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KRIEG/1548: Durch Erniedrigung und Unterwerfung an zivilisatorischer Suprematie genesen (SB)



Erniedrigung und Unterwerfung ist der Name des vermeintlichen Spiels, das Szenen wie die des Urinierens US-amerikanischer Soldaten auf ihre afghanischen Opfer hervorbringt. Es beginnt lange vor der Herabwürdigung der Opfer eigener Gewalt mit der politischen Entscheidung zum Führen imperialistischer Kriege, mit den gesellschaftlichen Bedingungen sozialdarwinistischer Konkurrenz, mit der Zurichtung junger Männer zu Mordmaschinen, mit der patriarchalischen Tradition des Militarismus und der affirmativen Funktion der Kulturindustrie bei der Durchsetzung hegemonialer Interessen.

Der unverhohlene Spaß, den die US-Marines dabei haben, sich mit diesem beschämenden Akt um ein weiteres über ihre Opfer zu erheben, reißt der angeblich humanitären und gerechten Sache dieser Kriegführung die Maske vom Gesicht der aggressiven Durchsetzung eigener Ziele. Die große Empörung, mit der die US-Führung auf diesen obszönen Akt reagiert, ist denn auch weniger der exemplarischen Menschenverachtung einer Kriegführung geschuldet, die als Mittel der Interessensicherung ihren festen Platz im Arsenal ihrer Außenpolitik hat. Wenn US-Außenministerin Hillary Clinton sich darüber echauffiert, daß "ein solches Verhalten unvereinbar mit amerikanischen Werten und den Erwartungen an das eigene Militär" sei, dann ist ihr Ärger vor allem dem Schlag ins Kontor eigener Glaubwürdigkeit geschuldet.

Angesichts der Szenen aus Abu Ghraib, wo militärische Verfügungsgewalt über Leben und Würde anderer Menschen als kollektiver Gaudi zelebriert wurde, der Verschleppung und unbefristeten Einkerkerung von Menschen, die als "illegale Kombattanten" jeglichen Rechtsstatus beraubt wurden und der Unmenschlichkeit der dabei angewendeten Folterpraktiken wie der des Waterboardings sollte es hier eigentlich nicht mehr viel Ansehen zu zerstören geben. Im Kern sind die PR-Strategien der Public Diplomacy denn auch weit entbehrlicher als die exekutive Willkür eines Staates, dessen per Drohne vollzogene Hinrichtungspraxis nicht einmal vor eigenen Bürgern zurückschreckt. Die Durchsetzungskraft kolonialistischer Gewalt steht und fällt mit der Rücksichtslosigkeit ihrer Anwendung. Wer andere Länder erobern und besetzen will, ohne bei der Unterdrückung des dadurch provozierten Widerstands zum äußersten bereit zu sein, taugt nicht zum Aggressor und läßt sich nicht auf derartige Abenteuer ein.

Erniedrigung und Unterwerfung sind programmatische Elemente des Drills von Soldaten im allgemeinen und Sturmtruppen im besonderen. Einen Menschen aufs Töten anderer Menschen zuzurichten, die ihn nicht in persönlicher Feindschaft zur Selbstverteidigung nötigen, sondern die als Repräsentanten eines abstrakten Gegners ebensogut der beste Freund sein könnten, setzt seine prinzipielle Dehumanisierung voraus. Dies gilt in besonderer Weise für Kampftruppen, die für offensive Einsätze in fremden Ländern ausgebildet werden. Dort muß nicht nur die militärische Landesverteidigung überwunden, sondern auch die Bevölkerung so sehr in Angst und Schrecken versetzt werden, daß sie gar nicht erst auf den Gedanken kommt, sich einem Partisanenkampf gegen die Eroberer anzuschließen oder ihn zu unterstützen. Shock and Awe lautet der programmatische Titel der strategischen Doktrin, den Gegner gleich zu Beginn des Angriffs mit solch einer überdimensionalen Feuerkraft niederzumachen, daß er schon durch die Wucht der vorgetragenen Aggression jeden Gedanken an Verteidigung aufgibt.

Auf dem Gefechtsfeld findet dieses vor allem auf den Bombenkrieg gemünzte Konzept ihre Entsprechung in der massiven Zerstörungskraft, mit der gegnerische Einheiten inklusive der in ihrer Nähe befindlichen Zivilisten umgebracht werden. Die US-Marineinfanterie bildet neben Fallschirmjägern und Special Forces den Kern dieser Sturmtruppen und wird bei der Ausbildung dementsprechend auf zuverlässiges Funktionieren auch in bedrängter Lage gedrillt. Die dazu erforderliche Bereitschaft, auf alles zu schießen, was einem vor die Mündung gerät, und jeden Befehl ohne weitere Umstände auszuführen, ist das Ergebnis einer Brutalisierung, die zu bewirken die Drill Sergeants der US Marines einen legendären Ruf genießen. Daß die bedingungslose Unterordnung unter die militärische Befehlsgewalt eine spezifische Kultur maskuliner Kumpanei hervorruft, zeigt sich auch an der unter Soldaten verbreiteten Homophobie und der hohen Zahl vergewaltigter US-Soldatinnen.

Unterstützt wird die Legitimität patriarchalischer Gewalt durch eine Ideologie der Gewinner, die das Glücksversprechen der US-Verfassung auf einen Katechismus marktliberalen Erfolgsstrebens verengt hat. Die Demütigung der Verlierer ist Voraussetzung des The-Winner-Takes-It-All-Pathos, wie er etwa in der medialen Inszenierung der Gladiatoren des Sports, der Vorbilder kapitalistischen Entrepreneurships oder der Helden gerechter Kriege Urständ feiert. Anderen überlegen zu sein ist die Würze eines Erfolgsdenkens, das in seiner archaischen Form über Leben und Tod entscheidet. Daß dies auch inmitten eines Modernisierungsprozesses gilt, der vormoderne Stammesgesellschaften an freedom & democracy genesen lassen soll, läßt ahnen, auf wieviel Leid und Not jene Zivilisation errichtet ist, die aus Neid um ihre Errungenschaften zu zerstören laut US-Präsident George W. Bush Absicht Al Qaidas ist.

Empört zu sein über diese Leichenschändung, sich jedoch einer Kulturindustrie nicht zu schämen, die, wie die National Security-Serie "24", Folter als notwendiges Mittel der Landesverteidigung propagiert, die die Stärke der eigenen industriellen Produktivkraft, wie etwa die Blockbuster der Transformers-Reihe, als erregendes Spektakel militaristischer Zerstörungsgewalt inszeniert oder deren Feindbildproduktion mit rassistischen Stereotypien en masse aufwartet, macht also durchaus Sinn. Verteidigt wird die systemische Basis von Erniedrigung und Unterwerfung mit ihrem symbolpolitischen Dementi. Fast könnte man meinen, daß die immer wieder erfolgende Skandalisierung demonstrativer Akte der Demütigung eines Gegners durch US-Truppen eine willkommene Gelegenheit darstellt, die außerordentliche Mission US-amerikanischer Globalhegemonie anhand der öffentlichen Verurteilung ihrer Untergrabung durch die Exzesse einiger weniger, im US-amerikanischen Legitimationsdiskurs als few bad apples zum Schutz ihrer unsichtbar bleibenden Befehlshaber ins biologistische Bild gesetzter Bösewichte zu rechtfertigen. Gleichzeitig verläßt man sich in Washington darauf, daß die Botschaft rücksichtsloser Durchsetzung eigener Ziele bei den Adressaten ankommt und einer Logik der Eskalation zuarbeitet, die neue Vorwände der Ermächtigung zum Kriege freisetzt.

13. Januar 2012