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KRIEG/1734: Bundesrepublik Deutschland - doppelzüngig ... (SB)



Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht.
"Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Rüstungsexport" [1]

Wenn es darum geht, Profite zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren, ist der deutsche Staat als Sachwalter einheimischer Kapitalfraktionen in vorderster Front mit von der Partie. Das gilt im eigenen Land, wo die Agendapolitik zur Ausbeutung und Zurichtung der Lohnabhängigen und für überflüssig Erklärten den Aufstieg der Bundesrepublik zur europäischen Führungsmacht maßgeblich beflügelt hat. Das gilt auch international, hat die Bundesregierung doch den Vereinten Nationen 100 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für den Jemen zugesagt, während dort auch mit deutschen Waffen Krieg geführt wird. Weiß die eine Hand nicht, was die andere tut? Das anzunehmen wäre naiv. Das Kapital fließt dorthin, wo es sich profitträchtig verwerten läßt, ob nun Nahrungsmittel für die Hungernden oder Waffen zu deren Ermordung produziert werden. Die Politik sorgt dafür, daß diese Geschäfte laufen, die Zeche bezahlt und insbesondere die deutsche Staatsräson durchgesetzt wird. Sich in einen Umhang hoher ethischer Werte zu kleiden, der die Hand an der stets geladenen Waffe verbirgt, ist eine Kunst, die man aufgrund der deutschen Geschichte hierzulande besonders gut, doch keineswegs als einzige Täternation versteht. Wer sind die größten Geldgeber der humanitären Hilfe für den Jemen? Ausgerechnet die führenden Aggressoren Saudi-Arabien und Vereinigte Arabischen Emirate, die maßgeblich für das millionenfache Elend verantwortlich sind!

Ist von humanitärer Hilfe die Rede, heißt das keineswegs, daß die zugesagten Gelder tatsächlich gezahlt werden und die vorgesehenen Empfänger auch erreichen. Was auf Geberkonferenzen vereinbart wird, sind mehr oder minder fiktive Signale, deren Konsequenzen nur selten überprüft und der öffentlichen Wahrnehmung zugänglich gemacht werden. Welcher Bruchteil der Gelder zu welchem Zeitpunkt eintrifft, wie viele Lebensmittel davon beschafft werden können und wann diese bei den Hungernden ankommen, bleibt in aller Regel unter dem Radar. Würde den Menschen auch in den Industriestaaten bewußt, daß die weltweite Nahrungsproduktion nicht für alle reicht, die beteiligten Institutionen und Organisationen das Elend verwalten und sich die Kernfrage darauf zuspitzt, wer zu wessen Lasten überlebt, läge die Konfrontation mit den gesellschaftlichen Widersprüchen und deren globalen Folgewirkungen unmittelbar auf der Naht.

Seit 2015 tobt der Krieg im Jemen, dem bereits Tausende Zivilisten zum Opfer gefallen sind. Die Vereinten Nationen sprechen von der schlimmsten humanitären Krise unserer Zeit. Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht, laut UN benötigen 7,4 Millionen Kinder dringend Hilfe, zwölf Prozent mehr als noch vor zwei Jahren. Vereinbarte Waffenstillstände werden immer wieder gebrochen, so daß es sehr schwierig ist, die Menschen in Not zu erreichen. Nach UN-Angaben verhindern Aufständische in Hodeida den Zugang zu großen Getreidebeständen, wobei die Hafenstadt zugleich die wichtigste Lebensader des Jemen ist. Über keinen anderen Hafen kommen mehr Lebensmittel, Medikamente und Treibstoffe in das Land. Ohne Hodeida können die insgesamt zwölf Millionen Menschen, die derzeit dringend der Hilfe bedürfen, nicht versorgt werden. [2]

Die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition verfügt im Unterschied zu ihren Gegnern über Luftstreitkräfte, so daß sie für die Opfer der Bombardierungen wie auch die weitgehende Zerstörung der Infrastruktur verantwortlich ist. Zudem blockiert sie die Häfen und schneidet damit das Land weitgehend von der Versorgung ab. Die Koalition führt also nicht nur einen Angriffskrieg, sondern die humanitäre Katastrophe gezielt herbei. Hat das zur Konsequenz, daß Deutschland zumindest keine Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Jordanien, Ägypten, Bahrain, Kuwait, Katar, Marokko, Sudan und Senegal tätigt, die diesem Bündnis angehören? Das ist keineswegs der Fall, zählen doch Saudi-Arabien und die VAE zu den zehn wichtigsten Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte, während Jordanien sogar ein enger Verbündeter in der Region und auch Ägypten ein guter Kunde hiesiger Waffenschmieden ist.

Der Bundesregierung liegen nach eigenen Angaben keine Hinweise vor, daß deutsche Waffentechnologie im Jemen zum Einsatz kommt. Derartige Erzeugnisse lassen sich jedoch im Kriegsgebiet anhand von Fotos und Videos nachweisen, die im Internet etwa auf Twitter, Youtube und Google Earth frei zugänglich sind. Das investigative Rechercheprojekt #GermanArms hat eine Vielzahl solcher Quellen analysiert: Gemeinsam fanden Journalisten der Deutschen Welle, der Zeitschrift "Stern", des ARD-Magazins "report München", des niederländischen Recherchebüros "Lighthouse Reports" und des Investigativ-Netzwerks "Bellingcat" zahlreiche Belege für den Einsatz deutscher Waffensysteme an Land, in der Luft und zur See.

So läßt sich anhand von Satellitenbildern belegen, daß die Emiratis in Deutschland gebaute Kriegsschiffe im Jemen einsetzen. Dabei bedienen sie sich des Hafens Assab in Eritrea, der strategisch günstig an der Meerenge Bab al-Mandab ("Tor der Tränen") liegt. Nur 60 Kilometer trennen Assab von der gegenüberliegenden jemenitischen Küste. Auch Söldner aus dem Sudan werden über den Hafen von Assab in den Jemen gebracht. Möglich macht das ein Abkommen der VAR mit dem Regime Eritreas, das die Nutzung dieses Hafens als Militärbasis gestattet. Auf Bildern sind wiederholt Korvetten vom Typ "Muray Jib" zu sehen, die von der deutschen Firma Lürssen mit Sitz in Bremen gebaut wurden. Zuletzt waren Schiffe dieses Typs im September 2018 und Februar 2019 im Hafen von Assab zu erkennen.

Ab März 2017 liegt wiederholt auch ein Boot der Frankenthal-Klasse im Hafen von Assab. Zwei dieser deutschen Minenjagdboote hatten die VAR 2006 gekauft. In einem Video des Senders "Al Jazeera" vom Oktober 2017 ist ein Boot der Frankenthal-Klasse im jemenitischen Hafen von Mokha zu sehen, der gegenüber von Assab liegt. Ein weiteres Indiz, daß das Minenjagdboot in Kämpfe verwickelt war, lieferten die Huthis: Sie gaben an, das Boot im Juli 2017 beschossen zu haben und veröffentlichten Bilder des schwer beschädigten Schiffs.

Zudem kommen auch diverse Waffen zum Einsatz, die von mehreren europäischen Ländern gemeinsam produziert wurden und wichtige deutsche Bauteile haben. Das gilt für Kampfflugzeuge der Typen Eurofighter und Tornado, mit denen Luftangriffe geflogen werden. Es fanden sich Belege für den Absturz eines saudischen Tornados im Januar 2018 im Tal Al-Souh im jemenitischen Gebiet Ketaf. Über den Partner Großbritannien lieferte Deutschland auch nach dem Beginn des Jemen-Kriegs Ersatzteile für Tornados an Saudi-Arabien. Indizien fand das Rechercheteam auch für den Einsatz des Tankflugzeugs A330 MRTT des europäischen Airbus-Konzerns.

Im November 2015 wurde in der Nähe der Hafenstadt Aden ein Konvoi der VAR gefilmt, in dem gepanzerte "Oshkoshs" aus US-Produktion deutsche Waffenstationen des Modells "Fewas" tragen, die von Dynamit Nobel Defence produziert werden. Darüber hinaus ist in einem Video vom Oktober 2018 ein französischer Leclerc-Kampfpanzer zu sehen, der an den Seiten mit dem zusätzlichen Schutzsystem namens Clara verstärkt ist, das ebenfalls Dynamit Nobel Defence herstellt. Im März 2017 hatte die Bundesregierung der Firma eine Genehmigung für die Ausfuhr von "Reaktivpanzerungen in Form von Modulen" an die Emirate erteilt, auch in diesem Fall lange nach Kriegsbeginn. Ferner sind französische Artilleriegeschütze vom Typ Caesar mit deutschen Unimog-Fahrgestellen und Motoren ausgestattet. [3]

Das alles wäre unmöglich, ginge es nach dem Grundsatz, der seit dem Jahr 2000 in jedem Rüstungsexportbericht zu finden ist: "Genehmigungen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden nur erteilt, wenn zuvor der Endverbleib dieser Güter im Endempfängerland sichergestellt ist." Wie das Auswärtige Amt nun erklärte, lägen der Bundesregierung "keine Informationen zu einem Verstoß gegen Endverbleibserklärungen für aus Deutschland ausgeführte Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien oder in die Vereinigten Arabischen Emirate vor". Von deutschen Waffen und deutscher Rüstungstechnologie im Jemen sei ihm nichts bekannt, beteuerte Wirtschaftsminister Peter Altmaier noch vor wenigen Tagen. [4]

Allein im Jahr 2017 wurden den Emiratis Rüstungsausfuhren aus Deutschland im Wert von 214 Millionen Euro genehmigt, den Saudis für 254 Millionen - trotz des Grundsatzes, daß keine Waffen an Länder gehen, die in Kampfhandlungen verwickelt sind. Im Koalitionsvertrag aus dem Februar 2018 erklärten die alten und neuen Regierungsparteien CDU, CSU und SPD sogar: "Wir schärfen noch im Jahr 2018 die Rüstungssexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 und reagieren damit auf die veränderten Gegebenheiten." Doch erst nach dem Mord an Jamal Khashoggi im Oktober 2018 wurde ein befristeter Stopp der Exporte an Saudi-Arabien verfügt, der am 9. März auslaufen soll. Die betroffenen Hersteller verweisen darauf, daß sie sich stets im Rahmen der Gesetze bewegt hätten. Die Bundesregierung wollte zu den Rechercheergebnissen von #GermanArms bislang keine Stellung nehmen. Für sie geht es derzeit ganz im Gegenteil darum, bei künftigen gemeinsamen Rüstungsprojekten mit Frankreich die Exportregeln zu lockern. Daß sich Deutschland damit zum Komplizen des massenhaften Mordens im Jemen macht, liegt auf der Strecke des imperialistischen Übergriffs.


Fußnoten:

[1] www.n-tv.de/wirtschaft/Deutsche-Waffen-werden-im-Jemen-eingesetzt-article20875756.html

[2] www.tagesschau.de/ausland/krieg-im-jemen-103~_origin-1d6d4589-f979-48a9-86b1-8f1257554fb4.html

[3] www.dw.com/de/beweise-für-deutsche-waffen-im-jemen/a-47681315

[4] www.stern.de/politik/ausland/ruestungsexporte--so-fuehrt-uns-die-bundesregierung-an-der-nase-herum-8599490.html

28. Februar 2019


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