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KRIEG/1529: Säbelrasseln gegen Teheran - Israels Flucht nach vorn (SB)



Je tiefere Risse die über Jahrzehnte aufgebaute Hegemonialarchitektur Israels durchziehen, desto bornierter scheint sich der Tunnelblick der rechtsgerichteten Regierung in Jerusalem auf die Option des Krieges zu verengen. Als könne ein Angriff auf den Iran den gordischen Knoten der unauflösbaren Verflechtung zugespitzter Widerspruchslagen mit einem Befreiungsschlag durchtrennen, setzt man die jahrelang vorgehaltene Drohung der Abstrafung Teherans mit Macht auf die aktuelle Tagesordnung. Offenbar haben die Umwälzungen im arabischen Umfeld, die bemerkenswerten Initiativen der Palästinenser und die Sozialbewegung im eigenen Land die politische Führung derart verunsichert, daß die Doktrin eigener Suprematie auf Grundlage unabweislicher Waffengewalt alle anderen Erwägungen aus dem Feld schlägt.

Riskiert Israel allen Ernstes einen Luftangriff auf Einrichtungen des iranischen Atomprogramms, der die gesamte Region in einen Flächenbrand zu stürzen drohte? Präsident Schimon Peres schürte das Feuer in einem Fernsehinterview mit den Worten, die Geheimdienste aller Länder wüßten, daß die Zeit abläuft, und warnten ihre Führer. Da der Iran schon in sechs Monaten eine Atombombe besitzen könne, sei die Welt Israel gegenüber in der Pflicht, die iranischen Atombestrebungen zu stoppen. "In der noch verbleibenden Zeit müssen wir die anderen Staaten der Welt zum Handeln drängen und ihnen sagen, dass es nun Zeit ist, die uns gegebenen Versprechen einzulösen, ihre Pflicht entweder durch harsche Sanktionen oder durch militärisches Handeln zu erfüllen", forderte der 88jährige Staatschef. Hierbei könnte es nicht reichen, Sanktionen zu verhängen. [1]

Die Selbstverständlichkeit, mit der die Führungseliten in Jerusalem alle Welt für ihre Zwecke zu rekrutieren trachten und dies aus einer Pflicht gegenüber dem Staat Israel ableiten, ist Ausdruck ihrer Stärke. Dennoch steht diese Übermacht auf tönernen Füßen, sollte der unabweisliche Einwand Fuß fassen, daß man nur dann von einer Lehre aus der Geschichte sprechen kann, wenn sich die Unterworfenen von gestern nicht zu den Herren von heute aufschwingen. Wenngleich es der urmenschlichen Überlebensratio entspricht, die eigene Sicherheit ausschließlich in der Verunsicherung anderer bis hin zu deren Vernichtung zu verorten, sollten Zweifel Raum greifen, ob nach Afghanistan, dem Irak und Libyen tatsächlich der nächste und vermutlich noch verheerendere Angriffskrieg das Mittel der Wahl sein kann.

Von allgemeiner Vernunft kann man in diesem Zusammenhang nicht sprechen, da die Logik der Herrschaft unmöglich die ihrer Opfer sein kann. Die Führung in Jerusalem und Washington, Brüssel, London, Paris und Berlin hat massive Gründe, aus militärischen, politischen und wirtschaftlichen Erwägungen den nicht zu bewältigenden Krisen mit der Flucht nach vorn in den unausgesetzten Kriegszug zu entsprechen. Da Vernichtungs- und Zerstörungspotentiale die einzigen Maßgaben systemischer Vorteilsnahme sind, zündelt man an der Spitze des Brandes in dem Kalkül, auf diese Weise am sichersten die andern in den Flammen umkommen zu lassen.

"Netanjahu versucht sein Kabinett dazu zu bewegen, einen Angriff auf den Iran zu unterstützen", titelte die Zeitung Haaretz und die Jerusalem Post ergänzte, wie ein solcher Angriff im mehr als 1.500 Kilometer entfernten Iran ablaufen könnte. Haaretz sah Israel zuletzt bereits am "Vorabend des Krieges", während das meistgelesene Blatt Jediot Archronot den früheren Berater der US-Regierung, Bruce Riedel, mit der Aussage zitierte, es bestünde die Gefahr eines Krieges "von Gaza bis Afghanistan". [2] Parallel dazu stimmt man die Bevölkerung mit Notstandsübungen auf das Verhängnis ein: Im Großraum Tel Aviv heulten bei einem simulierten Raketenangriff die Sirenen, während Einheiten des Heimatschutzes, der Polizei, der Feuerwehr und des medizinischen Notdienstes die Evakuierung von Gebäuden sowie die Versorgung von Zivilisten probten. Daran waren auch Spezialisten für chemische und biologische Angriffe beteiligt.

Erstmals seit drei Jahren gaben die israelischen Streitkräfte wieder einen Raketentest öffentlich bekannt. Dabei soll es sich um die erfolgreiche Erprobung einer ballistischen Rakete gehandelt haben, die einen nuklearen Sprengkopf bis in den Iran tragen kann. Vor wenigen Tagen kehrten israelische Kampfflugzeuge von einem NATO-Manöver auf Sardinien zurück, wo insbesondere das Auftanken in der Luft während längerer Flüge sowie Luftkämpfe geübt wurden. Obgleich Israel kein NATO-Mitglied ist, steht seinen Streitkräften bereits seit Jahren der Luftraum über mehreren europäischen Ländern offen.

Sind die Verbündeten, ohne deren Unterstützung Israels Dominanzstreben zum Scheitern verurteilt wäre, zum nächsten Krieg bereit? Für die Briten trifft das offenbar zu, denn wie der Guardian schrieb, bereite man sich zur Unterstützung eines möglichen US-Angriffs auf Schläge gegen Ziele im Iran vor. Militärstrategen prüften derzeit, wo Schiffe und U-Boote der Royal Navy stationiert werden könnten, um Marschflugkörper abzufeuern. Sollte sich Washington für einen Angriff entscheiden, werde britische Hilfe erbeten und gewährt, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Quellen im Verteidigungsministerium. Die USA und Israel hätten versucht, mit dem Computerwurm Stuxnet die iranischen Nuklearanlagen zu manipulieren, doch sei der angerichtete Schaden inzwischen wieder behoben, schrieb der Guardian. [3]

Angeblich hat US-Präsident Barack Obama kein Interesse, in ein neues militärisches Abenteuer gezogen zu werden. Die Einstellung der US-Regierung könne sich aber ändern, sollten sich Erkenntnisse westlicher Geheimdienste über neue Nuklearpläne Teherans verdichten. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) werde in der kommenden Woche einen Bericht vorlegen, der Auskunft über ein mögliches Atomwaffenprogramm des Iran geben könnte. Da die USA ihren Truppenabzug aus dem Irak mit einer deutlichen Stärkung ihrer Militärpräsenz in den Golfstaaten verbinden, steht die Phalanx Gewehr bei Fuß, den Iran mit einem Angriffskrieg zu überziehen. Angesichts der jüngsten Meldungen ist zu befürchten, daß die beteiligten Regierungen übereingekommen sind, die seit Jahren vorgehaltene Option dieses Krieges definitiv in die Frage des günstigsten Zeitpunkts und der zu verteilenden Rollen zu überführen.

Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-11/israel-iran-militaerschlag

[2] http://www.stern.de/politik/ausland/angriff-israels-gegen-den-iran-medienberichte-beschwoeren-kriegsgespenster-1747462.html

[3] http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-11/grossbritannien-iran-atomprogramm

5. November 2011