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KULTUR/1001: Friedenspreis - im Irrgarten der Scheinwidersprüche (SB)



Man könnte die Veranstaltung einen - widerspruchsfreien - Feldgottesdienst der Zivilgesellschaft nennen, die sich entschlossen gegen neue und alte Rassisten, Nationalisten und Fremdenfeinde in Stellung bringt. [1]

Mit martialischen Ritualen, in denen zum Feind erklärt wird, wer dem eigenen Willen im Wege steht, scheint sich dieser Kritiker an der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2016 an die Autorin Carolin Emcke auszukennen. Thomas Schmid hat in der einst von ihm herausgegebenen Tageszeitung Die Welt eigentlich nur eins an der Wahl der diesjährigen Preisträgerin auszusetzen - in der Frankfurter Paulskirche waren sich alle darin einig, Gutes und Richtiges gesagt, gehört und getan zu haben. Ein solches "Gutmenschen-Treffen" kann keine Gnade unter den Augen dieser Edelfeder finden. Seine Quintessenz "Jeder kriegt den Preisträger, den er verdient" verrät, daß man sich nur ungerne beim Marsch durch die Institutionen überholen läßt. Wer es vom Revolutionären Kampf, den er gemeinsam mit Joseph Fischer führte, in die oberen Etagen nationalkonservativer Publizistik geschafft hat, der wittert Unlauteres insbesondere dort, wo es menschenrechtlich zur Sache geht.

Den Unternehmensgrundsätzen Axel Springers verpflichtet, für die er selbst mit Text und Bild wirbt [2], kommt Schmid allerdings nicht umhin, der Preisträgerin die politische und moralische Korrektheit ihres humanistischen und demokratischen Anliegens zu attestieren. "Das Ärgerliche an Carolin Emckes Interventionen" sei aber, "dass sich die Autorin keineswegs wagemutig am Rande der Gesellschaft und ihrer Diskurse befindet. Im Gegenteil: Sie sitzt mittendrin, nicht erst seit gestern." Schmid greift zu einer Volte, die mehr mit seiner eigenen, offensichtlich nicht vollends überwundenen Vergangenheit als dem angeblichen Anspruch Emckes, sich in besonderer Weise zu exponieren, zu tun hat. Da er ihr inhaltlich nichts anderes anlasten kann, als daß sie keine Antwort auf die Frage gibt, woher der Haß gegen von der Mehrheitsnorm abweichende Menschen kommt, unterstellt der an sie gerichtete Vorwurf eines "konformistischen Avantgardismus" nichts anderes als eine opportunistische Anbiederei an den zumindest staatsoffiziös vorherrschenden Konsens, auf dem Boden des Grundgesetzes für liberale und humanitäre Werte einzutreten.

Als wolle er zur Ehrenrettung am sozialrevolutionären Anspruch gescheiterter und darüber weise gewordener Ex-Linker antreten, greift Schmid die apologetische These von den Konformisten des Andersseins auf, die ein ebenfalls rundum erneuerter Norbert Bolz 1999 aufgestellt hat. Doch von welcher Position aus argumentieren die organischen Intellektuellen des neoliberalen Kapitalismus, wenn sie den Exponenten freiheitlich-menschenrechtlicher Werte unterstellen, Scheinwidersprüche aufzubauen, um sich desto bequemer in den herrschenden Verhältnissen einzurichten? Wie die gezielte Abwertung des "Gutmenschen" verrät, die vorzugsweise neurechte Postillen an den Befürwortern der freizügigen Aufnahme von Kriegsflüchtlingen, der Gewährleistung angemessener Sozialleistungen oder der Anerkennung multipler Geschlechtsidentitäten vollziehen, wird hier mit dem Vokabular jener Verächtlichkeit kokettiert, das in den Salons des immer unverhohlener das eigene Klasseninteresse gegen die Armen und Abgehängten durchsetzenden Bürgertums gang und gäbe ist. Minoritäre Positionen emanzipatorischer und linker Art als durchsichtigen Versuch des demonstrativen Andersseins bei angeblich ungebrochener Zugehörigkeit zum politischen Mainstream zu diffamieren verortet die Urheber dieses Anwurfs folgerichtig im Lager einer Rechten, die überall dort Kulturmarxismus wittert, wo sie nicht selbst den Ton angibt.

Der Vorwurf, lediglich den schönen Schein hehrer Werte im rituellen Abfeiern einer Preisverleihung zu illuminieren, aber nicht an den Ursachen von Rassismus, Homophobie und Chauvinismus zu rühren, geht mithin postwendend an den Urheber zurück. Mit keinem Wort versucht sich Schmid an einer substantiellen Kritik der Positionen Emckes, würde er sich dabei doch ins Fleisch des eigenen publizistischen Credos schneiden. Derart ambivalent zwischen dem Ressentiment gegen "Gutmenschen" und der Anerkennung ihrer konstitutionellen Grundsätze changierend, erweist sich seine Kritik als ihrerseits durchsichtiger Versuch, den Kulturkrieg Pegidas und der AfD aus der sicheren Warte desjenigen aufzumunitionieren, der klammheimlich zündelt und seine Hände in Unschuld wäscht.

Dabei wäre es für einen erfahrenen Aktivisten und Publizisten wie Thomas Schmid ein leichtes gewesen, die Fallstricke und Untiefen des politischen Engagements der Preisträgerin beim Namen zu nennen. So fehlt ihrer Rede jeder Verweis auf die materialistische Genese des von ihr ausführlich zum gesellschaftlichen Problem erhobenen Hasses als auch auf die Widersprüchlichkeit eines humanitären Interventionismus, der blank zieht, wenn seine Kriege dem eigenen geostrategischen Kalkül entsprechen, und mit dem Vorwurf kriegerischer Aggression schnell bei der Hand ist, wenn andere Staaten seinen Interessen im Wege stehen. Allein die Mahnung an die anwesenden politischen Repräsentanten, daß es einer wertebasierten Außenpolitik schlechterdings unmöglich sein müßte, mit den Regierungen Saudi-Arabiens oder der Türkei gemeinsame Sache zu machen, hätte die Preisträgerin jeden Verdachts, sich an die wunden Punkte deutscher Regierungspolitik nicht heranzuwagen, enthoben.

So kompromißlos Emcke für die Menschenrechte eintritt, so läßt ihre Kritik am realpolitischen Stand der Dinge zu wünschen übrig. Der Grundrechte aushöhlende Ausbau staatlicher Repression, die Ausplünderung Griechenlands im Namen deutscher EU-Hegemonie, die unzureichenden Maßnahmen gegen den im Globalen Süden Hunger und Not auslösenden Klimawandel, die von deutschen Unternehmen und Investoren weltweit betriebene Ausbeutung durch Arbeit - das und vieles mehr läßt die von ihr betonte Voraussetzungs- und Bedingungslosigkeit der Inanspruchnahme menschenrechtlichen Schutzes bestenfalls als gut gemeinte Mahnung und schlimmstenfalls als Handreichung für den deutschen Imperialismus erkennen.

Sich vor versammeltem Publikum als Fußballfan zu outen, als der sie nicht auf die Idee käme, den Fans des gegnerischen Vereins das Recht auf Versammlungsfreiheit zu nehmen [3], ist ein überaus artiges Beispiel für grundrechtskonformes Konfliktmanagement. Wie also der immer bedrohlicher aufmarschierenden Reaktion Paroli bieten? Der staatsautoritäre Umbau der Bundesrepublik ist in vollem Gange nicht zuletzt, weil Pegida und AfD in Politik und Medien sehr viel mehr Kredit erhalten als eine Linke, die beim Kampf gegen den Faschismus auch dessen Verankerung im Kapitalismus nicht vergißt. Wenn Schmid in seiner Kritik an der Preisträgerin ausschließlich von der Sorge umgetrieben wird, "völkisch" eingestellte Bürgerinnen und Bürger nicht als Kollektiv zu verurteilen, demonstriert er eben dies. Beispielsweise zu kritisieren, daß türkische und kurdische Gegner Erdogans in der Bundesrepublik politischer Verfolgung ausgesetzt sind, hätte Emcke wie Schmid gut zu Gesicht gestanden. Indem sich beide freihalten davon, den Finger in wirklich schmerzhafte Wunden zu legen, legen sie beredtes Zeugnis davon ab, worauf sich Menschen stützen, die meinen, dem Gewaltmonopol des Staates mit Grund- und Menschenrechten Schranken setzen zu können.


Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article158988723/Jeder-kriegt-den-Preistraeger-den-er-verdient.html

[2] http://nachhaltigkeit.axelspringer.de/de/grundsaetze/unternehmensgrundsaetze.html

[3] http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/1244997/

24. Oktober 2016


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