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KRIEG/1739: Klimawandel - Voraussetzung und Folge der Kriege ... (SB)



Wir müssten also von dem Lande der Nachbarn etwas abschneiden, wenn es hinreichen soll zum Weiden und Ackern, und jene hinwiederum von dem unsrigen, wenn auch sie sich auf endlosen Erwerb von Gütern einlassen, die Grenze des Notwendigen überschreitend?
Das ist ganz notwendig, Sokrates, erwiderte er.
So werden wir also Krieg haben infolgedessen, Glaukon, oder was sonst?
Eben dies, versetzte er.

Platon - Politeia [1]

Schon in der Antike war bekannt, daß ein Verbrauch, der die Erträge des eigenen Bodens übersteigt, zu Krieg führen kann. Heute, da rund zwei Drittel des für die Tierproduktion in der EU verfütterten Soja aus dem außereuropäischen Ausland eingeführt werden, hat sich der mit militärischen Mitteln geführte Krieg zur permanenten sozialen Unterdrückung und ökologischen Zerstörung verstetigt. Das vor allem aus Brasilien, Argentinien und Paraguay für die westeuropäische Fleischindustrie exportierte Soja wird unter hohem Maschineneinsatz zu Lasten der in den Anbauregionen und an den dorthin führenden Straßen lebenden KleinbäuerInnen und indigener Bevölkerungen angebaut. Sie werden von ihrem Land vertrieben, erkranken durch produktionsbedingte Umweltbelastungen und können sich bestenfalls als prekär beschäftigte LohnsklavInnen bei den Agrarunternehmen verdingen, die ihr Geschäft mit Unterstützung durch die jeweiligen Regierungen betreiben. Die beim Anbau verwendeten Herbizide vergiften Luft und Wasser, die Böden werden mit synthetisch erzeugtem Mineraldünger ausgelaugt, und immer größere Teile der Regenwälder Amazoniens müssen dem Soja wie auch der Rinderzucht weichen.

Der agrarindustrielle Extraktivismus transnational agierender Monopolisten findet im Rahmen einer mit politischen und legalistischen Mitteln durchgesetzten Eigentumsordnung statt, die der offenen Kriegführung nicht bedarf, solange die dabei unterdrückten Menschen nicht aufbegehren. Der real existierende Kapitalismus hat das frühere Gemeingut der Wälder und Steppen, der Flüsse und Seen erfolgreich kommodifiziert und die Verfügungsgewalt über die Lebensvoraussetzungen aller Menschen in die Hände einer kleinen, privatwirtschaftlich agierenden Minderheit gelegt. Bestenfalls ein Fünftel der Weltbevölkerung verfügt über angemessene, alle Grundbedürfnisse vollständig befriedigende Lebensbedingungen. Die soziale Verelendung des großen Restes steht durch die Ausbeutung von Arbeit und Ressourcen in direktem Zusammenhang mit den Privilegien durch Staatsbürgerschaft, Erbrecht und Sozialstatus begünstigten KonsumentInnen im eigenen Land wie den westlichen Metropolengesellschaften.

Dieser in der Permanenz einer sozialen Hierarchie, die im Zweifelsfall über Leben und Tod entscheidet, erstarrte soziale Krieg eskaliert zur militärischen Konfrontation, wenn die unterdrückte Klasse aufsteht oder staatliche Akteure aus dem hochgradig verrechtlichten und ordnungspolitisch regulierten Rahmen des kapitalistischen Weltsystems ausscheren und so gegen die Interessen der großen imperialistischen Akteure verstoßen. Seit 1998, als die weltweiten Militärausgaben nach Ende des Kalten Krieges ihren niedrigsten Stand erreicht hatten, sind die Rüstungskosten weltweit wieder um 76 Prozent gestiegen. Der 2008 manifest gewordene und ungebrochen voranschreitende Krisenzyklus des Kapitals begünstigt diese Entwicklung durch die letztinstanzliche Durchsetzung aller Geldforderungen und Handelsverhältnisse mit physischer Gewalt.

Die Bundesrepublik hat daran teil durch Waffenexporte auch in Kriegsregionen und den anwachsenden Militärhaushalt der Bundeswehr. Deutsche Streitkräfte flankieren in Kooperation mit anderen NATO-Staaten einen von Störungen möglichst unbehindert bleibenden Ressourcennachschub für die hochproduktive Exportindustrie der BRD, die, wäre sie auf die Rohstoffe des eigenen Landes angewiesen, sofort in sich zusammenbräche.

Der Krieg ist auch im sogenannten Frieden einer der wesentlichen Treiber des Klimawandels. So sind die US-Streitkräfte mit mehr als 85 Millionen Barrel Öl im Jahr, die für den operativen Betrieb ihrer Flugzeuge, Schiffe und motorisierten Landfahrzeuge benötigt werden, die Einzelinstitution mit dem größtem Spritverbrauch der Welt. Zur bloßen Fortbewegungsenergie hinzu kommen immense Ressourcenaufwendungen für die Herstellung, den Transport und die Entsorgung der Waffensysteme wie die Versorgung und den Transport der Truppen. Im Ernstfall multipliziert sich die Destruktivität dieses Gewaltfaktors, der als einziges Produkt sogenannte Sicherheit herstellt, durch die großflächige Zerstörung anderer Länder um ein Mehrfaches. Daß der aus Bomben, Granaten und Raketen erwirtschafteten Sicherheit des herrschenden Geschäftsbetriebs die Unsicherheit einer womöglich weit größeren Zahl von Menschen als denjenigen, die in den USA vom Ertrag imperialistischer Kriege profitieren, gegenübersteht, ist kein Geheimnis.

So wurden im Vietnamkrieg riesige Waldflächen in Südostasien zerstört, die bis dahin als CO2-Senken fungierten. Das dabei eingesetzte Entlaubungsmittel Agent Orange führt bis heute zu fatalen Erbschäden und stellt ein langfristiges ökologisches Risiko für die betroffenen Dschungel Vietnams dar. In den zwei Kriegen gegen den Irak wurde fast die gesamte industrielle Infrastruktur des Landes zerstört, Umweltgifte aller Art wurden in großen Mengen freigesetzt und die monatelang währenden, den Himmel dauerhaft verdunkelnden Brände der Ölquellen taten das Ihrige dazu, die atembare Atmosphäre des Planeten zu vergiften. Die Belagerung und Eroberung des Iraks, die Hunderttausende häufig erst wenige Jahre alte Kinder das Leben kostete, wurden machtpolitisch mit einem Hegemonialanspruch begründet, der heute in der Konfrontation mit Rußland neue Katastrophen heraufbeschwört.

Historisch betrachtet ist die Verbindung von Krieg und Öl so augenfällig, daß man schon angestrengt wegschauen muß, um diese Kausalität nicht zu bemerken. So wurde die Motorisierung der Armeen und ihr dadurch erheblich erweiterter Aktionsradius nur durch die Verfügbarkeit des energetisch hochverdichteten fossilen Treibstoffes für LKWs, Panzer, Schiffe und Flugzeuge möglich. Allein zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg vervielfachte sich der Energieverbrauch pro Kopf der US-Streitkräfte um den Faktor 228. Die industrielle Produktivität der Kriegswirtschaft und die militärindustrielle Organisation der Arbeit legten den Grundstein für das fordistische Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit. Die Entwicklung militärischer Waffen und Ausrüstungen stimulierte die Massenproduktion der modernen Konsumgesellschaft. So fungierte eine militärtechnische Entwicklung wie die des Panzers als Vorbild für Maschinen, die bei großflächiger Ressourcenförderung und Entwaldung eingesetzt werden. Das reißfeste Nylon der Fallschirme wurde für kilometerlange Schleppnetze verwendet, mit denen die Meere leergefischt werden konnten. Das sind nur zwei der in der TV-Dokumentation "Die Erdzerstörer" präsentierten Beispiele für die produktive Verbindung von Krieg und Naturzerstörung [3].

Das Bewußtsein für den Klimawandel war in Weltorganisationen wie den Vereinten Nationen zu Beginn der 1990er Jahre längst vorhanden. Dennoch gelang es kaum, den Zusammenhang zwischen Krieg und ökologischer Zerstörung in den globaladministrativen Prozeß zur Begrenzung des Klimawandels einzubringen und damit zum dringenden Problem zu erheben. Ganz im Gegenteil, der heute als prominenter Klimaaktivist gefeierte Al Gore sorgte als US-Vizepräsident dafür, daß die Emission von Treibhausgasen durch militärische Akteure im Kyoto-Protokolle keine Berücksichtigung fand [4].

Richtet man einmal die Aufmerksamkeit auf die Frage, inwiefern der mit militärischen Mitteln geführte Krieg als größter denkbarer Gegensatz zu allem, was an nachhaltiger und suffizienter Lebens- und Wirtschaftsweise propagiert wird, in den internationalen Prozessen zur Begrenzung des Klimawandels Berücksichtigung findet, dann ist das Ergebnis ausgesprochen ernüchternd. Die größten Staaten, die zugleich auch die potentiell aggressivsten Militärmächte darstellen, haben dieses Thema so wirksam in eine Leerstelle verwandelt, daß den meisten Menschen seine Abwesenheit in den wissenschaftlichen Untersuchungen zum Klimawandel und den Konzepten zu seiner Bewältigung kaum auffällt.

Betont wird der Zusammenhang zwischen Militär und Ökologie lediglich dort, wo in den Planungsabteilungen der Ministerien und Generalstäbe wie den Strategieschmieden der Politikberatung über ein Krisenmanagement nachgedacht wird, das aufgrund klimawandelbedingter Versorgungsprobleme und Fluchtbewegungen erforderlich werde. Notfallpläne des Katastrophenschutzes beziehen den Einsatz militärischer Mittel seit jeher ein, das gilt um so mehr für die Frage, wie grundlegende staatliche und öffentliche Strukturen bei Extremwettern und Hungersnöten aufrechtzuerhalten sind. In den dabei entworfenen Notstandsszenarios wird mit dem Einsatz von Waffengewalt allerdings weniger ein humanitärer Zweck erfüllt als die Verteidigung der Überlebensmöglichkeiten derjenigen organisiert, die seit jeher über die besten Voraussetzungen verfügen, mit heiler Haut davonzukommen.

Als Verursacher des Klimawandels könnten militärische Aktivitäten ein wichtiges Thema für soziale Bewegungen sein, die ohnehin für die Einstellung industrieller Produktionsweisen kämpfen, die Naturzerstörung voraussetzen und erzeugen. Dennoch wird unter den großen Akteuren des zivilgesellschaftlichen Klimaschutzes kaum über die Rolle des Militärs als Treiber des Klimawandels gesprochen. Das mag der Tatsache geschuldet sein, daß damit Interessen des staatlichen Gewaltmonopols berührt werden, die der Handlungsfähigkeit sozialer Bewegungen von vornherein enge Grenzen setzen. So können unter dem Primat der nationalen Sicherheit Protestformen mit Hilfe von Sondervollmachten auf massive Weise unterdrückt werden. Davon betroffene AktivistInnen laufen Gefahr, als Staatsfeinde eingestuft und unter Terrorismusverdacht gestellt zu werden. Wenn an irgendeiner Stelle der Bemühungen, den Klimawandel zu begrenzen, konkrete Machtfragen berührt werden, dann an dieser. Es mit dem Kernbestand staatlicher Gewalt auf eine Machtprobe ankommen zu lassen ist sicherlich niemandem zu empfehlen.


Fußnoten:

[1] http://www.opera-platonis.de/Politeia.pdf

[2] https://www.sipri.org/sites/default/files/2019-04/fs_1904_milex_2018.pdf

[3] Die Erdzerstörer, Dokumentarfilm von Jean-Robert Viallet, Arte Frankreich 2019
https://www.arte.tv/de/videos/073938-000-A/die-erdzerstoerer/

[4] https://socialistproject.ca/2018/12/siloed-thinking-climate-disposable-people/

3. Mai 2019


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