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KRIEG/1411: Linkspartei stört Konsens der Kriegstreiber im Bundestag (SB)



Wenngleich das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan nie etwas anderes war, als die Partizipation an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und Besatzungsregime im Dienst globalstrategischer Zugriffsinteressen, markierte das Massaker von Kundus einen Wendepunkt in der Wahrnehmung des deutschen Auslandseinsatzes am Hindukusch. Seither kann niemand mehr die Augen vor der Tatsache verschließen, daß Bundeswehrsoldaten entsandt worden sind, um Afghanen zu drangsalieren und zu töten, womit sich die eigene Stellungnahme auf die Frage zuspitzt, ob man das gutheißt oder ablehnt.

Die Mehrheit der Bundesbürger, hört man allenthalben, befürwortet inzwischen einen Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan. Das hindert die Mehrheit der Parlamentarier nicht daran, wie heutigen Tages beschlossen, den Bundeswehreinsatz um ein weiteres Jahr zu verlängern, das Truppenkontingent von 4.500 Bundeswehrangehörigen um 850 Soldaten aufstocken, die Zahl der Ausbilder für die afghanischen Sicherheitskräfte von 280 auf 1.400 zu erhöhen und die zivile Wiederaufbauhilfe auf 430 Millionen Euro zu verdoppeln.

Aus der breiten Mehrheitsriege der parteipolitischen Kriegstreiber verteidigte unter anderem der Freidemokrat Rainer Stinner die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes gegen die Kritik der Opposition mit dem Argument, Deutschland habe aus den Fehlern gelernt und mache einen Neuanfang, wozu das Mandat entscheidend beitrage. Worin diese Innovation bestehen soll, ließ er wohlweislich offen, da man dabei auf den Gedanken kommen könnte, daß mehr deutsche Soldaten mehr Afghanen umbringen sollen.

Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr schließt eine höhere Gefährdung des Kontingents nicht aus. In Zukunft werde sich sicherlich ändern, daß sich die Soldaten tatsächlich länger außerhalb der Feldlager aufhalten, um der Bevölkerung "ein noch stärkeres Sicherheitsgefühl geben zu können", verkündete Kommandosprecher Oberstleutnant Jörg Langer offenbar ohne jede Ironie. Ziel sei es, das Vertrauen in die internationale Schutztruppe ISAF zu erhöhen. Daß sich die Afghanen nach Kundus noch sicherer fühlen, wenn noch mehr Bundeswehrsoldaten auftauchen, ist schon ein argumentativer Winkelzug, der auf eine durch jahrelanges Propagandagetrommel herbeigeführte Hohlköpfigkeit der Bundesbürger reflektiert.

Jedenfalls waren bei der namentlichen Abstimmung über das neue Mandat im Bundestag Überraschungen ausgeschlossen. An einer klaren Mehrheit durch die Stimmen der schwarz-gelben Koalition sowie aus der SPD bestand kein Zweifel, zumal sich die Grünen-Fraktion größtenteils enthalten wollte. Die SPD - in der Vergangenheit gemeinsam mit den Grünen Kriegspartei par excellence -, hatte schon im Vorfeld Zustimmung signalisiert. Generalsekretärin Andrea Nahles versuchte dennoch den Eindruck zu erwecken, es existierten Differenzen zur Position der Regierung: Man habe wesentliche Forderungen wie insbesondere "eine klare Abzugsperspektive ab 2011 beginnend" in deren Antrag untergebracht -, was bekanntlich mangels festgelegter Zahlen eine Leerformel zur Rechtfertigung der Truppenaufstockung ist.

Die Linksfraktion, die als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien den Krieg in Afghanistan geschlossen ablehnt, bediente sich einer Aktion, die in den Medien ihren Widerhall finden und so die Aufmerksamkeit auf die erneute Ausweitung der Kriegsbeteiligung lenken sollte. Während einer Rede der Sicherheitsexpertin Christine Buchholz hielten ihre Fraktionskollegen Transparente hoch, auf denen Namen der Opfer des Massakers von Kundus im vergangenen September zu lesen waren. "Deutschland ist an einem Krieg gegen die einfache Bevölkerung in Afghanistan beteiligt", hatte Buchholz unmittelbar zuvor gesagt. Ein Fraktionssprecher bezeichnete die Aktion als ein Gedenken an die Opfer des damaligen Angriffs. Bei dem von der Bundeswehr befohlenen Bombardement zweier Tanklaster waren im September 2009 bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden.

Als die Abgeordneten der Aufforderung von Bundestagspräsident Norbert Lammert nicht nachkamen, die Plakate wieder herunterzunehmen, forderte er sie unter dem Applaus vieler Abgeordneter anderer Fraktionen mehrfach zum Verlassen des Saales auf. Nach kurzem Verharren auf ihren Stühlen verließen alle Abgeordneten der Linken schließlich den Plenarsaal im Reichstag. Der CDU-Politiker verteidigte seine Entscheidung als "alternativlos" und verwies dafür auf das Verbot von Demonstrationen im Plenarsaal. Zwar sei die Lage "alles andere als routinehaft", doch sei etwas Derartiges mit der Ordnung des Hauses unvereinbar.

Der CDU-Abgeordnete Jürgen Hardt ereiferte sich in der Debatte, er finde es "sehr schmerzhaft", in welcher Art und Weise der Einsatz von der Linken instrumentalisiert werde. Er dankte Lammert für seine Entscheidung, die Abgeordneten der Linksfraktion auszuschließen. Einen Gedanken an die Schmerzen der Afghanen scheint er angesicht seiner Wortwahl nicht verschwendet zu haben. Mit vorgehaltener Empörung unterstützte auch die SPD den Ausschluß der Linksfraktion: "Der Präsident hat richtig entschieden. Das Parlament ist Ort der Debatte, nicht der Demonstration. Im Parlament zählt das Argument, nicht das Transparent", erklärte Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann.

Einzig der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele ließ sich nicht einschüchtern und nannte die Entscheidung Lammerts ein "völlig falsches Zeichen nach Afghanistan" und "ein völlig falsches Zeichen in die Welt", wenn das deutsche Parlament mit dem Ausschluß einer Fraktion auf das Gedenken an die Opfer der Bombardierung erinnere. Die Aktion der Linken sei "keinerlei nachhaltige Störung" der Parlamentssitzung gewesen. "Sie haben nicht randaliert, sie waren nicht laut, sie haben Schilder hochgehalten", verteidigte er die Kollegen der Linksfraktion. Diese stünden mit ihrer ablehnenden Haltung zu dem Einsatz in Afghanistan zudem für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Einfach ohne die Linke weiterzudebattieren, halte er für "unwürdig".

Verhindern konnte auch Ströbele nicht, daß die Debatte ohne weitere störenden Einwände der Linksfraktion gegen den Kriegszug der Bundeswehr im Plenum fortgesetzt wurde. Nach dem Wortlaut der Geschäftsordnung waren die Protestierer eigentlich auch von der namentlichen Abstimmung über die Verlängerung des Mandats ausgeschlossen. Ganz geheuer war der Mehrheit ihr Schachzug, eine opponierenden Minderheit in aller Öffentlichkeit am Votum zu hindern, denn doch nicht, zumal deren Gegenstimmen das Ergebnis nicht kippen konnten. Daher beschloß das Plenum auf Vorschlag Lammerts mit Zweidrittelmehrheit, die Teilnahme der Störer an der Abstimmung ausnahmsweise zuzulassen.

Bleibt noch nachzutragen, daß für die neue Afghanistan-Strategie der Bundesregierung 429 von 586 Abgeordneten votierten, während 111 dagegen waren und sich 46 enthielten. Dies waren 16 Befürworter weniger als bei der letzten Mandatsverlängerung im Dezember. Wird man sich eines Tages fragen, wieso die Deutschen damals sehenden Auges immer tiefer in das afghanische Blutbad eingetaucht sind, das Jahre später mit dem absehbaren Debakel endete, heißt es womöglich: Am 26. Februar 2010 deutete sich im Parlament ein Stimmungsumschwung an, der per Geschäftsordnung aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verbannt werden sollte und gerade dadurch tief in den um sich greifenden Unmut der Bevölkerung einsank.

26. Februar 2010