligen KPÖ-Zentralorgans Volksstimme hautnah miterlebte, als auch seine Beiträge zum Schwarzen Kanal, der die blindwütige Irrationalität medialer Herrschaftsapologie aufs Korn nimmt, sorgten dafür, daß die junge Welt eine verbindliche Stimme antikapitalistischer und antiimperialistischer Kritik blieb und hoffentlich bleibt.

Insbesondere der Überfall der NATO auf Jugoslawien, aber auch die Eroberung des Iraks durch die USA und ihre Verbündeten schürten den Zorn, mit Hilfe dessen Werner die Vorwands- und Bezichtigungskonstrukte imperialistischer Aggression in wenigen Sätzen hochverdichteter Analyse zum Einsturz bringen konnte. Die Eleganz und Direktheit, mit der er zum Kern ansonsten undurchdringbar erscheinender Widerspruchskonstellationen vordrang, waren das Ergebnis der ganz persönlichen Auseinandersetzung mit den Zumutungen und Verächtlichkeiten herrschender Denk- und Sprachkontrolle. Werner fühlte sich persönlich betroffen vom historischen Scheitern des Kommunismus, er war der Überwindung der kapitalistischen Entfremdungs- und Unterwerfungslogik mit jeder Faser seines Seins verpflichtet und formte sein schreiberisches Können daher zu einer scharfen Klinge, die das Gewebe täglicher Irreführung zuverlässig zu durchtrennen wußte.

Die hocheffiziente Indoktrination kulturindustrieller Mimikry in ihr Gegenteil verkehren und dies auch Menschen vermitteln zu können, die sich nicht offensiv mit den Einflüsterungen und Skandalisierungen der Konsens- und Akzeptanzmaschinerie auseinandersetzen, ist keine Kleinigkeit. Auf diesem Feld herrscht alles andere als Waffengleichheit, was linke Kommentatoren häufig dazu nötigt, weit mehr Aufwand bei der Widerlegung herrschaftskompatibler Postulate zu betreiben, als es deren Urheber kostet, die mit der multimedialen Wucht kommerzieller wie staatlicher Massenmedien gezogene Furche zweckdienlicher Auffassungen und Meinungen zu beackern.

Als Linker in einer antikommunistischen Medienlandschaft mit dem Rücken zur Wand zu stehen, dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, daß Werner Pirker die Kunst entwickelte, sich quasi im Infight auf dem engem Raum weniger Absätze gegen das Flächenbombardement der Konzernmedien und Staatssender zu behaupten. Dabei vermied er die Emphase einer Empörung, die wie jede Moral allzuleicht ins Fahrwasser gegenteiliger Interessen gelangen kann. Der Sprachduktus seiner Texte wirkte nüchtern und kompakt, gewürzt mit einem Quentchen Ironie, die die in öder Absehbarkeit immer gleiche Legitimationsformeln durchdeklinierende Herrschaftsrhetorik mit jenem feinen Spott überzieht, dessen es bedarf, um nicht an intellektueller Tieffliegerei Schaden zu nehmen. Wo die unerläßliche Auseinandersetzung mit staats- und kapitalkonformer Ideologie die Flucht in kulturbeflissene Nabelschau oder die zynische Adaption einmal zuviel erlittener Demütigungen produziert, blieb Werner im besten Sinne dünnhäutig und empfindsam. Seinen Stellungnahmen war durchaus zu entnehmen, daß ihn die menschenfeindliche Mißachtung simpler Lebenserfordernisse und die kalte Logik des Herrschens um jeden Preis traf. Um so entschiedener wendete er diesen Affront gegen seine Urheber und enthüllte deren Motivlagen und Interessen mit dem Seziermesser dialektisch-materialistischen Denkens.

Die daran geschulte Fähigkeit, gesellschaftliche Widersprüche nicht etwa zu harmonisieren, sondern auf der Seite der ihrer Stimme und ihres Lebens beraubten Schwachen Position zu beziehen, brachte Werner zahlreiche Feinde ein. Insbesondere die antizionistische Kritik am Staat Israel war einer Linken ein Dorn im Auge, die auf dem deutschen Sonderweg der israelischen Ausnahme von der antinationalen Regel versucht, noch verbliebene Potentiale der Imperialismuskritik endgültig zu entsorgen. Wenn der herrschenden Interessen unverträgliche Widerstand die soziale Frage aus den Augen verliert und sich in den Spiegelsälen identitätspolitischer, poststrukturalistischer und projektorientierter Ambitionen verläuft, um vom transformativen Charakter beruflicher Karrieren nicht zu sprechen, kann es nicht ausbleiben, daß klassenkämpferische und antiimperialistische Positionen averse Reaktionen hervorrufen. Nicht mehr produktiv miteinander diskutieren zu können, sondern auf ausgrenzende Weise gegeneinander zu agieren, läßt diejenigen triumphieren, denen der Brandgeruch der Revolution seit Jahrhunderten den Angstschweiß auf die Stirn treibt.

Position zu beziehen und sie auch beizubehalten, wenn die Hoffnung auf Überleben und Erfolg dagegen spricht, wenn Liebesentzug droht und gesellschaftliche Anerkennung versagt wird, ist die Stärke des namen- und gesichtslosen Subjekts im Kampf gegen die apparative und instrumentelle Übermacht von Staat und Kapital. Werner Pirker hat um diese Stärke gerungen und dabei eine Fähigkeit zur schreiberischen Konfrontation mit der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit erlangt, die an keiner Journalismusschule und an keiner Medienakademie zu erlernen ist. Ohne den Mut, die systematisch und absichtsvoll eng gezogenen Grenzen menschlicher Emanzipation zu überschreiten, also das angeblich Unmögliche zu wagen, bleibt die Verwirklichung des Kommunismus eine Hoffnung, die dazu einlädt, auf ihr herumzutreten, um die letzten Reste der verlorengegangenen Erinnerung zu tilgen. Werner hingegen war - und ist in Gestalt derjenigen, denen er ein Freund und Ratgeber war -, auf dem Weg, aus der erlittenen Niederlage die der Zukunft zugewandte Erkenntnis zu ziehen, daß es nichts Schlimmeres gibt, als immer wieder die gleichen Fehler zu machen.


Fußnote:

INTERVIEW/160: Konsequente Sichten, ein Gespräch mit Werner Pirker (SB)
Interview am 12. Januar 2013 in Berlin-Schöneberg
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0160.html


17. Januar 2014