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KRIEG/1472: Zündeln am Pulverfaß Korea - Seoul besteht auf Artilleriemanöver (SB)



Welcher Teufel die Regierung Südkoreas reitet, die Muskeln spielen zu lassen und dem Norden mit Unterwerfung zu drohen, liegt auf der Hand. Inspiriert von der Einkreisung Chinas durch die Vereinigten Staaten und deren Verbündete in Ostasien, wittert man in Seoul die langersehnte Beute der Wiedervereinigung, bei der es nur einen Sieger geben kann. Hochrangige Akteure in Politik und Administration sprechen bereits davon, daß man Vorkehrungen für die Zusammenführung treffen müsse, die sich am Horizont abzeichne. Endlich will man die späte Ernte des Koreakriegs einfahren, der 1953 mit einem Waffenstillstand zwischen den USA, Nordkorea und China für beendet erklärt wurde, dem sich Südkorea nicht anschloß. Das Regime in Seoul trug sich damals mit der Hoffnung, den Norden in Kürze überrennen zu können und die Herrschaft auf der gesamten koreanischen Halbinsel an sich zu reißen.

Aus den Tagen des verweigerten Waffenstillstands und des nie geschlossenen Friedensvertrags resultiert auch die Ziehung einer Seegrenze zwischen den beiden Staaten, die von Anfang an unklar und umstritten war, vor allem aber die fischreichsten Gewässer dem Süden zuschlug. Künftige Konflikte waren unvermeidlich wenn nicht gar sehenden Auges von den USA und ihrem Verbündeten Südkorea angelegt, um die Verhältnisse gewaltsam zu ihren Gunsten zu ändern. Wollte man den nie gänzlich versiegenden Streit um angebliche oder tatsächliche Grenzverletzungen aus der Welt schaffen, würde es vermutlich ausreichen, die Seegrenze weiter nach Süden zu verlegen und zu begradigen, wozu jedoch noch keine südkoreanische Regierung bereit war.

Die angeblichen Provokationen und einseitigen Übergriffe Nordkoreas im Seegebiet erweisen sich bei nüchterner Prüfung als nie beendeter Streit um Hoheitsrechte und Fischgründe, der keineswegs nur vom Norden und grundlos vom Zaun gebrochen wird. Das gilt auch für den Artilleriebeschuß am 23. November, bei dem zwei Zivilisten und zwei Soldaten auf der rund elf Kilometer vor der nordkoreanischen Küste gelegenen Insel Yeonpyeong ums Leben kamen und damit erstmals seit dem Ende des Koreakriegs 1953 wieder von Zivilisten bewohnte Gebiete angegriffen wurden. Vorausgegangen war ein südkoreanisches Manöver, in dessen Verlauf von beiden Seiten beanspruchte Gewässer im Gelben Meer beschossen wurden, was Nordkorea als Provokation auffaßte.

Nach dem Angriff auf Yeonpyeong, der von südkoreanischer Seite nicht zu einem sofortigen Gegenschlag genutzt wurde, sah sich die Führung in Seoul wegen ihrer angeblich zu zurückhaltenden und zu langsamen Reaktion heftiger Kritik ausgesetzt. Nationalistische Emotionen kochten hoch, der Verteidigungsminister mußte sein Amt räumen und die Regierung unter Präsident Lee Myung Bak versprach, eine härtere Gangart gegenüber dem nördlichen Nachbarn einzuschlagen. Es wurden Artilleriemanöver im ganzen Land angesetzt, die nun auch auf der kleinen Insel Yeonpyeong in der Nähe der umstrittenen Seegrenze zwischen Nord- und Südkorea durchgeführt werden sollen. Die Übung werde innerhalb des südkoreanischen Gewässers jenseits der Grenzlinie stattfinden, behauptete ein Mitarbeiter des südkoreanischen Generalstabs. Im übrigen führe man diese Art von Training regelmäßig durch. [1]

Die Regierung in Pjöngjang hat nun eine deutliche Warnung an den Süden gerichtet. Sollte die Artillerieübung ungeachtet aller Warnungen abgehalten werden, werde man einen zweiten und dritten Schlag führen, um das eigene Land und seine Gewässer zu verteidigen, wie man es gegenüber der Welt erklärt habe, sagte der Ansager im staatlichen nordkoreanischen Fernsehen. Unterdessen haben auch Rußland und die Volksrepublik China die geplante Schießübung scharf verurteilt, da sie die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel zweifellos erhöht. Chinas Außenminister hat sogar den südkoreanischen Botschafter einbestellt, um seine Besorgnis zum Ausdruck zu bringen.

Wie nun aus Kreisen des südkoreanischen Verteidigungsministeriums verlautete, werde die geplante Artillerieübung um einige Tage verschoben, da ungünstige Wetterbedingungen mit Nebel und starkem Wind die Durchführung zum geplanten Zeitpunkt nicht geraten erscheinen ließen. Ganz abgesagt hat man das Manöver auf Yeonpyeong aber noch nicht, wobei Präsident Lee Myung Bak bislang bei seiner harten Haltung geblieben ist und sich dabei der Rückendeckung aus Washington sicher sein kann.

Nordkorea solle nicht länger legitime Militärübungen als Rechtfertigung für weitere Provokationen heranziehen, erklärte Außenamtssprecher Philip Crowley in Washington. Jedes Land habe das Recht zu solchen Übungen. Das Manöver soll sogar von Mitgliedern des US-geführten UN-Kommandos in Südkorea beobachtet und von 20 US-Soldaten unterstützt werden. Allerdings könne es "trotz der transparenten Vorgänge um das Manöver" zu einer Reaktion Nordkoreas kommen, die eine "mögliche Kettenreaktion auslösen könnte", erklärte General James Cartwright, Vizechef des US-Generalstabs, doppeldeutig. [2]

Die wenigen auf der Insel verbliebenen Bewohner verurteilen Nordkorea, haben aber vor allem Angst vor weiteren Angriffen und fürchten natürlich, daß sie im Falle südkoreanischer Schießübungen die Leidtragenden eines erneuten Beschusses aus dem Norden werden. In Seoul gingen zahlreiche Menschen auf die Straße, um gegen das geplante Manöver zu protestieren. Es dränge sich der Verdacht auf, daß das Verteidigungsministerium versucht, den Norden in einen regionalen Krieg zu verwickeln. Die größte Oppositionspartei des Landes hat ebenfalls dazu aufgerufen, die Übung abzusagen und stattdessen wieder das Gespräch zu suchen.

Gegenwärtig hält sich der Gouverneur von New Mexico, Bill Richardson, als Privatperson und inoffizieller Gesandter in Pjöngjang auf. Er hat nach ersten Gesprächen mit Vertretern Nordkoreas alle Beteiligten zur größtmöglichen Zurückhaltung aufgefordert und gewarnt, die koreanische Halbinsel gleiche derzeit einem Pulverfaß. Seines Erachtens suche auch die Regierung Nordkoreas nach Wegen, die Spannungen abzubauen. Sein Wort in Präsident Obamas Ohr, möchte man sich wünschen, doch steht zu befürchten, daß das Zündeln am Pulverfaß strategischer Natur ist.

Anmerkungen:

[1] Nach Drohungen aus Nordkorea. Südkorea hält an Manöver fest (18.12.10)
http://www.tagesschau.de/ausland/koreakonflikt116.html

[2] Nordkorea droht erneut mit Beschuss bei Manöver des Südens (18.12.10)
http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5hxHEWBvDSp4crd3JsSQCZTeZxEUA?docId=CNG.79a0c935379afd1feb647095644b4ca5.761

18. Dezember 2010