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KRIEG/1455: US-Regime verheißt dem Irak Schrecken ohne Ende (SB)



Der von der Obama-Administration zum 1. September proklamierte Abschluß der US-amerikanischen militärischen Mission im Irak und deren euphemistische Umdeklarierung zur "Operation New Dawn" verheißt den Irakern einen Schrecken ohne Ende. Da die Streitkräfte und Geheimdienste der Besatzungsmacht den Kampfeinsatz in eine dauerhafte Präsenz mit reduziertem Kontingent umwandeln, wird der Blutzoll der strategisch intendierten Destabilisierung und Fragmentierung auf die einheimischen Sicherheitskräfte und deren Opfer umgelastet, ohne daß die US-Militärs in ihrer neu definierten Funktion als "Berater" ihren Waffengebrauch im mindesten einschränkten.

Dies bestätigte sich bei der jüngsten Operation in der nördlich von Bagdad gelegenen Provinz Diyala, in deren Rahmen die US-Streitkräfte die irakischen Truppen massiv unterstützten. Im Zuge des fünf Tage währenden Feldzugs durchkämmten fast 600 einheimische Soldaten und Polizisten insgesamt 21 Städte und Ortschaften auf der Suche nach Waffenlagern und Insurgenten des sunnitischen Widerstands. Unweit der Stadt Al Hadid gerieten die Sicherheitskräfte unter Beschuß von Maschinengewehren und Granaten, worauf sie am Abend des 11. September US-Unterstützung anforderten, die ihnen umgehend gewährt wurde.

Die "Beratertätigkeit" entlud sich in einem zweitägigen Gefecht, in dem sich die US-Militärs keinen Zwang auferlegten. F-16-Kampfjets warfen 500-Pfund-Bomben ab, Hubschrauber vom Typ Apache und Kiowa feuerten mit 30-Millimeter-Bordkanonen und Maschinengewehren aus der Luft, 49 schwerbewaffnete US-Soldaten, darunter eine zehnköpfige Spezialeinheit, griffen am Boden in die Kämpfe ein.

Oberst Malcolm B. Frost, Kommandeur der Zweiten Beratungs- und Unterstützungsbrigade, drückte den Vorgang in Beantwortung einer Anfrage der New York Times per E-mail folgendermaßen aus: Man habe die Befehlshaber der irakischen Sicherheitskräfte durchgängig beraten sowie aus der Luft und am Boden dabei unterstützt, mehrere Angriffe gegen entschlossene und schwerbewaffnete feindliche Kräfte durchzuführen, die sich in einem Netz von Gräben in dieser dicht mit Palmen bewachsenen Gegend verschanzt hatten. Quälend langsam und in engstem Feindkontakt sei das Gefecht verlaufen, doch die US-Soldaten hätten permanent Präsenz gezeigt und den einheimischen Sicherheitskräften bei jedem Schritt beigestanden.

Bezeichnenderweise spricht das US-Leitmedium in seinem Bericht vom 13.09.10 von einem leichtverwundeten US-Soldaten, erwähnt aber die Verluste der irakischen Sicherheitskräfte, geschweige denn die Zahl der getöteten oder verwundeten Aufständischen mit keinem Wort. Als Sprachrohr des angeblich beendeten Kampfeinsatzes interessiert sich der Postkriegsjournalismus nicht für irakische Opfer, wohl aber für die heikle Aufgabe der US-Streitkräfte. So wird Oberst Frost mit den Worten zitiert, diese Operation unterstreiche die Bedeutung und Gefahren der Mission im Irak im Zuge der "Operation New Dawn", ohne daß der Charakter dieser Morgendämmerung auch nur ansatzweise unter die Lupe genommen würde.

An ungenutztem Material für kritische Einwände fehlt es nicht. So findet Erwähnung, daß es sich bei Oberst Frosts Einheit um eine Stryker-Kampfbrigade der 25. Infantriedivision in Hawaii handle, die in eine "Beratungseinheit" umgewandelt worden sei und nun ihren bislang umfassendsten Einsatz im Irak seit ihrer Verlegung im Juli durchgeführt habe. Zugleich konstatiert der Bericht lapidar, daß die sechs im Irak verbliebenen US-Beratungsbrigaden in personeller Ausstattung und Bewaffnung identisch mit Kampfbrigaden seien. Ihre Einsatzregeln erlaubten es ihnen, sich im Falle eines feindlichen Angriffs zu verteidigen wie auch den irakischen Streitkräften zu Hilfe zu kommen, wie das in den letzten Tagen der Fall gewesen sei.

Die naheliegende Schlußfolgerung, daß es sich demzufolge um Kampfbrigaden handelt, die ohne Rücksicht auf irakische Verluste aus allen Rohren feuern und den Krieg unvermindert fortsetzen, scheint sich der New York Times nicht aufzudrängen. Sie zieht es vor, die Probleme der US-Militärs zu drehen und zu wenden, die den Irakern angeblich lieber heute als morgen das Feld komplett überlassen würden, jedoch für eine Übergangszeit noch gebraucht würden. Das hört sich natürlich besser an als völkerrechtswidriger Angriffskrieg oder unbefristetes Besatzungsregime und läßt dem Journalismus jede Menge Raum, der US-Regierungspolitik mit Meinungsvielfalt suggerierenden Kritteleien zuzuarbeiten.

Wer interessiert sich schon für eine Million getötete und zwei Millionen vertriebene Iraker, für Hunger und Elend, eine zerstörte Infrastruktur, den Fortbestand der noch immer nicht vollständig aufgehobenen UN-Sanktionen oder die vor wenigen Tagen vereinbarten 400 Millionen Dollar "Entschädigung" für wenige Dutzend US-Bürger? Wie Amnesty International in einem am Montag in London veröffentlichten Bericht schreibt, würden in irakischen Gefängnissen 30.000 Häftlinge ohne Gerichtsverfahren und Kontakt zur Außenwelt festgehalten, während Willkür, Brutalität und Straflosigkeit für Folterer an der Tagesordnung seien. Die Gefängnisse seien überfüllt oder würden geheimgehalten, viele Gefangene seien infolge der Folter in Haft gestorben oder aufgrund von durch Folter erzwungenen Geständnissen hingerichtet worden. Seit Mitte 2007 hätten US-Einheiten rund 23.000 Häftlinge an die Iraker übergeben, obwohl ihnen die Mißhandlungen in deren Gefängnissen bekanntgewesen seien. Damit hätten die US-Streitkräfte gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen. (junge Welt 14.09.10)

Als habe es Abu Ghraib und andere Folterstätten nie gegeben, wies das irakische Justizministerium den ai-Bericht als "haltlos und nicht richtig" zurück. Dem schloß sich der US-Militärsprecher Oberstleutnant Bob Owen mit den Worten an, den Häftlingen drohe keine Mißhandlung, denn die Gefängnisse würden kontrolliert und entsprächen internationalen Standards. Insbesondere aber wies er jeglichen Vorwurf an die eigene Adresse zurück, da die USA keine internationalen Abkommen im Irak im Hinblick auf Gefangene verletzten. Nimmt man die US-Militärs und ihre irakischen Lakaien beim Wort, stößt man auf Schlimmeres als Lügen und Vertuschung, nämlich die erklärte Absicht, den Irak und seine drangsalierte Bevölkerung genau so zuzurichten, wie sich diese geschundene Region heute darstellt.

14. September 2010