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KRIEG/1698: Türkei-Syrien-Konflikt - es riecht nach Durchhalten ... (SB)



Wie der AKP-Bürgermeister der türkischen Hauptstadt Ankara angekündigt hat, soll die Straße vor der amerikanischen Botschaft nach der Militäroperation gegen die mit den Vereinigten Staaten verbündete Kurdenmiliz YPG/YPJ umbenannt werden. Mustafa Tuna teilte dazu auf Twitter mit, er habe vorgeschlagen, den Namen der Straße von "Nevzat Tandogan" in "Olivenzweig" (deutsche Übersetzung) zu ändern. [1] Der am 20. Januar gestartete Angriffskrieg gegen den Kanton Afrin im Nordwesten des Nachbarlands Syrien unter dem Namen "Operation Olivenzweig" soll nach der erklärten Absicht der Erdogan-Regierung nur der Auftakt zu einer finalen Offensive gegen die Kurdengebiete südlich der Grenze sein. Der Aberwitz des Hauptstadtbürgermeisters, nur drei Wochen nach Beginn des offenen Krieges mit ungewissem Ausgang bereits im Triumph des Endsiegs zu schwelgen, spiegelt die systematisch geschürte Kriegseuphorie wider, mit der das Regime die Bevölkerung auf ihren neoosmanischen Nationalismus einzuschwören versucht.

Die türkischen Streitkräfte waren im August 2016 mit dem Militäreinsatz "Schutzschild Euphrat" in Nordsyrien einmarschiert. Unter dem Vorwand, die zuvor von der Türkei unterstützte Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) zu vertreiben, galt der Angriff insbesondere den Volksverteidigungs- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ, indem die Streitkräfte Ankaras einen Korridor zwischen den kurdisch kontrollierten Gebieten besetzten. Im Januar 2018 rief Recep Tayyip Erdogan den Generalangriff auf die kurdischen Gebiete in Nordsyrien aus, die er im Zuge eines Vernichtungsfeldzugs eliminieren möchte. Es sei soweit, "das Projekt der separatistischen Terrororganisation (...) vollkommen zunichte zu machen". Die Türkei werde ihre Angriffe im Rahmen der "Operation Olivenzweig" auf die Regionen Afrin und Manbidsch ausweiten "und danach Sicherheit und Ruhe entlang der gesamten Grenze bringen". [2]

Der Unterwerfung kurdischen Widerstands, Zerstörung der Lebensform und Auslöschung der Kultur im Zuge einer militärischen Endlösung scheinen jedoch vorerst Grenzen gesetzt zu sein, die Erdogans diktatorischen Furor kontern. So sind die Gebietsgewinne der hochgerüsteten Invasionsarmee nach schweren Gefechten in Afrin gering, während nach Angaben der Demokratischen Kräfte Syriens (SDK) über ein Dutzend Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, zwei Kampfhubschrauber und eine bewaffnete Drohne abgeschossen und allein in der vergangenen Woche 130 türkische Soldaten getötet worden sind. [3] Selbst wenn man eine in derartigen Kämpfen nicht auszuschließende Überhöhung der eigenen Erfolge auch auf kurdischer Seite in Rechnung stellt, zeichnen sich doch in der Konfrontation mit einem in dieser Form der Kriegsführung erfahrenen Widerstand beträchtliche Hindernisse für die Okkupationsstreitkräfte ab.

Da das türkische Regime in der Folge auch Manbidsch angreifen will, steht die nächste Dimension des Konflikts auf der Tagesordnung. Die USA unterstützen die YPG/YPJ im Kampf gegen den IS mit Waffen, Spezialkräften und Militärberatern, während Ankara seit langem die Einstellung dieser Unterstützung fordert. Anders als in Afrin sind in Manbidsch auch US-Soldaten stationiert, so daß eine direkte Konfrontation der NATO-Partner droht. In der ihr eigenen Brachialdiplomatie rabiater Drohungen und Bezichtigungen versucht die AKP-Regierung Druck auf Washington auszuüben, um das amerikanische Problem aus der Welt zu schaffen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu erklärte im Vorfeld eines Besuchs seines US-Kollegen Rex Tillerson in Ankara, die Beziehungen zu den USA seien an einem "kritischen Punkt" angelangt. "Sie werden entweder repariert oder diese Beziehungen werden komplett beschädigt", sagte Cavusoglu und rief Washington dazu auf, "das Notwendige in Manbidsch zu tun" und die Truppen abzuziehen. Die US-Regierung habe "ernsthafte Fehler" gemacht, weshalb es nun darum gehen müsse, "zerbrochenes Vertrauen" wiederherzustellen. Die Türkei habe "klare Erwartungen" und fordere keine bloßen Versprechen, sondern konkrete Schritte. [4]

Die Vereinigten Staaten sind mit Sicherheit kein Bündnispartner, der die Ziele der kurdischen Bewegung auch nur im mindesten teilen würde. Sie wollen sich jedoch mit ihren Stützpunkten im Norden Syriens dauerhaft festsetzen und brauchen dafür zunächst taktische Verbündete, die in der Lage sind, Bodenkämpfe erfolgreich zu führen. Nachdem die USA bei diesem Vorhaben mit diversen islamistischen Milizen gescheitert waren, verfielen sie im Zuge der Kämpfe um Kobane schließlich auf die YPG/YPJ. Washington hätte zwar kein Problem damit, die Kurdinnen und Kurden Erdogan zum Fraß vorzuwerfen, doch dürfte die Preisgabe der eigenen Präsenz in dieser Region durch den von der türkischen Regierung geforderten Abzug derzeit eher keine Option für die US-Regierung sein.

Die täglich steigenden Verluste der Invasionsarmee in Afrin und die Präsenz der US-Unterstützer in Manbidsch scheinen das Erdogan-Regime um so mehr anzustacheln, die Repression im eigenen Land zu verschärfen. Wie das türkische Innenministerium bekanntgegeben hat, sind seit Beginn der Militäroffensive bislang 666 Menschen wegen ihrer Äußerungen gegen den Krieg festgenommen worden, die Mehrheit von ihnen wegen Statements im Internet. Nur einen Tag nach der Wahl der neuen Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP) hat die Staatsanwaltschaft in Ankara Ermittlungen gegen die Co-Vorsitzende Pervin Buldan sowie den Abgeordneten Sirri Süreyya Önder wegen "Terrorpropaganda" eingeleitet. Beide hatten in ihren Reden auf dem Parteikongreß die "Operation Olivenzweig" scharf kritisiert und zu Frieden aufgerufen. Zudem hatten sie darauf hingewiesen, daß bei dem Angriff Zivilisten getötet werden, was die türkische Regierung absurderweise bestreitet. Buldan regte des weiteren an, die Friedensverhandlungen mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK wieder aufzunehmen, die 2015 abgebrochen worden waren. Die Staatsanwaltschaft hat überdies Untersuchungen wegen "Aufwiegelung des Volkes zu Hass und Feindschaft" und "Verherrlichung von Kriminellen" eingeleitet, da auf dem HDP-Kongreß auch Poster des inhaftierten Abdullah Öcalan gezeigt worden seien. [5] Eine HDP-Sprecherin dementierte das und sagte, die Sicherheitskräfte hätten vor dem Kongreß selber Anti-Kriegs-Poster eingesammelt. [6]

Neben Tausenden weiteren HDP-Mitgliedern und -Sympathisanten sitzen die früheren Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksedag seit nunmehr über einem Jahr in Haft. Beide werden mit der Allzweckwaffe des Terrorvorwurfs, mittels derer das Erdogan-Regime jegliche Opposition auszuschalten versucht, hinter Gittern gehalten und haben ihren parlamentarischen Status verloren. Im Mai 2017 wurde Serpil Kemalbey zur Nachfolgerin Yüksedags gewählt. Seit Beginn der "Operation Olivenzweig", gegen die sich die HDP als einzige Partei offen gestellt hat, wurden mehr als 350 ihrer Mitglieder in Haft genommen. Auch gegen Kemalbey wurde Haftbefehl erlassen, weil sie sich kritisch über die Militäroffensive geäußert hatte. Da sie bislang noch nicht festgenommen wurde, konnte sie auf dem Parteitag sprechen. Die neuen Co-Vorsitzenden Pervin Bultan und Sezai Temelli sollen die HDP in die wichtigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2019 führen. Es steht jedoch zu erwarten, daß das Regime mit weiteren Verhaftungen an der Parteispitze intervenieren wird, um die HDP zu schwächen und zu verhindern, daß sie bei den Wahlen abermals weite Teile der Opposition im Land um sich scharen könnte.

Die AKP-Regierung muß befürchten, daß sich unter Führung der HDP eine wachsende Antikriegskoalition formieren könnte. Wie Erdogan gedroht hatte, würden Kriegsgegner "einen hohen Preis" bezahlen. Mit Beginn der Militäroperation wurde die Presse mittels eines 15-Punkte-Plans, der die fortan legitimen Äußerungen zum Krieg definierte, de facto gleichgeschaltet. Türkische Nationalisten mobilisierten zu der Kampagne "Syrien soll brennen, Afrin soll vernichtet werden" in den sozialem Medien. Nationalistische Hetze und Massenverhaftungen könnten durchaus den Eindruck erwecken, daß der Macht des Regimes keine Grenzen gesetzt sind. Andererseits zeugt das harte Durchgreifen von einer Dauerfurcht des Machthabers. Seine Versprechen auf türkische Größe, Bedeutung und Ehre begeistern viele Menschen, von der Realität ihrer Lebensverhältnisse abzusehen und auf Minderheiten einzuprügeln. Seine Zwangsmaßnahmen halten eine Opposition in Schach, die er oftmals verstummen läßt, aber nicht dauerhaft aus der Welt schaffen kann. Wenn das Regime jede Kritik am Syrienfeldzug unter Strafe stellt, weil es den Bruch an der Heimatfront befürchten muß, riecht das binnen weniger Kriegswochen nach Durchhalteparolen in repressivem Gewand.


Fußnoten:

[1] www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tuerkei-droht-usa-mit-abbruch-der-beziehungen-15444780.html

[2] www.spiegel.de/politik/ausland/recep-tayyip-erdogan-tuerkei-will-militaereinsatz-in-syrien-ausweiten-a-1186925.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/327151.kriegsgegner-verfolgt.html

[4] www.n-tv.de/politik/Tuerkei-droht-USA-mit-Bruch-der-Beziehungen-article20281167.html

[5] www.tagesschau.de/ausland/hdp-buldan-101.html

[6] www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-tuerkische-justiz-ermittelt-gegen-neue-chefin-der-oppositionspartei-hdp-1.3864527

13. Februar 2018


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