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KULTUR/1039: Fridays For Future - eine Chance zu fragen ... (SB)



Die Aktionen, Demonstrationen und Streiks sind ein Unterricht anderer Art. Dieser Unterricht auf der Straße ist wichtig. Damit lernen die Beteiligten wieder sich selber auszudrücken und ihre eigene Kraft zu entwickeln anstatt Politiker*innen zu vertrauen. Die jungen Menschen verteidigen ihr Existenzrecht. Das ist komplett berechtigt und richtig. Es ist unsere Aufgabe hinter ihnen zu stehen und ihren Schwung in unsere Lebenswelt zu bringen. Das ist unsere Pflicht und Verantwortung.
Christian Zeller - Für ein ökosozialistisches Dringlichkeitsprogramm [1]

Seit dem Auftreten der Fridays-For-Future-Bewegung wird der Eindruck erweckt, als sei damit erstmals eine soziale Bewegung zur Durchsetzung des Klimaschutzes entstanden. Die sich darin spiegelnde Mißachtung der seit vielen Jahren für adäquaten Klimaschutz kämpfenden AktivistInnen wie der Erkenntnisse von WissenschaftlerInnen, die die grassierende Naturzerstörung und ihre negativen Auswirkungen auf das Klima mit gebotener Dringlichkeit artikuliert haben, entspricht der allgemeinen Ignoranz gegenüber einer Entwicklung, deren katastrophale Perspektive in der Politik seit mindestens 30 Jahren bekannt und seitdem Anlaß zu internationalen Konferenzen und Abkommen ist.

Im Ergebnis hat man es mit einer Bevölkerung zu tun, die massiv uninformiert ist und dementsprechend zu dem Verdacht neigt, die Klimakatastrophe werde als bloßer Vorwand ihrer Benachteiligung genutzt. Da die bisher erwogenen Maßnahmen zum Klimaschutz systemimmanent über Marktmechanismen organisiert werden sollen, was in der kapitalistischen Eigentumsordnung bedeutet, daß der jeweilige Ressourcenverbrauch auch künftig am erreichten Sozialstatus bemessen wird, ist dieser Verdacht durchaus begründet. An den objektiven Bedingungen der in ihrer destruktiven Gewalt zunehmenden Klimakatastrophe wird dadurch fast nichts geändert, was zu der Befürchtung Anlaß gibt, daß die Kämpfe um soziale Privilegien um so verbissener und brutaler ausgetragen werden.

Der Aufstieg der nationalchauvinistischen Rechten wird nicht zuletzt durch den Glauben begünstigt, mit der aggressiven Verteidigung vorhandener Besitzstände über bessere Überlebensvoraussetzungen zu verfügen. Das sozialdarwinistische und rassistische Grundverständnis der extremen Rechten, die die Empirie der Klimakrise zwar anerkannt, deren menschengemachte Genese jedoch leugnet, erhält dadurch noch mehr Auftrieb. Ein durch numinose Schicksalhaftigkeit bedingter Sachzwang fügt sich bestens in die Weltanschauung von der angeblichen Überlegenheit der weißen christlichen Kultur der neuen Rechten ein. Das naturalistische Glaubenspostulat bestärkt ihre ParteigängerInnen in der grundsätzlichen Annahme, in dieser Welt habe nur Bestand, wer über schwächere, im vermeintlichen Irrglauben an das universale Lebensrecht aller Menschen befangener "Gutmenschen" obsiegt.

Politik und Medien haben den unmittelbaren Zusammenhang zwischen kapitalistischer Verwertungslogik, kolonialistischer Landnahme und lebensbedrohlicher Naturzerstörung, wenn überhaupt, eher beiläufig erwähnt. Nur so ließ sich vermeiden, die Verantwortung der Staaten, die ihre ökonomischen und geostrategischen Vorteile mit besonders großem Ressourcenverbrauch erkauft haben, zum primären Problem zu erheben. Das hat dem Aufstieg der sozialdarwinistischen Rechten Flügel verliehen, während die Diffamierung der sozialistischen und kommunistischen Linken als überholtes, gar dem Faschismus äquivalentes Gesellschaftsmodell unausgesprochener Konsens wurde. Dem Niedergang linker Theorie und Praxis gemäß spricht sich kaum noch jemand für den universalistischen Anspruch allen Lebens auf eine autonome Entwicklung aus. Natur wird auf ein zweckmäßiges Konstrukt gesellschaftlichen Nutzens reduziert. Nur so läßt sich eine Politik der Inwertsetzung vertreten, die darin resultiert, daß etwa die Aufforstung von Wäldern nicht aus gebotener Rücksicht auf die jeweiligen Ökosysteme erfolgt, sondern Emissionszertifikate hervorbringt, mit denen an anderer Stelle noch mehr Treibhausgase freigesetzt werden können.

Gegen die Aberkennung subjektiver Autonomie hilft das Beschwören von Menschenrechten wenig. An den Platz emanzipativen Denkens ist eine nationale Interessenpolitik getreten, in deren Rahmen ganz offen darüber diskutiert wird, ob flüchtende Menschen nicht besser ihrem Schicksal überlassen bleiben sollen. Wenn überhaupt, dann werden Menschenrechte in instrumenteller Absicht, etwa bei der Planung imperialistischer Kriege, heranzitiert. In jedem Fall ist man weit davon entfernt, die Notwendigkeit der Durchsetzung ungeteilter sozialer Rechte anzuerkennen.

So wähnen sich viele Menschen in den Industriestaaten der gemäßigten Klimazonen bis heute auf der sicheren Seite, weil sie von den Auswirkungen der Klimakatastrophe noch nicht betroffen sind und darauf hoffen, im Ernstfall zu denjenigen zu gehören, die davonkommen. Die angebliche Aufgabe von Medien und Politik, sie auf angemessene Weise über den Ernst der Lage aufzuklären, kann auch deshalb als Totalausfall gelten, weil die soziale Dimension der Krise bis heute unterschlagen wird. In Verteidigung des neoliberalen Marktmodells und der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung wird nach Kräften vermieden, ernsthaft über gesellschaftliche Veränderungen nachzudenken, die ermöglichten, daß die Bewältigung sozialer Ungleichheit mit der Beseitigung destruktiven Ressourcenverbrauchs Hand in Hand geht.

Um so relevanter sind alle Fragen, die eine den notwendigen Veränderungen adäquate Organisierung der Gesellschaft betreffen. Sie müssen weit über die unter dem Vorzeichen notgedrungenen Verzichtes oder der relativen Umverteilung der Kosten der CO2-Freisetzung geführte Klimaschutzdebatte hinausgehen, wenn überhaupt noch die Chance darauf erarbeitet werden soll, der in großen Teilen der Welt seit jeher herrschenden sozialen Krise und ihrer massiven Verschärfung durch die Auswirkungen der Klimakatastrophe Einhalt zu gebieten. Dazu gehört, die Dummheit des notorischen Antikommunismus zu überwinden und nicht davor zurückzuschrecken, an sozialistische Formen gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion unter ökologischem Vorzeichen anzuknüpfen. Die Verabsolutierung des realsozialistischen Produktivismus zur vermeintlich bewiesenen Untauglichkeit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und einer an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Wirtschaftsweise war stets Ausdruck der ideologischen Hegemonie des neoliberalen Kapitalismus. Diesen zu Lasten einer wesentlich verbrauchsärmeren und menschen- wie tierfreundlicheren Lebensweise fortzuschreiben ist das Ziel der systematischen Verdummung, auf die Politik und Medien in der spätkapitalistischen Epoche geeicht zu sein scheinen.

Konstruktiv betrachtet hat der erste historische Anlauf zur Beseitigung von Ausbeutung und Unterdrückung allemal die Chance des Lernens aus gemachten Fehlern freigesetzt. Die unter dem Label Fridays For Future weltweit zu Hunderttausenden protestierenden Jugendlichen haben die Chance, unbelastet von den ideologischen Grabenkämpfen des 20. Jahrhunderts und frei von der Ignoranz, mit der die bedenkenlose Externalisierung der Kosten ökonomischen Wachstums in Anspruch genommen wurde, die Radikalität eines Fragens zu entwickeln, das sich nicht durch die Beschwichtigungsdynamik gesellschaftlicher Widerspruchsregulation, durch die Bezichtigungslogik neoliberaler Verschuldung und das Konsensmanagement herrschender Stellvertreterpolitik einlullen und einschüchtern läßt. Um Analyse und Kritik gesellschaftlicher Naturverhältnisse auf einen Stand zu bringen, wo der Zusammenhang zwischen eigenem Tun und dem Abschmelzen der Gletscher, der Zerstörung der Wälder, der Verödung der Ackerböden, der Vernichtung von Tieren und Pflanzen auf eine Weise hergestellt wird, daß sich die Radikalität erforderlicher Veränderung nicht mehr relativieren läßt, gibt es viel zu tun. Viel mehr, als die Existenz des zum Lohn des Verkaufes der Arbeitskraft das eigene Leben konsumierenden Marktsubjektes ahnen läßt, und das ist eine gute Botschaft für alle, die nicht nur überleben, sondern leben wollen.


Fußnote:

[1] http://www.oekosoz.org/klimabewegung-oekosozialistisches-dringlichkeitsprogramm/

28. September 2019


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