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KRIEG/1422: Besatzungstruppen morden unter den Afghanen (SB)



Daß Begegnungen zwischen Soldaten eines Okkupationsregimes und Bewohnern des besetzten Landes stets Gefahr laufen, einen mörderischen Verlauf zu nehmen, folgt aus dem grundsätzlich feindlichen Verhältnis zwischen ausländischen Besatzungstruppen und der einheimischen Bevölkerung in einem Guerillakrieg. Die USA und ihre Verbündeten führen Krieg gegen die Afghanen, die diese seit mehr als acht Jahren währende Drangsalierung mit Armut, Erniedrigung und Lebensgefahr bezahlen, wogegen sich eine erstarkende Widerstandsbewegung formiert. Da der Widerstand aus der Bevölkerung hervorgeht, fürchten die schwerbewaffneten Streitkräfte in ihren gepanzerten Fahrzeugen im Grunde jeden Afghanen, der sich ihnen nähert, woraus immer wieder Zwischenfälle resultieren, bei denen Soldaten das Feuer auf Zivilpersonen und insbesondere Fahrzeuge eröffnen, die sie als Bedrohung einstufen.

Der jüngste Zwischenfall mit fünf toten und achtzehn verletzten Zivilisten in der Nähe der südafghanischen Stadt Kandahar, bei dem es sich laut Mitteilung der sinnwidrig noch immer als Schutztruppe bezeichneten ISAF um einen "tragischen Vorfall" handelt, weil man die Opfer angesichts zahlreicher Zeugen schlechterdings nicht zu "Taliban" umdeklarieren kann, hat eine offizielle Version. Diese stimmt wie immer in solchen Fällen zunächst weitgehend mit dem Standardprotokoll für derartige Vorkommnisse überein und wird erst dann modifiziert, wenn sich ausnahmsweise die Afghanen Gehör verschaffen, die unmittelbar betroffen waren und überlebt haben.

Die ISAF-Patrouille will das unbekannte große Fahrzeug, das sich von hinten vor Tagesanbruch mit großer Geschwindigkeit genähert habe, zunächst mit Blitzlicht und dann mit drei ungerichteten Leuchtgeschossen gewarnt haben. Nachdem man das weiter beschleunigende Fahrzeug mit Handzeichen gewarnt und zuletzt als Gefahr eingestuft habe, sei das Feuer eröffnet worden. Die Soldaten hätten erst bei der anschließenden Untersuchung entdeckt, daß es sich um einen Passagierbus handelte.

Nach Angaben des mutmaßlichen Fahrers und eines weiteren Passagiers war man hingegen noch 70 bis 80 Meter vom Ende des Konvois entfernt und wollte gerade einem weiteren, von hinten kommenden NATO-Konvoi zur Seite ausweichen, als man ohne Vorwarnung scharf beschossen worden sei. Der Passagier meinte, daß ihr Fahrzeug eindeutig als Bus zu erkennen gewesen sei und er den Eindruck habe, es würde absichtlich auf Zivilisten geschossen. Die eine Seite des Fahrzeugs war regelrecht von Schüssen durchsiebt, unter den Opfern befanden sich laut dem Sprecher des örtlichen Gouverneurs Frauen, Kinder und Männer.

Eine große Menschenmenge protestierte nach diesem Vorfall in Kandahar gegen die westlichen Besatzungstruppen und blockierte mehrere Stunden lang die Straße nach Herat, auf der es zu dem Zwischenfall gekommen war. Man forderte Gerechtigkeit von der Regierung und Bestrafung der verantwortlichen Soldaten, wobei die Menge in den Ruf einstimmte: "Tod Amerika! Tod Karzai! Tod dieser Regierung!"

Präsident Hamid Karzai verurteilte den Vorfall und erklärte, die Schüsse auf einen Passagierbus seien nicht zu rechtfertigen. Der Beschuß laufe der Verpflichtung der NATO entgegen, Zivilisten zu schützen. Er rief die ISAF auf, "beträchtliche Vorsichtsmaßnahmen" zu ergreifen, um den Tod weiterer Zivilisten zu verhindern.

Im vergangenen Jahr hatte der Oberbefehlshaber der US- und NATO-Truppen in Afghanistan, General Stanley McChrystal, das Gerücht in die Welt gesetzt, man werde mehr für den Schutz der Zivilisten tun. Mitte Februar waren bei einem Einsatz in der Provinz Paktia fünf Zivilisten ermordet worden, wofür die NATO inzwischen die Verantwortung übernehmen mußte. In der vergangenen Woche wurden bei einem Luftangriff der NATO im Süden Afghanistans vier Zivilisten getötet. Dazwischen lagen etliche dokumentierte und zweifellos noch mehr hierzulande unbekannte Übergriffe der Besatzungstruppen auf die afghanische Bevölkerung.

Nach offiziellen Angaben sind bei Schüssen an Kontrollposten und aus Konvoys seit letzten Sommer mehr als 30 Menschen getötet und 80 verletzt worden. Wie sich herausstellte, hatte es sich in keinem einzigen Fall um eine reale Gefahr für die Soldaten gehandelt. Ob sich die Angst des Aggressors in Uniform verselbständigt und er in seiner Panik Gespenster sieht, ob er sich überlegen dünkt und Scheibenschießen auf Untermenschen macht, ob er in einem Racheakt unspezifischen Blutzoll einfordert, ob er als Teil der militärischen Maschinerie stur Befehle ausführt, ob er den Mord an Zivilisten hinterher rechtfertig oder zutiefst bedauert, läßt sich weder eindeutig und eindimensional beantworten, noch anders beenden als durch den Abzug der Besatzungstruppen aus Afghanistan.

13. April 2010