Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1628: Kein Entkommen ... wenn Schweine zu Menschen werden (SB)




Ein lebendes Schwein wird an den Beinen an einem Holzgestell festgebunden, so daß es kopfüber herunterhängt. Soldaten versehen es mit Zielmarkierungen. Das Maul ist mit einer Bandage verschlossen, um die Schreie nicht hören zu müssen, die das Tier trotz seiner Betäubung von sich geben könnte, wenn es von den Kugeln aus den Gewehrläufen getroffen wird. Anschließend dient das schwerverwundete, noch atmende Schwein britischen Militärärzten, die eigens zu diesem Zweck nach Dänemark reisen, als Übungsobjekt für die Notfallversorgung auf dem Gefechtsfeld. Selbst wenn die Behandlung erfolgreich sein sollte, überlebt es nicht, weil es auf jeden Fall getötet wird. Ob es anschließend von den Soldaten und Chirurgen, die diese Prozedur aufgrund ihres Austragungsortes als "dänischen Schinken" bezeichnen, verzehrt wird, darüber schweigen sich die Berichterstatter des Daily Mirror [1] aus.

Tierschützer der Organisation PETA protestieren gegen diese sogenannte Übung mit dem Argument, daß dies nicht nur ein beklagenswerter Umgang mit Tieren, sondern auch "schlecht für unsere Soldaten" [2] sei. Die britischen Militärärzte verdienten, mit den modernsten Simulationsmethoden auf den Einsatz im Krieg vorbereitet zu werden, was ohnehin schon bei 80 Prozent der NATO-Streitkräfte üblich wäre.

Um auf realistische Weise vollziehen zu können, was erst im Kriegsfall legal am Menschen verübt werden kann, tritt das Schwein aufgrund seiner großen physiologischen Ähnlichkeit zum menschlichen Organismus an dessen Stelle. Gemeint ist der Mensch, getroffen wird das Tier. Im Grunde genommen bleibt die Artengrenze, die darüber entscheidet, wer töten darf und wer getötet wird, im dänischen Schießstand lediglich aus rechtlichen Gründen aufrechterhalten, denn der Unterschied zwischen Realität und Simulation soll so gering wie möglich ausfallen. Nicht das technische Procedere ist das entscheidende Moment dieser sogenannten Übung. Die Wirklichkeit eines lebenden, schmerzempfindenden Wesens, das zuerst mit Hochgeschwindigkeitsgeschossen malträtiert wird, um dann den Skalpellen und Zangen der Chirurgen ausgeliefert zu werden, macht diese Prozedur zu einem virtuell nicht zu ersetzenden Akt der Initiation.

Das Schwein wird zum Menschen gemacht, um die Schmerzen menschlicher Opfer nicht minder ignorieren zu können als die namenloser Tiere, die zu verzehren schließlich nicht schlimmer sein kann als sie zum Objekt militärischer Übungen zu machen. Die Ohnmacht des Schweins verkörpert das nackte Leben der Menschen, die getötet werden dürfen, weil sie den Anspruch auf eine rechtlich geschützte Existenz verloren haben, zum Zwecke staatlicher Gewaltanwendung. Dagegen haben die "People for the Ethical Treatment of Animals" (PETA) offensichtlich keinen Einwand. Wollte man den Tierschutzaktivisten zugute halten, daß die Militärärzte, um deren optimale Ausbildung sie sich sorgen, lediglich der Landesverteidigung dienten, dann trifft das bei Streitkräften, die zum Beispiel an der systematischen Bombardierung, jahrelangen Aushungerung und völkerrechtswidrigen Eroberung des Irak beteiligt waren, nicht zu.

So blickt der Mensch im Schwein auf sich selbst und ist entsetzt darüber, zu welchen Grausamkeiten er in der Lage ist. Diesem Gewaltverhältnis nicht auf den Grund zu gehen und dabei womöglich Erkenntnisse über die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen zu erlangen, die zu deren Überwindung Anlaß geben könnten, ist die Aufgabe ethischer Beratung. Darüber zu entscheiden, wer auf welche Weise getötet werden darf und wem mit welchen Mitteln Schmerzen zugefügt werden dürfen, ist die Angelegenheit einer zivilgesellschaftlichen Deutungsmacht, deren Professionalität darin besteht, menschliche Subjektivität zugunsten der Durchsetzung objektiver Notstände zu negieren.

Den einzelnen davon zu entbinden, die Ausweglosigkeit eigener Ohnmacht im geschundenen Dasein anderer Lebewesen zu konfrontieren, dient der Befriedung jener Widersprüche, die nicht beim Namen zu nennen erste Bürgerpflicht ist. Ethisch korrekte Hinrichtungen, ethisch korrekte Kriegführung, ethisch korrekte Tierversuche, ethisch korrektes Schlachten - die Abwägung zwischen Schaden und Nutzen bringt Normen des Wohlverhaltens hervor, die alle Lebens- und Sterbenslagen erträglich und handhabbar machen, solange der Mensch die Totalität der Vernichtung nicht selbst erleiden muß. In dem Glauben, sich von allem und jedem trennen zu können, um den eigenen Nutzen am Schaden anderer zu vergrößern, wurde die letzte Messe eigener Überantwortung an den jeweils größeren Nutzen bereits gelesen. Aus dieser Logik gibt es kein Entkommen, es sei denn, ihre vermeintliche Zwangsläufigkeit wird grundsätzlich in Frage gestellt.


Fußnoten:

[1] http://www.mirror.co.uk/news/uk-news/pigs-strung-up-shot-train-3157055

[2] http://blog.peta.org.uk/2014/02/photos-inside-the-secretive-military-training-facility-where-animals-are-mutilated-and-killed/

2. April 2014