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KULTUR/0969: Nach der Lanz-Petition ... den massenmedialen Gleichschritt aus dem Takt bringen (SB)




Mit der Einstellung der Internet-Petition "Lanz raus aus meinem Rundfunkbeitrag" beim Stand von über 230.000 Unterschriften ist das Ärgernis, das das gegen die Meinungsdiktate der öffentlich-rechtlichen Sender aufbegehrende Publikum in den Augen zahlreicher Kommentatoren darstellt, nicht vom Tisch. Deren Reaktionen auf den Versuch der Zuschauerinnen und Zuschauer, den ZDF-Moderator Markus Lanz wegen seines anmaßenden Umgangs mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht vom Bildschirm des Mainzer Senders zu verbannen, ließen ein profundes berufsständisches Interesse an der Aufrechterhaltung eigener Deutungsmacht erkennen. Daß die Damen und Herren des journalistischen Gewerbes noch nicht mitbekommen haben, wie sehr sie zu Bütteln der in Staat und Kapital verkörperten Interessen geworden sind, ist allerdings nur sehr bedingt als Berufsblindheit zu bezeichnen.

Wer den in den Konzernmedien und Staatssendern vorherrschenden Tenor neoliberaler Konditionierung und werteuniversalistischer Selbstgerechtigkeit seit dem Anschluß der DDR an die BRD verfolgt hat, kommt nicht umhin, die systematische Durchsetzung einer neofeudalen Gesellschafts- und Eigentumsordnung zu vermuten. Ob in den Auschwitz für imperialistische Zwecke mißbrauchenden Elogen auf den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, der stereotypen Überzeichnung mittelloser Menschen als Sozialschmarotzer, dem rassistischen Schüren fremdenfeindlicher Ressentiments, der Rechtfertigung nationalistischer Emphase als angeblich positivem Patriotismus, dem Ausspielen deutscher Lohnabhängiger gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter anderer EU-Staaten, der Dämonisierung nahöstlicher Potentaten zum Zwecke der Kriegsvorbereitung oder der Verharmlosung neofaschistischer Sturmtruppen als ukrainische Freiheitskämpfer, immer wieder dienen sich hochdotierte PR-Kompanien staats- und kapitalkonformen Zwecken mit einem publizistischen Gleichschritt an, der alle davon abweichenden Positionen mit der schieren Trägheit massenmedialer Einfalt überrollt.

Im Falle der Talkshow, bei der Markus Lanz die Linken-Politikerin einer rechtslastigen EU-Gegnerschaft überführen wollte, handelt es sich mithin um ein nur in der Form, nicht aber vom Inhalt her durchschnittliches Produkt hegemionaler Ideologieproduktion. Daß der ZDF-Moderator zusammen mit dem Stern-Journalisten Hans-Ulrich Jörges versuchte, das nach ihm benannte Talkshow-Format in ein Tribunal gegen die führende Exponentin der linken Opposition zu verwandeln, ist bestenfalls ein Ärgernis im Reigen des alltäglichen Spektakels. Als sich Thomas Wald im Juli 2012 die Linken-Vorsitzende Katja Kipping im ZDF-Sommerinterview zur Brust nahm [1], konnte auch ein nicht ihrer Partei zuneigender Zuschauer den Eindruck bekommen, einem regelrechten Verhör beizuwohnen. Wie unbedarft öffentlich-rechtliche Zuchtmeister mitunter an ihre Aufgabe gehen, dem Publikum anhand eines bewährten Feindbildes die Welt in gut und böse zu sortieren, zeigte sich in dem gescheiterten Versuch des WDR-Chefredakteurs Jörg Schönenborn [2], Rußlands Präsidenten Wladimir Putin auf den Zahn zu fühlen und dabei auf der eigenen Apologie auszurutschen, Deutschland und die USA seien von politischer Repression freie Demokratien.

Kurz gesagt, an Anlässen, sich über das systematische Austreiben jeder Kritikfähigkeit in personalisierten und entpolitisierten Talkshows zu erregen, hat das deutsche Fernsehpublikum auch oberhalb Konkurrenz und Sozialneid auf die Spitze menschlicher Verächtlichkeit treibender TV-Labors wie Big Brother oder Dschungelcamp keinen Mangel. In einem Fall, wo es nicht bei bloßen Meinungsbekundungen in den Kommentarspalten der Sender und Zeitungen bleibt, sondern zur plebiszitären Maßnahme einer Petition gegriffen wird, dann mit allerlei Injurien ob dieser Überschreitung des konsumistischen Stillhaltegebots attackiert zu werden, könnte den herrschaftlichen Impetus journalistischer Funktionseliten nicht besser belegen. Wenn es Kritikwürdiges an der Aktion gab, dann die Substitution politischen Protestes durch den Clicktivism virtueller Internet-Aktivistinnen und -Aktivisten, die als ferne Erben der "Enteignet Springer"-Kampagne ihrerseits Zeugnis von der erfolgreichen Domestizierung radikalen Protestes ablegen.

Wenn also ein Josef Joffe, seines Zeichens Zeit-Mitherausgeber und neokonservativer Kriegstreiber aus Passion wie Überzeugung - siehe etwa "Krieg als Vorsorgeprinzip" [3] - den Publikumsprotest mit den Worten kommentiert: "In analogen Zeiten hieß es 'Kauft nicht beim Juden', heute ist die Verwünschungskultur digital" [4], dann ist das nicht nur eine Verharmlosung der Judenverfolgung durch die Nazis, sondern repräsentiert einen argumentativen Notstand, in dem sich das ganze intellektuelle Elend herrschaftlicher Ideologieproduktion äußert. Nicht der sogenannte Wutbürger, der als Kreation des Spiegels auf jede Form bürgerlichen Aufbegehrens losgelassen wurde, das industrielle Großprojekte vom Schlage S 21 verhindern könnte, sondern die dunkle Erinnerung an den Kommunismus treibt einen Joffe dazu, ans Eingemachte des bei seiner Verwendung durch den linken Gegner postwendend skandalisierten NS-Vergleichs zu greifen.

Mit den Kanonen der Meinungsmacht auf eine parlamentarische Linke zu schießen, um ihr Beine zu machen, nicht doch noch vom Weg der Salon- und Regierungsfähigkeit abzuweichen, ist das probate Mittel der Konzernmedien, die Interessen ihrer Eigner und Werbekunden als objektive Berichterstattung zu ummänteln. Die Diffamierung antiimperialistischer Restbestände als antisemitische Gesinnung gehört zum kleinen Einmaleins des demagogischen Antikommunismus, dessen Handschrift auch im Verhalten des Moderators Lanz und seines Gastes Jörges gegenüber Sahra Wagenknecht zu erkennen war. Wenn der Frontverlauf des Sozialkampfes unversehens im ZDF-Studio sichtbar wird, dann könnte das beim Publikum auch zu einer Erkenntnis gesellschaftlicher Machtkonstellationen führen, die sich nicht durch den Rausschmiß eines Moderators rückgängig machen läßt. So war die Petition ein guter Anlaß zum Entfachen einer Debatte um die massenmediale Meinungshoheit, die im besten Falle gerade erst beginnt, anstatt von den in ihrer Saturiertheit aufgescheuchten Medienprofis beerdigt zu werden.


Fußnoten:

[1] PROPAGANDA/1453: Ein Interview als Verhör ... Katja Kipping unter ZDF-Inquisition (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1453.html

[2] REPRESSION/1485: Zivilgesellschaft in Gefahr? Warum in die Ferne schweifen ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1485.html

[3] http://www.zeit.de/2009/37/Afghanistan/komplettansicht

[4] http://www.deutschlandfunk.de/publikumsmobbing-empoerung-zweiter-ordnung.761.de.html?dram:article_id=276399