Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KULTUR/1054: IOC - Sommerspiele und viel Geld ... (SB)



Höher, weiter, schneller - der Geist Olympias trieb das IOC dazu, mit Corona einen Wettkampf zu wagen, den es nur verlieren konnte. Ganze vier Wochen wollte das IOC noch darüber beraten, ob die Sommerspiele im Juli und August in Japan nicht doch noch stattfinden sollten. Doch der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus war nicht standzuhalten, der Sport mußte die Flagge mit den fünf bunten Ringen streichen und eine Verschiebung um ein Jahr in Kauf nehmen.

So bizarr sich die Diskussion über die Planung eines Mega-Events, der in wenig mehr als einem Vierteljahr hätte stattfinden sollen und dementsprechend aufwendiger, viele Tausend ArbeiterInnen in Beschlag nehmender Vorbereitungen bedurft hätte, für die Menschen in häuslicher Isolation angehört hat, so sehr zeugt der Tunnelblick und das Durchhaltevermögen der IOC-Funktionäre von einer nicht nur unter ihnen verbreiteten Haltung der Wirklichkeitsverweigerung. Die Realität wird schlicht neu erfunden, predigt die Innovationslogik des neoliberalen Kapitalismus und entsorgt bewährte, aber nicht genügend profitable Produktionsweisen mit dem scharfen Schwert disruptiver Intervention. Was an deren Stelle tritt, erfüllt das olympische Leitmotiv höher, weiter, schneller allemal, handelt es sich doch um die zeitlose Signatur niemals endenden Wachstums und expansiver Eroberungsgelüste.

Olympia mag in den Augen vieler Sportbegeisterter eine ausgesprochen traditionsreiche und ideelle Institution sein, doch hat sich die Veranstaltung derart fugenlos in die kommerziellen Prozesse des neoliberalen Kapitalismus integriert, daß allein der immer noch als gemeinnütziger Verein ausgewiesene Rechtsstatus des IOC Anlaß gibt, es von einem erfolgreichen Unterhaltungskonzern zu unterscheiden. Da der milliardenschwere Umsatz des IOC vor allem aus den weltweit vertriebenen Fernsehrechten geschöpft wird und diese vor dem Hintergrund der Pandemie wegzubrechen drohten, wurde nun die Flucht nach vorne angetreten. Das ändert jedoch nichts daran, daß das Bestehen des IOC auf die Austragung Olympias, ähnlich wie es gerade anderen Megastrukturen kapitalistischer Vergesellschaftung wie etwa der EU ergeht, seiner Reputation stark geschadet hat. Das auf die Sicherung erhoffter Einkünfte orientierte Manövrieren läßt sich durch keinen noch so idealistischen Ethos mehr legitimieren, sondern hat das IOC vollends zur Kenntlichkeit entstellt.

Das gilt auch für jene SportlerInnen, die sich im Vorweg von Olympia 2020 darüber beklagt haben, unter den Bedingungen der Infektionsabwehr nicht angemessen trainieren zu können. Das sei unfair, da Ausgeh- und Betätigungsverbote in anderen Teilen der Welt weniger restriktiv gehandhabt würden. Wie jeder weiß, geht es bei direkten Leistungsvergleichen von Anfang an unfair zu, haben etwa die AthletInnen aus afrikanischen Armutsstaaten nicht die gleichen Trainingsmöglichkeiten wie die von SportwissenschaftlerInnen mit HighTech-Methoden auf Höchstleistung zugerichteten SportlerInnen aus der EU und den USA, um nur ein Beispiel von vielen für die angeblich mit objektiven Parametern zu verifizierende Vergleichbarkeit sportlicher Leistungen anzuführen. Überhaupt ein Wort über Gerechtigkeit beim angeblich so völkerverbindenden Sport verlieren zu müssen kennzeichnet Olympia als Labor und Fabrik einer Steigerungslogik, die Menschen psychophysisch daraufhin konditioniert, daß ihr Existenzweck so sehr in der Erfüllung dieser Parameter aufgeht, daß schließlich nur noch Zahlen, aber keine Menschen mehr übrigbleiben.

Während die Corona-Pandemie die Unfähigkeit kapitalistischer Gesellschaften überdeutlich hervortreten läßt, die Probleme von Menschen zum Anlaß kollektiven und solidarischen Tuns zu machen, anstelle den Erfolg von Verwertungsinteressen gegen alle anderen durchzusetzen, erweist sich der Beitrag der olympischen Idee zur erforderlichen Krisenbewältigung als vom gleichen Ungeist konkurrenzgetriebenen Gegeneinanders beseelt. Was Menschen in Zukunft benötigen werden, ist jedenfalls kein Spitzensport, der als Aushängeschild nationaler Leistungsfähigkeit und individuellen Erfolgstrebens fungiert. Wenn überhaupt noch in Kategorien von Nationalstaaten agiert werden wird, dann könnte sich gesellschaftlicher Erfolg bestenfalls dadurch einstellen, daß all jene Systeme der Daseinsvorsorge und Praktiken der sozialen Gerechtigkeit etabliert werden, deren unzureichender oder völlig abwesender Charakter gerade so schmerzhaft hervortritt.

24. März 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang