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KULTUR/1012: Walser, Augstein, Höcke ... nur ein fehlgeleiteter Vergleich? (SB)



Der AfD-Politiker Björn Höcke, der eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" fordert, rennt damit bei vielen Bundesbürgern offene Türen ein. Doch neu ist der Versuch, die als moralisch niederdrückend empfundene Last der jüngeren deutschen Vergangenheit endgültig im Fach für erledigte Vorgänge abzulegen, um künftig ganz unbeschwert imperialistischen Vollzug melden zu können, ganz und gar nicht. So erinnerte Otto Köhler in der jungen Welt [1] anläßlich Höckes vielfach kritisiertem Auftritt am 17. Januar in Dresden daran, daß Martin Walser bereits im Oktober 1998 in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche glaubte, sich gegen die "Dauerrepräsentation unserer Schande" wehren zu müssen. Kein geringerer als der damalige Spiegel-Verleger Rudolf Augstein nahm ihn gegen die anschließend aufgekommene Kritik in Schutz, was Köhler zu der Überschrift "In diesem Bunde der Dritte - Walser, Augstein, Höcke" veranlaßte.

So verwarf Augstein den vom US-Architekten Peter Eisenman vorgelegten Entwurf für eine Holocaustgedenkstätte im repräsentativen Zentrum Berlins als "eine Verhöhnung des entsetzlichen Grauens und eine Absage an die allmählich wiedergewonnene Souveränität unseres Landes. Man kann uns nicht von außen diktieren, wie wir unsere neue Hauptstadt in Erinnerung an die Vergangenheit gestalten" [2], so Augsteins Vereinnahmung aller Bundesbürger gegen einen Entscheidungsprozeß, den als "Diktat" zu bezeichnen vergessen macht, daß es einer prinzipiellen Bereitschaft bedarf, sich dieser angeblichen Aufoktroyierung eines politischen Gedenkens aus welchen Gründen auch immer zu beugen. Was hätte wohl geschehen können, wenn die Bundesrepublik, wie von Augstein verlangt, auf eine andere Form des Gedenkens bestanden hätte? Hier alternativlose Sachzwänge geltend zu machen erinnert daran, daß der Blick von den Kommandohöhen stets ausschließt, die Bevölkerung könne etwas anderes tun denn als Verfügungsmasse des eigenen Willens zu fungieren.

Das Holocaust-Mahnmal in der Nähe des Brandenburger Tores war damals noch in der Planungsphase. Sein Bau sollte gut ein halbes Jahr später im Bundestag beschlossen werden. Während die Bomben der NATO unter Beteiligung der Bundeswehr auf ein Jugoslawien fielen, dessen Bevölkerung zu den erbittertsten Gegnern des Hitlerfaschismus zählte und ihren Widerstand gegen die Herrschaft von Wehrmacht und SS mit einem hohen Blutzoll bezahlen mußte, beschlossen die Abgeordneten den Bau des Mahnmals mit großer Mehrheit.

Augstein griff in seinem Kommentar den von Walser verwendeten Vorwurf der "Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken" in Form einer Philippika gegen die vermeintlichen Zwangslagen auf, in die Deutschland durch die Mahnmalsdebatte geraten wäre. Prognostizierte Walser, anläßlich der Diskussion um das Holocaustdenkmal in Berlin könne "die Nachwelt einmal nachlesen, was Leute anrichteten, die sich für das Gewissen von anderen verantwortlich fühlten", nämlich die "Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum" und die "Monumentalisierung der Schande" [2], so deutete Augstein den Vorgang ganz konkret als Beschneidung nun endlich wieder anwachsender nationaler Handlungsmacht und nannte die dafür Verantwortlichen auf leicht dechiffrierbare Weise beim Namen:

"Nun soll in der Mitte der wiedergewonnenen Hauptstadt Berlin ein Mahnmal an unsere fortwährende Schande erinnern. Anderen Nationen wäre ein solcher Umgang mit ihrer Vergangenheit fremd. Man ahnt, daß dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist. Man wird es aber nicht wagen, so sehr die Muskeln auch schwellen, mit Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand, die Mitte Berlins freizuhalten von solch einer Monstrosität." [3]

Den Antisemitismus, den er, durch das Mahnmal provoziert, bei anderen verortete, nährte Augstein zumindest mittelbar selbst, indem er nahelegte, daß die genannten Akteure die damals von NS-Zwangsarbeitern erhobenen Entschädigungsklagen gegen diejenigen Unternehmen, die von der Ausbeutung und Vernichtung durch Arbeit profitierten, vor ihren ganz eigennützigen Karren spannten. Dem von Walser und ihm erhobenen Vorwurf der Instrumentalisierung des Holocausgedenkens lag damals in erster Linie die vermeintliche Erpreßbarkeit der Bundesregierung und deutscher Unternehmen zugrunde, mit moralischen Argumenten nicht nur zur Kasse gebeten, sondern auch in der eigenen Souveränität beschränkt zu werden.

Worauf diese hinauslief, zeigte sich nur wenig später, als der rotgrüne Außenminister Joseph Fischer die Parole "Nie wieder Auschwitz! Nie wieder Krieg" in Gestalt einer sogenannten humanitären Intervention kontrafaktische Wirklichkeit werden ließ. Indem Deutschland zum dritten Mal innerhalb eines Jahrhunderts Jugoslawien mit Krieg überzog und sich dabei brüstete, nur dem Guten und Gerechten zu dienen, kam es zu einer Instrumentalisierung des Holocaustes, gegen die der Spiegel zumindest insofern keine Einwände geltend machte, als er die jugoslawischen Sezessionskriege von Anfang an mit aggressivem journalistischen Sperrfeuer gegen die Bundesrepublik Jugoslawien und ihren Präsident Slobodan Milosevic angeheizt hatte.

Wenn Jakob Augstein seinen rechtlichen Vater - sein leiblicher Vater ist Martin Walser - nun in einer Kolumne des Spiegel [4] davor in Schutz nimmt, von dem rechtsradikalen Publizisten Götz Kubitscheck und dem Stuttgarter AfD-Chef Jörg Meuthen als Kronzeuge für die vermeintlich lauteren Absichten Höckes vereinnahmt zu werden, dann kann der Versuch, Rudolf Augstein als Mitglied der "Generation der Täter, die an der Schuld buchstäblich zerbrochen ist", gegen rechtes Gedankengut abzugrenzen, nicht recht überzeugen. Zweifellos beruft sich Höcke bei dem Versuch der Exkulpation seiner Äußerung "Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat", auf die von vornherein angelegte Doppeldeutigkeit dieser Worte. Doch der weitere Kontext seiner Rede legt mit geradezu zwingender Überzeugungskraft nahe, daß er gegen die angebliche Schande des Denkmals und nicht des von ihm symbolisierten Massenmordes an den europäischen Juden zu Felde zieht.

Der "alte deutsche Opfermythos", den Jakob Augstein Höcke anlastet, ist allerdings auch in Rudolf Augsteins wie Martin Walsers Stellungnahmen präsent. Wo Höcke erfolgreich das verbreitete Unbehagen in Kauf nimmt, auch 70 Jahre nach Ende des NS-Staates mit den damals angerichteten Greueltaten konfrontiert zu werden, wehrten sich diese beiden Meinungsführer der alten Bundesrepublik nicht minder dagegen, von einer Schuld belästigt zu werden, die sie nicht leugneten, aber als moralische Hypothek ohne Verfallsdatum beklagten. Sich darüber zu beschweren, von den Hinterbliebenen jüdischer wie anderer NS-Opfer weiterhin in die Pflicht eines Schuldendienstes genommen zu werden, für den man selbst nicht ursächlich verantwortlich sei, und dies mit dem Anspruch auf nationale Handlungsfähigkeit zu verknüpfen, mahnt die Kontinuität eines deutschen Imperialismus an, den in aller Konsequenz auszuleben man nicht mehr gehindert werden solle.

Was völkischen Rechten wie Höcke oder Kubitschek zu Recht als nazistisches Gedankengut attestiert wird, ist in der Klage über die Schande eines Deutschlands, dessen angeblich notwendige Normalisierung zu einem starken Akteur uneingeschränkter Souveränität noch ausstehe, als positiv vollzogene Identifikation mit nämlicher Nation zumindest ideologisch angelegt. Warum nicht dazu stehen, daß die eigenen Großväter Monstrositäten aller Art begangen haben, und dies zum Anlaß nehmen, faschistischen Entwicklungen und ihrer gesellschaftlichen Ordnung, ihrem bürokratischen Vollzug und ihrer technokratischen Logik eine Absage zu erteilen? Ist es der radikalen Linken seit jeher antifaschistische Verpflichtung, Faschismus und Kapitalismus zusammenzudenken, so wird gerade diese Verbindung von den bürgerlichen Eliten in Staat und Gesellschaft aus naheliegenden Gründen ins Abseits ideologischer Verirrung verwiesen.

Heute, da sich die Neue Rechte in Deutschland durch den Trumpismus als einer Ideologie der rücksichtslosen Tat und des unhinterfragbaren Willens ermutigt fühlt, der Barbarei sozialdarwinistischer und rassistischer Unterwerfung immer unverhohlener das Wort zu reden, ist die präzise Analyse und eindeutige Kritik herrschender Gewaltverhältnisse auch in Hinsicht auf die zeitgemäß moderierte Wiederkehr dessen, was man regierungsoffiziell und geschichtspolitisch zu bekämpfen behauptet, geboten. Einem Gedenken an die Verbrechen des Hitlerfaschismus, das die Grausamkeiten des neoliberalen und globalisierten Kapitalismus, ob klammheimlich oder ganz offen, legitimiert, ist keine Moral gewachsen, die dem von AfD-Politikern wie Höcke gerne angeprangerten "Schuldkult" auch noch Nahrung gibt.

Deren Unterstellung, die biodeutsche Bevölkerung sei quasi auf kultische Weise einer Doktrin verfallen, die sie niederdrückt und den Interessen fremder Kräfte ausliefert, ist nichts anderes als der xte Versuch, die konkrete Unterwerfung der Menschen unter den Primat einer Wertproduktion zu verschleiern, die desto besser funktioniert, je mehr die Realität ihrer Eigentumsordnung von der Ideologie nationaler Zugehörigkeit und der dazugehörigen Feindbildproduktion überlagert wird. Gegen eine derart in ihrer zentralen Anmaßung vernebelte Klassenherrschaft anzukämpfen gelingt am besten Menschen, die sich keiner Volkszugehörigkeit vergewissern müssen, weil sie sich im Kern dieses Streites nicht von anderen Menschen unterscheiden. Sich in einen, wie es die AfD und die Neue Rechte, die verstärkt in die Reihen der aufstrebenden Rechtspartei drängt, verlangen, für ethnisch und kulturell homogen erklärten Volkskörper einzugliedern, um an dem zugewiesenen Platz Wohlstand und Stärke der Nation zu mehren, ist ein Programm für Ausbeutung und Unterdrückung, für sozialen Krieg und ökologische Zerstörung.


Fußnoten:

[1] http://www.jungewelt.de/2017/01-20/038.php

[2] http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/sixcms/media.php/1290/1998_walser.pdf

[3] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7085973.html

[4] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-und-npd-hoecke-zeigt-gefaehrlichkeit-der-afd-kolumne-augstein-a-1130720.html

27. Januar 2017


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