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KRIEG/1375: Guttenbergs "empfundener" Krieg ... vor neuen Offensiven beschwichtigen (SB)



Trotz seines hochwohlgeborenen Namens gibt der neue Verteidigungsminister zum Einstand den mit allen Wassern gewaschenen Troupier. Er "verstehe jeden Soldaten, der sagt: 'In Afghanistan ist Krieg, egal, ob ich nun von ausländischen Streitkräften oder von Taliban-Terroristen angegriffen, verwundet oder getötet werde'", so Karl-Theodor zu Guttenberg gegenüber Bild. "Wenigstens in der Empfindung nicht nur unserer Soldaten führen die Taliban einen Krieg gegen die Soldaten der internationalen Gemeinschaft", wird der neue Kriegsminister seinem eigentlichen Titel gerecht, ohne dies offiziell machen zu dürfen. Guttenberg beeilt sich hinzuzufügen, daß Krieg laut dem Völkerrecht nur zwischen Staaten herrschen könne, gesteht seinen Soldaten jedoch zu, wenig Verständnis für "notwendige juristische, akademische oder semantische Feinsinnigkeiten" zu haben.

Wenn sie sich auch keine Gedanken darüber machen sollen, wieso die Bundesregierung sich so standhaft weigert, einen Krieg Krieg zu nennen, dann bleibt dennoch die Frage offen, wieso die Soldaten der Bundeswehr überhaupt in Afghanistan kämpfen. Laut dem neokonservativen Publizisten Richard Herzinger, der Guttenberg auf Welt Online (03.11.2009) auffordert, in Afghanistan Farbe zu bekennen, liegt die Wahrheit knapp neben dem, für das es in der unmittelbaren Wahrnehmung keine zwei Namen geben kann:

"In Wahrheit kämpft sie aber im Auftrag der Vereinten Nationen und im Einverständnis mit und zur Unterstützung der legitimen afghanischen Regierung gegen illegale Insurgenten und Terroristen, vor denen es die lokale Bevölkerung zu schützen gilt."

Daß diese Wahrheit zwar auf einen Bierdeckel, nicht jedoch auf die Situation im Kriegsgebiet paßt, ficht Herzinger nicht an. Ihm geht es einzig darum, daß Guttenberg die richtigen Konsequenzen aus seinem Eintreten für die Soldaten zieht und sich für eine "deutliche finanzielle und militärische Verstärkung (und qualitative Verbesserung)" des deutschen Kriegsbeitrags in Afghanistan einsetzt. Andernfalls drohe eine Niederlage der NATO, die unter allen Umständen zu vermeiden Herzinger nicht eigens betonen muß.

Wenn ein Schreibtischkrieger die politische Begründung für die Besetzung Afghanistans durch die NATO eins zu eins - wenn auch angesichts des Debakels um die Präsidentschaftswahl versehen mit der Forderung nach "einer schonungslosen Neuorientierung der westlichen Afghanistan-Politik" - übernimmt, dann schreibt er das Problem, daß der subjektive Eindruck der Bundeswehrsoldaten durch den politischen Auftrag nicht gedeckt wird, schlicht fort. Guttenberg vertieft dieses Problem durch sein vom Bundeswehrverband hochgelobtes Zugeständnis, indem er den Soldaten im Klartext rät, sich nicht mit Fragen zu beschäftigen, die sie nichts angehen, sondern ihre Befehle auszuführen. Schließlich könnte der außer Mode geratene "Staatsbürger in Uniform" darauf kommen, daß er sogar die Pflicht hat, rechtswidrige Befehle zu verweigern. Dafür gibt es in Afghanistan allemal Anlaß.

Die Legitimität der afghanischen Regierung entspricht der üblichen Statthalterschaft eines Kolonialregimes, das die einheimische Oligarchie in ihre Okkupationsstrategie einbindet. Sie überträgt ihr administrative Aufgaben und korrumpiert sie mit den Pfründen der Regierungstätigkeit, um sicherzustellen, daß sie ihren Anteil an der Unterdrückung der Bevölkerung leistet. Der legalistische Tenor, mit dem der einheimische Widerstand gegen die Besatzer und ihre Vasallen kriminalisiert wird, basiert im konkreten Fall auf einer völkerrechtswidrigen Invasion, die durch die einflußreiche Stellung der Aggressoren bei den Vereinten Nationen nachträglich legalisiert wurde, indem man zum Schutz der von den Invasoren eingesetzten Regierung und zur Unterstützung des Wiederaufbaus die International Security Assistance Force (ISAF) aufstellte.

Der US-amerikanische Terrorkrieg wurde parallel zur ISAF im Rahmen der Operation Enduring Freedom weitergeführt, so daß sich beide Kommandos unter dem Dach der NATO immer weiter verschränkten. Das hatte zur Folge, daß die angebliche Schutztruppe ISAF sich an der offensiven Kriegführung des Terrorkriegs unter Inkaufnahme erheblicher ziviler Verluste beteiligte. So illegal die diversen afghanischen Widerstandsgruppen nach Darstellung der NATO und Bundesregierung auch sein mögen, in den Augen eines Gutteils der Bevölkerung tun sie, was im Falle einer ausländischen Okkupation getan werden muß. Das gilt um so mehr, als zahlreiche Afghanen in die Folterlager der US-Besatzer verschleppt, dort gequält und auch ermordet wurden. Dieses in krassem Widerspruch zum legalistischen Anspruch der NATO stehende Unrecht wird kaum dadurch getilgt, daß die Menschen heute zusehends von unbemannten Drohnen umgebracht werden, deren Raketen von US-Soldaten abgefeuert werden, die irgendwo in den USA vor einem Bildschirm sitzen und Menschenleben im fernen Afghanistan wie in einem Computerspiel vernichten.

Wenn sich also deutsche Soldaten in Afghanistan fragen, warum ihre Anwesenheit dort so wichtig ist, daß zu ihrem Schutz Bomben auf die Bevölkerung abgeworfen werden müssen, dann ist es der wichtigste Gedanke, der sie beschäftigen kann. Indem Guttenberg Verständnis heischt und lediglich informell eingesteht, daß die Bundeswehr in Afghanistan Krieg führt, versucht er, dieser Frage die Spitze zu nehmen. Mit dieser Beschwichtigung schafft er die Voraussetzung für effizientere Formen des Blutvergießens, die zum Sieg führen sollen.

Ein offizielles Eingeständnis, daß die Bundesrepublik in Afghanistan Krieg führt, wäre keineswegs irrelevant und ließe sich mit Hilfe der propagierten Doktrin asymmetrischer Konflikte ohne weiteres auf den Nenner moderner Kriegführung bringen. Problematisch ist nicht, wie Herzinger behauptet, die "Endlosdebatte um die Bezeichnung 'Krieg'", sondern der Abgleich der Kriegführung an völker- und verfassungsrechtlichen Normen. Was der Welt-Kommentator als völlig überflüssige, "von den notwendigen Konsequenzen aus der Einsicht in die bedrohliche Lage im Hindukusch" ablenkende Gelehrtendiskussion abtut, ist der Einstieg in eine Begründung dieses Krieges, die geradewegs zu seiner Beendigung seitens der Bundesrepublik führen könnte.

Da die angebliche "Wortklauberei" dem rechtsförmigen Anspruch der deutschen Kriegführung geschuldet ist, ruft Herzinger implizit dazu auf, diesen am besten gleich mit zu entsorgen und ganz pragmatisch das Richtige zu tun, sprich aufrüsten, niedermachen, siegen. Warum nicht letzte Bedenken über Bord werfen und es den USA gleichtun, die nicht das geringste Problem damit haben, in einem Land wie Pakistan ohne Einverständnis der Regierung und gegen alle Regeln des Völkerrechts Raketen auf die Bevölkerung abzufeuern? So verlogen die Debatte sein mag, sie bietet den Gegnern der deutschen Kriegspolitik immer noch einen Ansatzpunkt, um ihre Einwände geltend zu machen, gerade weil sie nicht nur um einen Begriff geführt wird, sondern die materielle Realität staatlicher Gewaltanwendung meint.

Die Verharmlosung imperialistischer Kriegführung, für die Herzinger mit der von ihm präsentierten Definition des Auftrags der Bundeswehr in Afghanistan ein signifikantes Beispiel bietet, wird durch die brutale Realität Tausender ziviler Kriegsopfer und der hungernden Bevölkerung Afghanistans widerlegt. Die Urheber juristisch wasserdichter Formulierungen ignorieren keineswegs, daß zwischen ihren Elaboraten und der Realität am Kriegschauplatz nicht zu brückende Widersprüche klaffen. Ihr Geschäft ist das der Legitimation des blutigen Handwerks, darauf verweisen Neokonservative wie Herzinger mit gebotener Deutlichkeit. Die Kriegstreiber wissen allerdings auch, daß sie für ihre Vorgehensweise "Erst feuern, dann fragen" noch nicht genügend Zustimmung erhalten. Bevor es dazu kommt, sollte der Bundesregierung eine triftigere Begründung für ihre Kriegspolitik abverlangt werden als eine legalistische Formel, die weit abgehobener ist als jede Diskussion um den Begriff des Krieges.

3. November 2009