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KRIEG/1430: Neue Offenheit - Köhler bekennt sich zu imperialer Kriegführung (SB)



Der unangekündigte Besuch des Bundespräsidenten im Feldlager der Bundeswehr im nordafghanischen Mazar-i-Sharif zeigt nicht nur von seinem Verlauf her, wie selbstverständlich die Bundesrepublik heute in anderen Ländern als Besatzungsmacht auftritt. Obwohl Horst Köhler als oberster Repräsentant Deutschlands ein Land besucht, das über eine angeblich souveräne Regierung verfügt, findet kein Treffen mit deren Vertretern oder gar dem Staatsoberhaupt Afghanistans statt. Man scheint es nicht mehr für nötig zu halten, die Sprachregelung, daß sich die Bundeswehr in Afghanistan auf Einladung der afghanischen Regierung aufhält, durch ein dementsprechendes Besuchsprotokoll zu verifizieren.

Auch in der anschließenden Stellungnahme des Bundespräsidenten gegenüber dem Deutschlandradio zu den Zielen, die die Bundeswehr in Afghanistan verfolgt, wird deutlich, daß die Zeiten vorbei sind, in denen deutsche Kriegseinsätze euphemistisch als höheren Zielen verpflichtet verklärt werden mußten. Köhlers Forderung nach einem "politischen Diskurs in der Gesellschaft" bezieht sich nicht auf die Frage des Für und Wieders dieses Krieges. Dem Bundespräsidenten geht es darum zu klären, "wie es kommt, daß Respekt und Anerkennung zum Teil doch zu vermissen sind, obwohl die Soldaten so eine gute Arbeit machen". Das Ergebnis der "guten Arbeit", die auch darin besteht, Menschen umzubringen, selbst wenn sie nicht gegen die NATO-Truppen kämpfen, ist mithin vorweggenommen. Fraglich bleibt lediglich, wieso es Menschen in der Bundesrepublik gibt, die dies nicht zu würdigen wissen.

Köhler macht sich mit seiner Stellungnahme zum Sprachrohr eines imperialen Selbstverständnisses, das bereits von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg mit seinen Erklärungen zur deutschen Kriegführung in Afghanistan eingeführt wurde. Diese neue Offenheit wird allgemein als Entbindung der Politik von den Fesseln einer Zurückhaltung gelobt, über deren historische Gründe man ebensowenig wissen will wie über den grundsätzlichen Wert der strikten Vermeidung jeglicher aggressiver Kriegshandlung. Die schon vom ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der mit der deutschen Beteiligung am Überfall der NATO auf Jugoslawien den sogenannten deutschen Sonderweg der Nachkriegszeit für beendet erklärte und die Bundesrepublik auf die Rollbahn einer permanenten Vorkriegszeit manövrierte, verlangte "Enttabuisierung des Militärischen" wird heute durch die explizite Verknüpfung von Krieg und Interessenpolitik zum Abschluß geführt:

"Meine Einschätzung ist aber, daß insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, daß ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muß, daß im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren. Zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg." [1]

Köhlers demonstratives Eintreten für die stärkere Anerkennung der Soldaten erweist sich als Mittel der Beschwichtigung, geht es bei ihrer "Arbeit" doch nicht um eine Form von Selbstverwirklichung auf einem angeblichen Feld der Ehre. Soldaten sind Befehlsempfänger, die in politischem Auftrag Kriege führen, in denen Interessen durchgesetzt werden, die mit denen eines abhängig beschäftigten Waffenträgers nichts zu tun haben müssen. Daß in Afghanistan eingesetzte Soldaten über mangelnde Anerkennung und Unterstützung klagen, weist zwar auf ein hochgradiges Maß an Identifikation mit diesen Interessen hin, im marktwirtschaftlichen Selbstverständnis der deutschen Arbeitsgesellschaft sind sie jedoch Verkäufer ihrer Arbeitskraft, die damit ein bestimmtes Berufsrisiko eingehen.

Dieses wird ganz gezielt einkalkuliert, wie der Bundespräsident erkennen läßt:

"Aber es wird wieder sozusagen Todesfälle geben. Nicht nur bei Soldaten, möglicherweise auch durch Unfall 'mal bei zivilen Aufbauhelfern. Das ist die Realität unseres Lebens heute. Man muß auch um diesen Preis sozusagen seine am Ende Interessen wahren. Mir fällt das schwer, das so zu sagen, aber ich halte es für unvermeidlich, daß wir dieser Realität ins Auge blicken." [1]

Das von Köhler in Anspruch genommene positivistische Primat einer Realität, zu der man sich zu verhalten habe, weil man sie nicht als inakzeptabel verwerfen könne, fungiert als Letztbegründung für Kriegsakte, die mit allem brechen, was Jugendlichen in der DDR wie der BRD früherer Jahrzehnte mit auf den Weg gegeben wurde. Völkerrechtswidrige Angriffskriege sind ohne weiteres machbar, wenn man sich der probaten Präventivdoktrin des Terrorkriegs bedient. Militärische Ressourcensicherung wird ins Kalkül geostragischer Planungen gezogen, weil der Raub am Vermögen anderer Bevölkerungen als legitimes Projekt nationaler Standortsicherung gilt. Noch tut sich der Bundespräsident, wie man im Audiomitschnitt des Interviews mit dem Deutschlandradio hören kann, etwas schwer mit dem Bekenntnis zu imperialistischen Praktiken. Die Weichen sind jedoch gestellt, niemals zuvor hat ein Bundespräsident sich in derartiger Eindeutigkeit zur kriegerischen Interessenpolitik Deutschlands bekannt.

Fußnote:

[1] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1188780/

22. Mai 2010