Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1437: Generäle kommen und gehen ... der Krieg bleibt (SB)



Was fällt auf bei der Auswechselung des Oberkommandierenden der Besatzungstruppen in Afghanistan? Es handelt sich um einen Krieg der USA, in dem die Kontingente anderer Länder zusehends die Rolle von Hilfstruppen und Legitimationsproduzenten übernehmen. Seit Anfang 2007 liegt die militärische Befehlsgewalt in den Händen US-amerikanischer Generäle, ohne daß noch ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß sie die von der NATO geführte ISAF-Mission und die von US-Truppen geführte Operation Enduring Freedom in Doppelfunktion kommandieren. Was die kriegstreibenden Parteien im Bundestag lange Zeit nutzten, um durch die Unterscheidung des vom UN-Sicherheitsrat mandatierten ISAF- und des von der US-Regierung initiierten OEF-Einsatzes den Eindruck einer mehr oder weniger zerstörerischen Vorgehensweise zu erwecken, ist in der blutigen Normalität der nunmehr neun Jahre währenden Besetzung Afghanistans weitgehend gegenstandslos geworden.

Wenn mit Stanley McChrystal ein US-General wegen Insubordination vom Oberkommando in Afghanistan zurücktritt und mit David Petraeus von einem in PR-Angelegenheiten umsichtigeren Kollegen beerbt wird, dann liegt diese Entscheidung beim US-Präsidenten, ohne daß die Regierungen der anderen in Afghanistan kämpfenden Streitkräfte dafür konsultiert werden müßten. Auch befindet die US-Regierung weitgehend in Eigenregie über die strategische Vorgehensweise, von der es nun beschwichtigend heißt, daß sie unter dem Architekten der angeblichen Befriedung des Iraks, Petraeus, nicht geändert werde. Schließlich ist dieser Vorzeigegeneral der eigentliche Urheber der Counterinsurgency-Strategie, die McChrystal umsetzen sollte und die wegen ausbleibenden Erfolgs auf wachsende Kritik stößt.

Petraeus, der selbst am besten wissen dürfte, daß die im Irak angewendete Truppenaufstockung, das Auseinanderdividieren konfessioneller Konfliktparteien und die Anwerbung einheimischer Kräfte, die bislang auf der Seite des Widerstands standen, nicht auf die völlig anders gearteten Bedingungen Afghanistans zu übersetzen sind, wäre damit die ideale Wahl für einen Strategiewechsel hin zu einer aggressiveren Kriegführung. Da sich McChrystal erfolglos an einer "Aufstandsbekämpfung" abgearbeitet hat, die mit der Vermeidung ziviler Opfer bei effizienter Bekämpfung der von der Bevölkerung unterstützten Taliban und dem Aufbau tragfähiger politischer Strukturen, die gleichzeitig souverän erscheinen und im Sinne der Besatzer agieren sollen, vor unlösbaren Aufgaben steht, bleibt über der Schwelle eines zügigen Abzugs aller Truppen aus dem Land nur die militärische Eskalation. Da die Möglichkeit des Eingeständnisses, daß dieser Krieg nicht im beanspruchten Sinne zu gewinnen ist, mehr zerstören könnte als die Glaubwürdigkeit einiger Politiker und Militärs, ist mit einem schnellen Ende nicht zu rechnen.

Um einen seiner wichtigen Zwecke, die Demonstration der Einsatzbereitschaft und Kampfkraft der NATO, zu erfüllen bleibt nur eine deutlich aggressivere Vorgehensweise. Wie die Angriffe US-amerikanischer Drohnen in Pakistan, bei denen regelmäßig Zivilisten ums Leben kommen, belegen hält es sich mit dem angeblichen Gewinnen der Hearts and Minds der einheimischen Bevölkerung ohnehin in engen Grenzen. Barack Obama hat mit der Intensivierung des Krieges in Afghanistan unter Einbeziehung Pakistans Wahlkampf geführt und kann sich die langwierige Abnutzung der eigenen Truppen ohne das Vorzeigen konkreter Erfolge immer weniger erlauben. Mit Petraeus setzt er die höchste Trumpfkarte unter seinen Generälen ein, handelt es sich doch um den weltweit bekanntesten und auch in Washingtoner Regierungskreisen profiliertesten Militär der US-Streitkräfte. Um so prekärer wäre das fortgesetzte Scheitern bei der Vertreibung der Taliban und anderer Besatzungsgegner.

Eine deutliche Forcierung der militärischen Bemühungen unter vermehrtem Einsatz der brutalen Mittel einer Counterinsurgency, wie sie in den Kolonialkriegen in Algerien und Vietnam üblich war, zöge auch die Bundesregierung in Mitleidenschaft. Sie müßte mehr Gefallene in Kauf nehmen oder ihre erklärte Zugehörigkeit zum transatlantischen Bündnis zur Disposition stellen. Während führende US-Politiker bekräftigen, daß sich an der Strategie in Afghanistan nichts ändere und in der deutschen Presse Vorschußlorbeeren für Petraeus verteilt werden, bleibt es in Berlin eher still. Man ahnt, daß die Lobgesänge auf den neuen Oberbefehlshaber nach einer Antwort verlangen, die die nicht umsonst an dieser Debatte gar nicht teilhabenden Taliban keineswegs bereit sind zu geben.

24. Juni 2010