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KRIEG/1571: Angriffskrieg und Waffengeschäft - Zwillingspaar imperialistischen Übergriffs (SB)




Die leider allzu oft ausgeblendete bellizistische Faktenlage der herrschenden Verhältnisse, daß nur überlegene Waffengewalt die Einhaltung internationaler Abkommen zur Rüstungskontrolle und Beschränkung des Waffenhandels garantieren und durchsetzen kann, macht zwangsläufig den Bock zum Gärtner. Nicht um ein Ende von Angriffskriegen, Schüren von Bürgerkriegen und Aufmunitionieren regionaler Konflikte geht es dabei, sondern deren Aussteuern ganz nach den Maßgaben der stärksten beteiligten Mächte und Akteure. Die militärischen Schwergewichte USA, Rußland, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland sind zugleich die führenden Waffenexporteure und bestreiten weltweit rund 80 Prozent aller Lieferungen. Rüstungsgüter zu entwickeln, produzieren, erproben, einzusetzen und verkaufen ist nach ihrem Kalkül ein mehr oder minder integraler Prozeß der Sicherung und des Ausbaus ihrer Vorherrschaft auf allen Gebieten. Wenngleich militärische, politische und ökonomische Komponenten dabei zusammenwirken, greift doch jeder Ansatz zu kurz, der einzelne Aspekte aus diesem Kontext reißt und damit unzulässig isoliert.

Das gilt auch für das internationale Waffenhandelsabkommen (Arms Trade Treaty, ATT), das nach gut dreiwöchigen Verhandlungen in New York verabschiedet werden soll. Das ambitionierte Vorhaben, erstmals verbindliche internationale Regeln für den weltweiten Handel mit Waffen festzulegen, mit dem jährlich ein Umsatz von schätzungsweise 55 Milliarden Euro erzielt wird, krankt nicht zuletzt an seinen kaum überprüften Voraussetzungen. Den Schwarzmarkt für Kleinwaffen auszumerzen, um zu verhindern, daß Gewehre und Pistolen in die Hände von "Terroristen und Verbrecherorganisationen" geraten, unterscheidet von vornherein zwischen legalem und illegalem Waffengebrauch. Darüber zu befinden, wer unrechtmäßig von Rüstungsgütern Gebrauch macht und wer im Gegenteil ein unterstützenswertes Anliegen mit Waffen unterfüttert, entscheidet sich allein nach den Kriterien der jeweils angelegten Freund-Feind-Kennung seitens der Großmächte.

"Laut dieser Bestimmung könnte Russland weiterhin Waffen und Munition an Syrien liefern, auch wenn die syrischen Regierungsstreitkräfte damit Massaker an der Bevölkerung begehen", kritisiert Control Arms, das internationale "NGO-Netzwerk für einen wirkungsvollen Waffenhandelsvertrag" [1] eine vermeintliche Schwachstelle im vorgelegten Entwurf des Waffenhandelsabkommens. Diese Aussage könnte bezeichnender nicht sein, übernimmt Control Arms damit doch die westlicherseits vorgehaltene Version des Konflikts, ohne die Provenienz, Zielsetzung und Aufrüstung des breiten Spektrums der Gruppierungen beim Namen zu nennen, die den Regimewechsel in Syrien betreiben.

Daß sich die USA und die führenden europäischen Staaten alle Optionen offenhalten, unterstreicht auch der Umstand, daß nicht einmal die völkerrechtlich verbindlichen Bestimmungen der Genfer Konventionen - beispielsweise zum Verbot des Beschusses ziviler Ziele - als Kriterien in den Entwurf aufgenommen wurden. Auch sollen zwischenstaatliche Verträge über Waffenlieferungen, die noch vor Verabschiedung des UNO-Abkommens abgeschlossen wurden, erfüllt werden dürfen, unabhängig davon, wie sich die Lage in dem Empfängerland inzwischen entwickelt hat. Nachdem zu Beginn der Verhandlungen Anfang Juli noch über 80 Prozent aller Teilnehmerstaaten verlangt hatten, daß alle konventionellen Großwaffensysteme unter das Abkommen fallen sollen, haben die USA eine Ausnahme für unbemannte Drohnen durchgesetzt. Zudem soll auf Verlangen Washingtons und einer Handvoll weiterer Regierungen auch der Handel mit Munition für konventionelle Waffen nicht durch das Abkommen reguliert werden.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) formulierte eine für seine Verhältnisse ungewöhnlich scharfe Kritik am Entwurf: "Die wichtigsten Paragrafen des Vertragsentwurfs haben immer noch große Schlupflöcher; sie würden nur den Status quo bestätigen, anstatt einen hohen internationalen Standard zu setzen, der die Praxis der Staaten tatsächlich verändert und Leben rettet. Oxfam, Amnesty International und die anderen Mitglieder der "Control Arms"-Kampagne bezeichneten den Entwurf als "viel zu schwach, um seine humanitären Ziele zu erreichen". Zudem fehlten im vorläufigen Text neben Vereinbarungen zu Drohnen auch solche zu kleinkalibriger Artillerie und Tränengas, wie auch zu Waffengeschenken von einer Regierung an eine andere keine Aussage getroffen würde. Vollends offen bleibt, wie ein verabschiedetes Abkommen umgesetzt und überwacht werden könnte. So müßten sich die Regierungen der Vertragsstaaten zumindest dazu verpflichten, über ihre Genehmigungs- und Lieferpraxis regelmäßig öffentlich zu berichten.

Daß genau das nicht geschehen wird, ist kein weiteres Schlupfloch im Entwurf, sondern wie alle anderen vermeintlichen Schwachstellen des vorgelegten zehnseitigen Papiers Konsequenz der darin zum Ausdruck kommenden Interessenlage. Die Forderung der NGOs, Waffenhandel müsse verboten werden, wenn in den Empfängerländern "systematisch die Menschenrechte verletzt, Angriffskriege geführt oder die soziale und die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt werden", zeigt in aller Deutlichkeit, woran die Initiative in erster Linie krankt. Nähme man diesen Katalog ernst, müßte man ihn zuallererst gegen die größten Kriegstreiber und führenden Waffenlieferanten wenden.

Diese Gefahr sieht der Chef der deutschen Delegation bei der UN-Waffenkontrollkonferenz, Jörg Ranau, offenbar nicht heraufziehen: Gelinge es den UN-Mitgliedern, Streitpunkte wie das Einbeziehen von Munition zu überwinden, habe man gute Chancen, ein starkes internationales Abkommen zur Kontrolle des Waffenhandels zu erzielen. [3] Diese Einschätzung verwundert nicht, sind doch die deutschen Exportrichtlinien, die Waffenlieferungen an Diktaturen sowie in Kriegs- und Krisengebiete verbieten, bekanntlich kein Hinderungsgrund. Wie die an das UN-Kleinwaffenregister gemeldeten Exporte des Jahres 2011 belegen, wurden im Jahr 2011 Gewehre, Sturmgewehre und Maschinenwaffen unter anderem an Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Afghanistan und Indonesien geliefert.

Die höchsten Wogen schlägt zwangsläufig die geplante Lieferung deutscher Kampfpanzer vom modernisierten Typ "Leopard 2" ins saudische Königreich. Seit der Spiegel im Juli 2011 enthüllt hatte, daß der Bundessicherheitsrat, der alle Waffenlieferung genehmigen muß, eine Voranfrage der Saudis über 270 Panzer positiv beschieden hatte, läuft die Debatte heiß. Als die chinesische staatliche Nachrichtenagentur zu berichten wußte, daß Saudi-Arabien sogar bis zu 800 deutsche Panzer des Typs "Leopard 2A7+" bestellt habe, deren Auftragswert bei 12,6 Milliarden US-Dollar liegen soll, wurden sowohl der beispiellose Umfang des Waffengeschäfts als auch die damit verbundene geostrategische Stoßrichtung, das Regime zur regionalen Führungsmacht gegen den Iran aufzurüsten, in aller Deutlichkeit klar.

Saudi-Arabien weist eine der weltweit despotischten Formen repressiver Staatlichkeit und Gesellschaft auf. Das autokratische Regime hat ein generelles Demonstrationsverbot erlassen, tritt die Meinungsfreiheit mit Füßen, sieht die Todesstrafe für Ehebruch und Homosexualität vor, unterdrückt Minderheiten und zwingt Frauen einen "männlichen Vormund" auf. Freedom House ordnet den Golfstaat auf einer Skala der Freiheitsrechte auf der niedrigsten Stufe ein. Im Demokratie-Rating des Economist landete Saudi-Arabien zuletzt auf Platz 161 von 167 Ländern und gehört demnach zu den zehn autoritärsten Staaten überhaupt. Im vergangenen Jahr hat die saudische Führung im In- und Ausland zahllose Menschenrechtsverbrechen begangen, viele davon mit Waffengewalt. Einige der schlimmsten ereigneten sich im Nachbarinselstaat Bahrain bei der Niederschlagung der demokratischen Bewegungen. [4]

Das ist der bevorzugte Partner des Westens, mit dem die USA das größte Waffengeschäft aller Zeiten abgeschlossen haben und den Deutschland mit Panzern wie auch Sturmgewehren, einer Grenzsicherung und Ausbildung der Sicherheitskräfte unterstützt. Am Schulterschluß der deutschen Außenpolitik mit den hiesigen Rüstungskonzernen unter Ausblendung jeglicher Erwägungen hinsichtlich der andernorts zum Kriegsvorwand hochstilisierten Menschenrechte kann kein Zweifel bestehen. Der Leopard 2A7+ ist Deutschlands hochwertigster Beitrag zur Eindämmung des "arabischen Frühlings", wurde er doch speziell für den Einsatz in Städten entwickelt. Nach Herstellerangaben ist er für die "asymmetrische Kriegsführung" und die "Bekämpfung von Einzelpersonen" konzipiert. Er weist einen Räumschild, ein verkürztes Kanonenrohr, einen besonders geringen Wendekreis wie auch eine Klimaanlage und ferngesteuerte Waffenstation auf.

Seit Anfang Juli unterstützt ein Stabsoffizier der Bundeswehr die militärischen Erprobung eines "Leopard 2 A7+" in der saudi-arabischen Wüste. Der Hersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW) hatte für "die Schießsicherheit bei der Firmenerprobung" um Unterstützung durch die Panzertruppe der Bundeswehr gebeten, da sie selbst nicht über entsprechende Experten verfüge. Ebenso liefert die Bundeswehr der Firma KMW Munition für die Bordkanone, Nebelgranaten und MG-Patronen. Zwar muß das Unternehmen die Kosten für die Entsendung und die Munition selbst bezahlen, doch handelt es sich zweifellos um eine politische Schützenhilfe, die den Wunsch der Saudis nach den deutschen Panzern befördern soll.

Grundsätzlich steht die Bundesregierung zu der Linie, "dass industrielle Fähigkeiten in technologischen Kernbereichen der deutschen Rüstungsindustrie erhalten werden". Die Bundeswehr unterstütze als sogenannter "Referenzkunde" die deutsche wehrtechnische Industrie "beim Export von Rüstungsgütern" im Einzelfall "nach erfolgter ausfuhrkontrollrechtlicher Prüfung" [5]. Letztere ist jedoch innenpolitisch umstritten, zumal die Regierung auf Anfragen beharrlich schweigt und auf die Geheimhaltung bei Entscheidungen des Bundessicherheitsrats verweist. Im Frühjahr hatte die Koalition lediglich argumentiert, eine Lieferung nach Saudi-Arabien diene den deutschen Interessen einer engen Partnerschaft mit dem Land und sei zudem mit Israel abgesprochen.

Im CDU-Parteispendenskandal war 1999 zur Sprache gekommen, daß der Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber Schmiergeld eingesetzt haben soll, um 1991 den in der damaligen Regierung von Kanzler Helmut Kohl umstrittenen Verkauf von 36 Thyssen-Panzern nach Saudi-Arabien durchzusetzen. Einmalig blieb dieser spezifische Einsatz finanzieller Schmiermittel offenbar nicht, denn wie die Linkspartei vor einem Jahr unter Berufung auf die Rechenschaftsberichte der Parteien aufdeckte, hatten die Herstellerfirmen des Leopard-Panzers von 2002 bis 2009 mehr als 600.000 Euro an Union, FDP und SPD gespendet. Im Juni 2011 erklärte der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi: "Grundsätzlich sollte Deutschland gerade auch wegen seiner Geschichte überhaupt keine Rüstungsgüter exportieren." Mindestens aber solle man solche Exporte verbieten, weil sich dann die Bundesregierung jede Ausnahme vom Parlament genehmigen lassen müsse und derartige Entscheidungen nicht im Geheimen fällen könne.

Läßt sich das monströse Panzergeschäft trotz dieser eng verzahnten Allianz aus geostrategischen und rüstungsgeschäftlichen Interessen verhindern? Für August und September hat die Antikriegsbewegung zahlreiche Aktionen bis hin zu "Überraschungen" und Blockaden vor Rüstungsbetrieben an verschiedenen Orten geplant. [6] Einen etwas anderen Weg beschreitet das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) [7] in Berlin, das den "schlimmsten Waffendeal in der jüngeren bundesdeutschen Geschichte" auf eine persönliche Ebene gezogen und die Gesellschafter von KMW an den digitalen Pranger gestellt hat. Wenngleich sowohl die generelle Ausrichtung des ZPS als auch die Vorgehensweise der Denunziation bis hin zu Fahndungsplakaten und einer Erfolgsprämie für sachdienliche Hinweise zweifellos diskussionwürdig sind, gibt der entfachte mediale und juristische Streit um den "aggressiven Humanismus" des ZPS doch den maßgeblichen finanziellen Profiteuren solcher Rüstungsgeschäfte ausnahmsweise ein Gesicht.

Fußnoten:

[1] http://www.taz.de/UN-Konferenz-zum-Waffenhandel/!98004/

[2] http://www.neues-deutschland.de/artikel/233653.schlupfloecher-fuer-waffenhaendler.html

[3] http://www.abendblatt.de/politik/article2349784/UN-Mitglieder-einigen-sich-auf-Entwurf-zum-Waffenabkommen.html

[4] http://www.25000-euro.de/der-panzerdeal

[5] http://www.spiegel.de/politik/ausland/leopard-2-bundeswehr-unterstuetzt-training-in-saudi-arabien-a-842819.html

[6] http://www.scharf-links.de/41.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=26871&tx_ttnews%5BbackPid%5D=8&cHash=72eda6072b

[7] http://www.politicalbeauty.de/center/Zentrum_fur_Politische_Schonheit.html

26. Juli 2012