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KRIEG/1758: Irankonflikt - und unsere konkurrierende Beteiligung ... (SB)



Ich könnte mir vorstellen, dass wir Europäer unsere Präsenz sogar verstärken und die Amerikaner sich aus der Region zurückziehen, dass wir quasi im Rahmen einer transatlantischen Lastenteilung ein stärkeres europäisches Gewicht in der Region gewinnen. Dazu muss die EU und die drei Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die E3, die ja auch beim Nuklearabkommen etwas zu sagen haben, sich sehr stark und rasch abstimmen. Ich sehe eher Vorteile eines verstärkten europäischen Engagements, wenn der Irak es will. Und die Amerikaner könnten sich aus der Region dahingehend zurückziehen - sie tun es ja zum Teil schon -, wenn die Europäer mehr Verantwortung übernehmen.
CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter im Deutschlandfunk [1]

Mit dieser Ansage bringt Roderich Kiesewetter exakt das Leitmotiv expansionistischer deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zum Ausdruck, wie es im geostrategischen Entwurf "Neue Macht - Neue Verantwortung" (2013) ausformuliert worden ist. Während sich die USA aus dem Nahen Osten zurückziehen, um sich auf die Einkreisung Chinas zu konzentrieren, rückt die Bundesrepublik in diese Region nach, um die Lücke zu füllen und sich dort als westliche Führungsmacht zu etablieren. Dieses Konzept stand in Einklang mit langfristigen strategischen Plänen der NATO, ihren weltweiten Vormarsch im Zuge einer eng unter den Verbündeten abgestimmten Lastenteilung und Umschichtung der Verantwortung durchzusetzen. Inzwischen mutet das Vorhaben recht utopisch, wenn nicht gar illusorisch an, haben doch zahllose Unwuchten und Verwerfungen nicht nur den Marschtritt der westlichen Mächte gebremst, sondern auch deren inneren Zusammenhalt heftig erschüttert.

Was sich gravierend verändert hat, sind die zeitlichen Zielvorgaben des imperialistischen Projekts globaler Dominanz. Maßgebliche Kreise US-amerikanischen Strebens nach unumschränkter Vorherrschaft haben mittels ihrer politischen Marionette im Weißen Haus die Reißleine gezogen und ihr Armageddon aus einer unbestimmten Zukunft in die Gegenwart vordatiert. Im Kontext ihrer Logik erlauben die Konsolidierung Rußlands und insbesondere der rasante Aufstieg Chinas kein Zögern mehr, da diese Entwicklungen gegen die USA arbeiten. Daher leiten sie die Endschlacht mit militärischem Druck und Handelskriegen schon heute ein, um ihre Gegner in die Knie zu zwingen, bevor diese übermächtig werden.

Daß Washington im Kontext dieser Beschleunigung auch die Verbündeten massiv unter Druck setzt, exzessiv aufzurüsten und alle Ressourcen in den Dienst der finalen Auseinandersetzung zu stellen, sorgt zwangsläufig für Turbulenzen im Gefüge deutschen Vormachtstrebens und eigenständiger Ambitionen der EU. Der Spagat, sich der unverzichtbaren Waffengewalt der USA zu bedienen und unter diesem Schirm zu erstarken, um sich sukzessive vom großen Schutzpatron zu emanzipieren, ihm eines fernen Tages womöglich sogar die Stirn zu bieten, droht in der Überstreckung zu brechen. Die US-Regierung unter dem brachialen Armdrücker Donald Trump läßt nicht länger zu, daß Deutschland ökonomisch enteilt, sich aber militärisch zurückhält, um sein Potential und Arsenal nach eigenen Maßgaben und Schrittfolgen zu entwickeln.

Angesichts dieses Dilemmas beharren Vordenker vom Schlage Kiesewetters um so mehr darauf, daß sich nichts an den wohlerwogenen Strategieplänen ändern dürfe, die sie für alternativlos und nach wie vor erfolgversprechend erklären. Wo immer Trump ins Wespennest sticht, gelte es diesen chaotisierenden Irrwitz nicht nur abzuwettern, sondern in eigenen Vorteil umzumünzen. Nach der Ermordung des iranischen Generals Qassem Soleimani und weiterer Personen durch einen US-Angriff im Irak hat das Parlament in Bagdad beschlossen, daß alle im Land stationierten ausländischen Truppen abziehen müssen. Aus dieser Entscheidung leiten die Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag ab, daß damit auch dem Mandat der Bundeswehr der Boden entzogen werde, weshalb der Einsatz nicht mehr rechtskonform und daher ein "schnellstmöglicher Abzug" geboten sei.

Führende Repräsentanten der deutschen Regierungsparteien halten jedoch überhaupt nichts davon, die Entscheidung des irakischen Parlaments zu respektieren. Außenminister Heiko Maas drückt das so aus:

Wir haben viel investiert an Engagement, nicht nur militärisch, auch an Stabilisierungshilfen, um dieses Land wieder aufzubauen, um Infrastruktur zu schaffen. Das droht, alles verloren zu gehen, wenn sich die Lage so weiterentwickelt. Ich glaube, das geht nicht mit Drohungen, den Irak zu überzeugen, sondern mit Argumenten. (...) Das werden wir jetzt mit der irakischen Regierung, die geschäftsführend im Amt ist, zu besprechen haben. Natürlich will niemand ein militärisches Engagement im Irak gegen den Willen des Parlamentes und der Regierung. Deshalb muss das jetzt besprochen werden. Das letzte Wort hat dort die Regierung. [2]

Das sieht Kiesewetter genauso, der den Amerikanern "nicht nur militärisch, sondern auch politisch einen Riesenfehler" attestiert. Entscheidend sei nun, eine weitere Eskalation zu vermeiden und der Regierung in Bagdad deutlich zu machen, daß es dem Irak helfe, wenn die Europäer und die Anti-IS-Koalition im Land präsent blieben. Die Mission der Bundeswehr sei keineswegs beendet, sondern ruhe lediglich, was ein sehr guter Schritt sei, um der irakischen Regierung Zeit zu geben, die Lage zu bewerten. Schließlich gehe es nicht nur um die 5.000 US-Soldaten, da insgesamt 67 Nationen in der Anti-IS-Koalition und vier internationale Organisationen beteiligt seien, wozu natürlich noch die iranischen Militärberater und Milizen kämen.

Legt diese gewaltige Präsenz ausländischer Streitkräfte den Schluß nahe, daß der Irak de facto eher als Protektorat und Kriegsschauplatz zu bezeichnen sei, spricht Kiesewetter doch davon, daß das Land stabil und souverän bleiben müsse. Wie das funktionieren soll? "Ich glaube, wir sind gut beraten, der irakischen Regierung deutlich zu machen, was es bedeuten würde, wenn sich 67 Staaten aus der gesamten Region zurückziehen würden. Der Irak würde zum Vasallenstaat des Iran." Die aktuelle Eskalation gehe auf die Verletzung der Souveränität des Iraks zurück. Aus diesem Fehler müsse man lernen, und die Antwort könne nicht sein, sich aus der Region zurückzuziehen, sondern dem Irak behutsam deutlich zu machen, daß eine europäische Präsenz hilfreich sei.

Wie Außenminister Heiko Maas und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mitgeteilt haben, werden die in Bagdad und Tadschi stationierten 32 Soldaten aus Sicherheitsgründen vorübergehend nach Jordanien und Kuwait verlegt. Das deutsche Kontingent von insgesamt rund 120 Soldaten im Land werde "vorübergehend ausgedünnt". Deutschland sei grundsätzlich bereit, den Irak weiter zu unterstützen, "sofern dies durch den Irak gewünscht ist und die Lage es erlaubt". Die Bundesregierung wolle nun hochrangige Vertreter zu Konsultationen nach Bagdad entsenden, um zu klären, "wie die irakische Seite das künftige Verhältnis zur internationalen Anti-IS-Koalition gestalten will". [3]

Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte im Frühjahr 2018 die Bundeswehrmission im kurdischen Nordirak für erfolgreich erklärt. Deshalb könne man die dortige Ausbildung auslaufen lassen und das Mandat statt dessen zur Bekämpfung des IS-Terrors weiterentwickeln, nämlich durch Ausbildung von Soldaten der irakischen Zentralregierung in Bagdad. Geschult werden sollten ABC-Abwehrkräfte, Sanitäter und Pioniere. Von der Leyen schwebte damals eine deutsche Beteiligung an einer NATO-Ausbildungsmission vor, auch um den USA zu demonstrieren, daß Deutschland im Bündnis kein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer sei. Es sollte anders kommen. Weder wurde die Ausbildung im Norden erfolgreich beendet, noch beteiligte sich die Bundeswehr an der NATO-Mission. Zwar wurden tatsächlich Soldaten nach Bagdad und Tadschi geschickt, jedoch auf Forderung der SPD nicht unter dem Dach des Bündnisses, sondern aufgrund eines bilateralen Abkommens mit dem Irak.

Logistisch ist der vorübergehende Rückzug überschaubar, da im Hauptquartier der internationalen Anti-IS-Koalition in Bagdad lediglich fünf deutsche Soldaten stationiert sind, während sich im Militärkomplex Tadschi, 30 Kilometer nördlich der Hauptstadt, 27 Bundeswehrsoldaten um die Ausbildung irakischer Kräfte kümmern. Knapp 90 deutsche Soldaten sind weiterhin im nordirakischen Kurdengebiet im Einsatz. Die Ausbildung bei der Zentralregierung ist bereits ausgesetzt, kein Soldat verläßt die geschützten Stützpunkte. Auch die in diesen Tagen geplante Ablösung durch andere Soldaten aus Deutschland wurde vorerst verschoben.

"Ohne ein politisch mit den Regional- und Großmächten abgestimmtes Konzept, insbesondere vor dem Hintergrund einer schwachen Regierung, ist jegliche militärische Unterstützung ziel- und zwecklos", hatte Oberstleutnant André Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, im Frühjahr 2018 gewarnt. Er verwies auf die komplizierte Konfliktlage zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden sowie den Machtkampf der in der Region dominanten Mächte Iran, Rußland, USA, Türkei, den Golfstaaten und Israel. Die "Folgen eines konzeptionslosen und naiven politischen Vorgehens" werde die Bundeswehr ausbaden müssen.

Hat sich diese Vorhersage bestätigt? Geht nun ein von Anfang an verkorkster Bundeswehreinsatz im Irak einem unrühmlichen Ende entgegen, wie Die Welt höhnt, als sei ein gediegener und machtvoller deutscher Auslandseinsatz das höchste der Gefühle? Diese Interpretation könnte irreführender nicht sein, hat doch ein Sprecher des Verteidigungsministeriums längst versichert, man prüfe derzeit alle Möglichkeiten, um die deutschen Soldaten bei Bedarf "reaktionsschnell" zurückholen zu können. Wir sind gekommen, um zu bleiben, lautet nicht nur das Credo der US-Regierung, die ihre offiziell 5000 im Irak stationierten Soldaten nicht abziehen will. Gleiches gilt auch und gerade jetzt für die Bundeswehr.


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/eskalation-in-der-golf-region-die-amerikaner-haben-einen.694.de.html

[2] www.deutschlandfunk.de/maas-spd-zu-usa-iran-konflikt-unter-allen-umstaenden-einen.694.de.html

[3] www.welt.de/politik/deutschland/article204807998/Irak-Bundesregierung-zieht-Bundeswehr-teilweise-ab.html

7. Januar 2020


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