Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1484: Wo die Macht herkommt ... Gaddafi soll dran glauben (SB)



Überlegene Waffengewalt als Fundament ökonomischer und politischer Stärke garantiert den Status der Vereinigten Staaten als Führungsmacht. Washington Schwäche zu attestieren oder gar den baldigen Untergang des "Imperiums" zu prophezeien, droht in die Sphäre des Fabulierens zu entufern, sofern derartige Erwägungen nicht mit einer fundierten Analyse der aktuellen militärischen Potentiale und deren Fortschreibung in die Zukunft aufwarten können. Wenn die USA den Libyenkrieg nicht mehr in vorderster Front anführen, muß das nicht zwangsläufig ein Zeichen ihres beginnenden Niedergangs sein.

Der republikanische Senator John McCain drückte dies bei einer Rede vor dem US-islamischen Weltforum in Washington mit folgenden Worten aus: "Wir schätzen den Beitrag unserer Verbündeten und namentlich jenen der Briten und Franzosen - aber in Wirklichkeit sind doch die Vereinigten Staaten die NATO!" [1] Seine Forderung, die US-Regierung solle mit der geballten Wucht hochspezialisierter Kampfflugzeuge den Regimewechsel in Libyen herbeibombardieren, repräsentiert indessen nur die brachiale Variante bellizistischer Dominanz. Nicht minder bedeutsam für eine zukunftsfähige Architektur der Herrschaftssicherung sind der umsichtige Einsatz der vorhandenen Kräfte, die Inanspruchnahme der Verbündeten und nicht zuletzt der Ausbau einer legalistischen Unterfütterung selbstmandatierter Angriffskriege.

Erinnern wir uns: Vor 25 Jahren - in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1986 - sandte US-Präsident Ronald Reagan Jagdbomber und Kampfflugzeuge nach Libyen, die im Rahmen der "Operation El Dorado Canyon" Muammar al-Gaddafi ausschalten sollten. Dem zwölfminütigem Bombardement in Tripolis und Benghasi fielen nach Angaben des britischen Senders BBC mindestens hundert Menschen zum Opfer, während Gaddafi in seiner "Festung" Bab al-Aziziya den Angriff überlebte. Der Militärschlag gegen Libyen wurde damals von mehreren europäischen Ländern mißbilligt, was dazu führte, daß Frankreich, Italien und Spanien keine Überflüge gestatteten. So mußten die Kampfbomber, die in Großbritannien starteten, über die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer fliegen. Überdies schickten mehrere Regierungen, darunter nachweislich jene Italiens und Maltas, Warnungen nach Tripolis. Angaben des früheren libyschen Außenministers Abdel Rahman Shalgham zufolge hat der damalige italienische Premierminister Bettino Craxi Gaddafi persönlich informiert, was dem Revolutionsführer das Leben gerettet habe. [2]

Augenscheinlich war den europäischen Mittelmeeranrainern das Hemd wirtschaftlicher Beziehungen zu Libyen und ganz Nordafrika näher als der Rock eines Kriegsszenarios, das Reagan mit dem Recht, ja der Pflicht seines Landes zur Selbstverteidigung begründete. Gaddafi habe zu viele Attentate auf US-Einrichtungen und Bürger auf dem Gewissen. Der Bombenanschlag auf die Diskothek "La Belle" in Berlin, bei der drei Personen, darunter ein US-amerikanischer Sergeant, umgekommen waren, diente schließlich als Vorwand, nur zehn Tage später den Luftangriff durchzuführen. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis sich die federführend von US-Regierungen konzipierte Strategie des "Antiterrorkriegs" zur vollen Wirkung entfaltete.

Wie dieser kurze historische Rückblick belegt, ging der Dissenz zwischen einzelnen NATO-Mitgliedern 1986 so weit, daß das Vorhaben der USA von einigen Verbündeten regelrecht hintertrieben wurde. Viele Staaten, darunter auch europäische, verurteilten offen den Angriff auf Libyen, worauf mit 79 zu 28 Stimmen eine entsprechende UN-Resolution verabschiedet wurde. Die Beziehungen zwischen den USA und Libyen verbesserten sich erst im Jahr 2004, nachdem die von Vernichtung bedrohte libysche Führung ein Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und offiziell den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen erklärt hatte. Dies war der vorerst entscheidende Akt der Unterwerfung, da sich Libyen mit dem erklärten Verzicht auf die Entwicklung von Waffen, welche die USA als einzige fürchten mußten, auf Gedeih und Verderb der Führungsmacht auslieferten. Weit über die Frage hinaus, ob ein Land wie Libyen überhaupt willens und in der Lage gewesen wäre, in den Besitz von Massenvernichtungswaffen zu gelangen, repräsentierte das Einlenken der Regierung in Tripolis den grundlegenden Verzicht auf jegliche Fundamentalopposition gegen die USA und mithin auch die Mächte Europas.

Wie die aktuelle Entwicklung zeigt, hat sich Muammar al-Gaddafi mit dieser Unterwerfung und den nachfolgenden Dienstleistungen wie gesicherten Öllieferungen oder insbesondere der vorgelagerten Bekämpfung der Migration im Dienst der EU nur eine Galgenfrist erwirkt. Die ursprüngliche Vertreibung der Amerikaner aus seinem Land, die Verstaatlichung der Ölindustrie, die ambitionierten Pläne zur Einheit Afrikas, die Ansätze sozialer Umgestaltung und vieles mehr machten ihn aus Sicht Washingtons zu einem unsicheren Kantonisten, den zu vernichten man sich vorbehielt. Als zeitweiliges Werkzeug Washingtons und der europäischen Mächte genoß Gaddafi nur solange deren Duldung, wie nicht ein übergeordneter Zweck seine letztendliche Beseitigung opportun erscheinen ließ. Der Schurke von einst und zwischenzeitliche Partner ist heute wieder der "Diktator", dem man mit allen gebotenen Mitteln in den Arm fallen muß.

Wenn sich die Obama-Administration und das US-Oberkommando angesichts der Kriege im Irak und in Afghanistan nicht danach drängen, auch noch in Libyen in ein unabsehbares Hauen und Stechen verwickelt zu werden, ist das noch nicht der Anfang vom Ende der imperialen Führerschaft der USA. Diese verfügen mit Frankreich und Großbritannien, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und natürlich Israel über Verbündete, die als Sachwalter ihrer Interessen in Nordafrika und dem Nahen Osten ihr Werk verrichten.

So haben die Präsidenten Barack Obama und Nicolas Sarkozy sowie der britische Premierminister David Cameron in einem gemeinsam verfaßten Zeitungsbeitrag deutlich gemacht, daß es für Libyen keine Zukunft mit Gaddafi geben dürfe. Die drei Staatsführer versprachen, die Operation der Koalition so lange fortzuführen, bis "der Despot" gestürzt sei. [3] Diese konzertierte Aktion, die von der "Times", "Le Figaro", der "Washington Post", der "International Herald Tribune" und der englischsprachigen "Al-Hayat" nahezu zeitgleich veröffentlicht wurde, unterstreicht, in welchem Ausmaß die Selbstermächtigung der USA zur Kriegsführung seit 1986 ausgebaut wurde und von ihren Verbündeten mitgetragen wird.

Überließe man Libyen seinem Schicksal, bestehe das Risiko, daß das Land zu einem "gescheiterten Staat" werde. So lange Gaddafi an der Macht sei, müßten die NATO und ihre Koalitionspartner ihre Operationen weiterführen, so daß Zivilisten geschützt blieben und Druck auf das Regime aufgebaut werde, heißt es in dem Artikel weiter. Die Welt machte sich eines "skrupellosen Verrats" schuldig, bliebe Gaddafi an der Macht. Auch eine Waffenruhe mit einem Ausstiegsszenario für ihn, das Familienmitglieder an der Macht belasse, sei nicht akzeptabel. "Es ist undenkbar, daß jemand, der sein eigenes Volk massakrieren wollte, eine Rolle in einer künftigen Regierung spielt", steckten Obama, Sarkozy und Cameron kriegspropagandistisch den Rahmen ab, um allen Vermittlungsinitiativen und Verhandlungslösungen das Wasser abzugraben. Was letztendlich geschieht, bestimmt die Waffengewalt, ob sie nun kriegstreiberisch in vorderster Front bombardiert oder machiavellistisch verteilt zum Schlag gegen die Feinde und zur Fessel der Freunde in Stellung gebracht wird.

Anmerkungen:

[1] Divisions deepen as NATO digs in for a prolonged war against Libya (15.04.11)
World Socialist Web Site

[2] Bomben auf Ghadhafi. Vor 25 Jahren wollte Ronald Reagan Libyens Machthaber ausschalten (14.04.11)
NZZ Online

[3] Ghadhafi soll nicht davonkommen. Obama, Sarkozy und Cameron verpflichten sich zum Durchhalten (15.04.11)
NZZ Online

16. April 2011