Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1601: Die soziale Dimension des Schußwaffenbesitzes in den USA (SB)




Die Niederlage des US-Präsidenten Barack Obama bei der Abstimmung über eine Verschärfung der Waffengesetze vor dem US-Senat auf die Lobbyarbeit der National Rifle Association (NRA) zurückzuführen, ist kaum weniger vordergründig als das von dieser Organisation vertretene Argument, nicht Waffen, sondern Menschen seien für mißbräuchlichen Schußwaffengebrauch verantwortlich. Bei allem Einfluß, den die 4,5 Millionen Mitglieder der NRA auf die US-Gesellschaft haben, fällt dieser doch nicht vom Himmel der hochfliegenden kommerziellen Erwartungen einer lukrativen Waffenindustrie. Nur vier Monate nach dem jüngsten Schulmassaker nicht einmal den politischen Willen dafür aufzubringen, mit einem Verbot des freien Verkaufs sogenannter Sturmwaffen die Verbreitung ausgesprochener Mordwerkzeuge, die das Argument bloßer Selbstverteidigung faktisch widerlegen, zu begrenzen, ist Ausdruck der Akzeptanz eines unterschwelligen Bürgerkriegs.

Dieser tritt in Anbetracht von rund 50 Millionen Hungernden und der in absoluten wie prozentualen Zahlen größten Gefangenenbevölkerung der Welt als sozialer Krieg gegen die eigene Bevölkerung in Erscheinung. Die Verabsolutierung des Privateigentums durchzieht die Gesellschaft mit sichtbaren wie unsichtbaren Grenzen, deren Überschreitung bei "Stand Your Ground"-Gesetzen den aggressiven Schußwaffeneinsatz gegen vermeintliche Eindringliche legalisiert und den Mythos des zum Millionär gewordenen Tellerwäschers als quasireligiöses Erlösungsversprechen erkennen läßt. Drakonische Strafen für Eigentumsdelikte läßlicher Art füllen die Knäste mit sozial ausgegrenzten Menschen, während die Nachsicht gegenüber den sogenannten Kavaliersdelikten der großen Kapitaleigner im Fall der Finanzkrise sogar auf Garantieleistungen des Staates gegenüber jenen Banken und Versicherungen hinauslief, die im offensiven Kampf gegen jegliche soziale Umverteilung den Staat zum Feind der Freiheit des Marktes stilisieren.

Als Hausmarke und Aushängeschild US-amerikanischer Kapitalinteressen begründet der Liberalismus nicht nur die Vormachtstellung der Eigentümer gegenüber der Klasse der Lohnabhängigen und Versorgungsbedürftigen. Aus ihm wird auch jener Freiheitspathos geschöpft, der Waffenbesitzern das Vorrecht zugesteht, den öffentlichen Raum in eine Zone des potentiellen Krieges zu verwandeln. Aus dem gleichen Quell speist sich das Selbstverständnis einer Regierung, die sogenannte extralegale Tötungen in Pakistan mit nichts anderem als der Ermächtigung zum exekutiven Ausnahmezustand legitimiert, der konsequenterweise auch auf die eigene Bevölkerung angewendet wird. Die eigene Freiheit dadurch zu verteidigen, daß die anderer Menschen mit Füßen getreten wird, ist ein keineswegs singuläres Beispiel für machiavellistische Kurzschlüssigkeit, wenn man etwa an die deutsche Parole "Keine Freiheit den Feinden der Freiheit" denkt. In dem legitimatorischen Manöver, die eigenen Privilegien als Produkt einer verfassungsrechtlichen Gleichbehandlung auszuweisen, die die Ausbildung einer Meritokratie gesellschaftlichen Reichtums ermögliche, beißt sich die Katze in den Schwanz, darf aber keinen Laut des Schmerzes von sich geben, weil dann alle angeblich ärmer würden.

So werden die ärmsten Teile der Bevölkerung schon aufgrund ihrer unzureichenden finanziellen Bemittelung vom privaten Waffenbesitz ausgeschlossen, wenn sie nicht ohnehin der Aufsicht der Strafverfolgungsbehörden unterliegen, die in den meisten Fällen den legalen Kauf einer Schußwaffe verhindert. Es ist nicht vorgesehen, daß die Armen sich bewaffnen und die Gated Communities der Reichen bedrohen, dafür sorgt ein breites System sozialer Ausschlußpraktiken. Dies gilt erst recht für schwarze Bürger, die neben Hispanics immer noch einen überproportional großen Teil der Gefangenenbevölkerung darstellen. Als 1967 bewaffnete Mitglieder der Black Panther Party for Self-Defense auf die Stufen des Capitols des Staates Kalifornien zogen, um ihr Recht auf das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit einzufordern, beschleunigte dies nur die Verabschiedung eigens auf die schwarzen Revolutionäre zugeschnittener Waffenrestriktionen. Wenige Monate später wurde der damalige Wortführer der Black Panther, Bobby Hutton, von weißen Polizisten mit mehr als einem Dutzend Kugeln durchlöchert, obwohl er unbewaffnet war und sich ergeben hatte. Die Eliminierung der ersten Generation der Black Panther durch geheimdienstliche Infiltration und gezielte Mordaktionen tat ein übriges zu beweisen, daß die Verfügungsgewalt über Schußwaffen in den USA ein sozial bestimmtes Privileg ist.

Wenn das Motto "Erst schießen, dann fragen" im Falle Osama bin Ladens zu Freudenfesten auf den Straßen US-amerikanischer Städte führt, wenn Scharfschützen im Irak bei der Dämonisierung auch der Frauen und Kinder, die sie umgebracht haben, breite Zustimmung erhalten, wenn schieß- und folterwütige Staatsagenten wie Jack Bauer aus der TV-Serie "24" zu veritablen Volkshelden verklärt und die Killerkommandos der über 50.000 Soldatinnen und Soldaten zählenden Special Forces als Garanten der nationalen Sicherheit glorifiziert werden, dann nimmt die soziale Frage im Bild des Feindes auf negative Weise Gestalt an und legitimiert einen Krieg, der im Kern die Zurichtung der Bevölkerung auf ihr zuwiderlaufende Interessen bezweckt.

Die hohe Rate schußwaffenbedingter Todesfälle in den USA kann mithin als "Kollateralschaden" einer Klassenherrschaft gelten, die auch mit der Freizügigkeit des Schußwaffenbesitzes dementiert, daß die verfassungsmäßige Gleichheit vor dem Gesetz die soziale Gleichheit ihrer Subjekte meint. Diese steht im klassischen Sinn des Staatsphilosophen John Hobbes zur Disposition des Krieges aller gegen alle, der allerdings nicht in einem Gesellschaftsvertrag zum allgemeinen Wohle aufgeht, wie John Locke unter Mißachtung materieller Widerspruchslagen postulierte. Er wird vielmehr nach dem neoliberalen Prinzip der kreativen Zerstörung in den Stand eines gesellschaftlichen Regulativs erhoben, dem der Bürgerkrieg absichtsvoll immanent ist, weil nur er all die Zwangslagen schafft, auf die die Exekutive die Vollmachten des Ausnahmezustands nach außen wie innen gründen kann. Das Ausmaß imperialistischer Aggression, deren die US-Gesellschaft zur Sicherung ihres Bestandes bedarf, erklärt das Bestehen auf die extensive Verbreitung von Schußwaffen denn auch weit triftiger als der Verweis auf kulturelle Mentalitäten oder eben eine Waffenlobby, die bestenfalls Resultat dieser Entwicklung sein kann, aber nicht deren Initiatorin.

Fußnote:

siehe dazu auch http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1586.html

19. April 2013