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KULTUR/1029: Kramp-Karrenbauer - die Maske fällt ... (SB)



Auch im Fasching gehen Witze stets zu Lasten derjenigen, die mit ihren Schwächen und Merkwürdigkeiten zur allgemeinen Erheiterung herhalten müssen. In einer gesellschaftlich unterlegenen Position heißt es, gute Mine zum bösen Spiel zu machen, will man nicht den Anwurf kassieren, keinen Spaß zu verstehen. Der vermeintliche Ausnahmezustand des Karnevals ändert nichts daran, daß die mit närrischem Frohsinn vorgetragenen Angriffe virulente soziale Konflikte abbilden, die an dieser Stelle nicht etwa final ausgetragen und damit überwunden, sondern zementiert werden. Das Regulativ des Witzes stabilisiert den gesellschaftlichen Frieden zum Zwecke der Aufrechterhaltung sozialer Gewaltverhältnisse, an denen nur zum Preis der Überwindung etablierter Strukturen gerührt werden könnte.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat die Kritik an ihrem Witz über Intermenschen in der Aschermittwochsrede im mecklenburgischen Demmin zum Anlaß genommen, die eigene Deutungshoheit zum "Wir" der tonangebenden Mehrheit zu verabsolutieren.

Wenn wir das so weitermachen, dann laufen wir Gefahr, etwas ganz Wunderbares in unserem Land kaputtzumachen. Nämlich die Tradition von Karneval, die Tradition von Fastnacht, die Tradition von Kleinkunst, wo man gerade nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen muß. Wenn wir da so verkrampfen, wie wir es in den letzten Tagen getan haben, dann geht ein Stück Tradition und Kultur in Deutschland kaputt, und das sollten wir nicht zulassen. [1]

So locker die Anwärterin auf das Amt der Bundeskanzlerin es nehmen mag, eine kleine Minderheit von Menschen vorzuführen, von deren persönlichen Schwierigkeiten und individueller Tragik sie keinen Schimmer zu haben scheint, so verkrampft würde sie jedes Wort auf die Goldwaage legen, wenn die politische Konkurrenz etwa Witze über die religiösen Praktiken von Juden oder Christen machte. Auch im Fasching wie in der Kleinkunst des Kabaretts oder der Comedy gibt es Tabus, die zu verletzen den Bannstrahl der Ächtung nach sich zieht, ohne daß die CDU-Vorsitzende eigens dafür einträte, auch dort die Freiheit des Wortes gelten zu lassen.

Kramp-Karrenbauer schwimmt im großen Strom des Konsenses derjenigen, die Gesinnngszensur nach dem Motto "Man wird doch noch sagen dürfen" oder "Man muß doch Spaß verstehen können" unterstellen. Bis an den Rand des Strafgesetzbuches dürfen die BürgerInnen alles sagen, nur müssen sie auch das Echo vertragen. Tatsächlich ist es mit diesem ohne Not, sondern aus instrumentellem Interesse gegen sich selbst gekehrten Freiheitsanspruch bei denjenigen, die Lacher nicht auf ihrer Seite haben, schnell vorbei. Auch die CDU-Chefin geruht nicht zu spaßen, wenn sie die Definitionshoheit über die Werteordnung der Gesellschaft beansprucht und als Kulturkampf inszeniert, bei dem immer die anderen die Spiel- und Spaßverderber sind. Der von ihr gemeinte Humor ist kein Angebot, auf Augenhöhe mitzulachen, sondern fordert Unterwerfung ein. Er verkörpert einen Herrschaftsanspruch, dem es blutig ernst mit seiner Durchsetzung ist.

Spaß in einem widerständigen Sinne macht Karneval dort, wo er als Sprachrohr von Menschen und Gruppen fungiert, denen ansonsten die Stimme genommen wird, weil sie den strukturellen Gewaltverhältnissen ausgeliefert sind . "Plumpes Abgrenzen und Witze gegen Minderheiten sind das Letzte, was unsere Gesellschaft gebrauchen kann. Der Karneval soll sich an den Mächtigen abarbeiten, an den Politikern, an den Unternehmen, an den Banken, aber nicht an denen, die ohnehin schon zu kämpfen haben." [2] Bundesjustizministerin Katarina Barley spricht aus, was eigentlich selbstverständlich sein müßte. Doch in der neofeudalen Gesellschaft der Bundesrepublik werden meist Herrschaftsdiskurse geführt, die zu durchbrechen nur gelingt, wenn zugleich die Kommandohöhen politischer und ökonomischer Macht erobert werden.

Den Mächtigen unterworfen werden die von Sarrazin und Konsorten ins Bockshorn einer Lebensangst gejagten Menschen, die lieber nach unten treten als nach oben aufbegehren. Ihnen kommt eine Kramp-Karrenbauer gerade recht, wenn sie sich in ihrer Demminer Rede über diejenigen echauffiert, die Bedenken wegen des Feinstaubgehaltes von Silvesterböllern, des die Speisekarten dominierenden Fleischkonsums oder des weißen kolonialistischen Blickes auf ethnische Minderheiten zu äußern wagen. Mit diesem rhetorischen Rundumschlag hat die CDU-Chefin vollends klargestellt, wie gering die Berührungsängste ihrer Partei zumindest mit den Positionen der Neuen Rechten geworden sind.

So eilte AfD-Chef Jörg Meuthen ihr sicherlich nicht aus Beschützerinstinkt, sondern fundiertem Eigeninteresse zur Hilfe, indem er die "Idiotien" rund um das dritte Geschlecht anprangerte, die im linksgrünen "Irrenhaus Deutschland" durch die "Sprachpolizei der Dauerempörten" [3] verteidigt würden. Sich zur Stimme derjenigen aufzuschwingen, die angeblich von ökologisch, geschlechtergerecht und interkulturell argumentierenden Menschen in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, ist ein politisch lohnendes Geschäft. Alles bleibt, wie es ist, leuchtet jedem ein, der um die eigenen Überlebensprivilegien bangt, so gering sie auch sein mögen. Veränderungen, die eine lebenswerte Zukunft künftiger Generationen sichern, die massive sozialen Polarisierung in der EU einebnen, die Bewältigung der ökonomischen Not im Globalen Süden vorantreiben, braucht niemand. Nichts geht über die kapitalistische Eigentumsordnung eines Deutschland, das auch durch eine Frau als Kanzlerin nicht die Zähne patriachaler Herrschaft und imperialistischer Aggressivität verliert.


Fußnoten:

[1] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-03/annegret-kramp-karrenbauer-cdu-politischer-aschermittwoch-demmin/komplettansicht

[2] https://www.abendblatt.de/politik/article216570231/Karneval-Kramp-Karrenbauer-nach-Rede-ueber-drittes-Geschlecht-in-der-Kritik.html

[3] https://www.deutschlandfunk.de/drittes-geschlecht-meuthen-verteidigt-buettenrede-von-kramp.2849.de.html?drn:news_id=984040

7. Februar 2019


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