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KRIEG/1775: Friedensbewegung schrumpft - Krisen- und Kriegsgefahren wachsen ... (SB)



Während die UNO zum weltweiten Waffenstillstand aufruft, um die Coronavirus-Pandemie zu bekämpfen, gießt die Bundesregierung mit ihren Kriegswaffen in Krisengebiete weiter Öl ins Feuer. Wir brauchen einen sofortigen Waffenexportstopp und eine Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile Güter wie medizinische Geräte. Es ist Zeit, für das Leben statt für den Tod zu produzieren.
Sevim Dagdelen (Abrüstungspolitische Sprecherin der Linksfraktion) [1]

Seit 60 Jahren setzt die Friedensbewegung in der Bundesrepublik mit ihren Ostermärschen ein Zeichen gegen Krieg, Aufrüstung und Militarisierung. Während in der Hochzeit der Bewegung Zehntausende Menschen auf die Straße gingen, nimmt diese Thematik seit langem nur noch einen schwindenden Raum in der öffentlichen Wahrnehmung ein. Wenngleich von den Teilnehmerzahlen her dramatisch geschrumpft und in ihrer Wirkung entsprechend marginalisiert, ist diese Form von Protest und Gegenwehr doch nie ganz von der Bildfläche verschwunden. Ihr Fortbestand und eine mögliche Wiederbelebung hängen entscheidend davon ab, ob es gelingt, einen Übertrag zu wesentlich jüngeren Feldern gesellschaftspolitischen Engagements wie insbesondere der Klimagerechtigkeitsbewegung herbeizuführen.

Aufgrund der Coronapandemie sah sich die Friedensbewegung mit der Einschränkung konfrontiert, ihre diesjährigen Ostermärsche größtenteils nur virtuell durchführen zu können. Dessen ungeachtet versuchte sie, ihre Forderung nach Abrüstung und Frieden auf kreative Weise an die Öffentlichkeit zu bringen. Wie das Netzwerk Friedenskooperative mitteilte, dekorierten Menschen ihre Fenster und Balkone mit Bannern und Friedensfahnen und verbreiteten die Fotos davon in den sogenannten sozialen Medien. Es gab virtuelle Plakataktionen, in mehreren Medien wurden Presseerklärungen und Anzeigen plaziert, zudem Plakate in Fenstern und auch in Fußgängerzonen aufgehängt. Etliche regionale Bündnisse organisierten virtuelle Kundgebungen, in Baden-Württemberg flog ein Flugzeug mit einem Werbebanner und der Forderung "Abrüstung jetzt!" über Schwäbisch Hall, Tübingen und Stuttgart. In einzelnen Städten wie Gronau, dem Tornado-Standort Jagel oder Schwerin fanden Aktionen im öffentlichen Raum unter Einhaltung von behördlichen Auflagen statt. [2]

Wo dies etwa in Form von Spaziergängen mit Plakaten möglich war, geschah es insbesondere unter Verweis auf das Mißverhältnis, daß trotz Corona immer noch Milliarden für Rüstung und Krieg statt für den Erhalt und Ausbau der Gesundheitssysteme ausgegeben werden. Die IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges - Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.) rechnet vor: Statt 7,5 Milliarden Euro für neue deutsche Atombomber auszugeben, könnten mit dem Geld 100.000 Intensivbetten, 30.000 Beatmungsgeräte, 60.000 Pflegekräfte und 25.000 Ärztinnen und Ärzte bezahlt werden. [3]

An fundierten Gründen, eine Antikriegsbewegung auf der Höhe aktueller Auseinandersetzungen ins Feld zu führen, herrscht kein Mangel. So wurde vor kurzem bekannt, daß die US-Streitkräfte bereits im Herbst 2019 in geheimer Operation ihre in Deutschland stationierten Atomwaffen auf den neusten Stand gebracht haben. Demnach hat die US-Luftwaffe die rund 20 Wasserstoffbomben vom Typ B61 vom Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz mit einer militärischen Transportmaschine für zwei Tage in die USA geflogen, wo die Software des Waffensystems erneuert wurde. Die Bundesregierung war erst kurz vor der Operation in Kenntnis gesetzt worden, worauf sie Kräfte der Bundeswehr für den Fall von Problemen beim Transport der Waffen bereithielt. Das US-Verteidigungsministerium kommentierte unter Verweis auf Sicherheitsgründe keine Details über den Transport der Systeme über den Atlantik. Jede Bewegung des nuklearen Arsenals der USA finde unter höchsten Sicherheitsstandards statt, teilte das Pentagon lediglich mit.

Die USA geben für das Modernisierungsprogramm ihres nuklearen Arsenals, zu dem auch die Erneuerung der in Deutschland stationierten Waffen gehört, zehn Milliarden Dollar aus. Die Planungen sehen vor, die etwa 30 Jahre alten Bomben vom Typ B61-3 und B61-4 durch das neue Modell B61-12 zu ersetzen, das lenkbarer und wesentlich zielgenauer als die älteren Bauarten ist. Die bislang in Büchel stationierten Bomben haben demnach eine Sprengkraft zwischen 50 und 170 Kilotonnen, was dem Vier- bis Dreizehnfachen der Sprengkraft der 1945 über Hiroshima abgeworfenen Bombe entspricht.

Die Atombomben in Büchel sind Teil des nuklearen Abschreckungsarsenals der NATO, wobei ihre Existenz weder von deutscher noch von US-amerikanischer Seite offiziell bestätigt wird. Für ihren Einsatz im Ernstfall hält die Bundeswehr Tornado-Kampfjets bereit, die Teil des auf Luftangriffe spezialisierten Taktischen Luftgeschwaders 33 der Bundeswehr sind, das ebenfalls in Büchel stationiert ist. Die Bundeswehr würde die Atombomben im Ernstfall abwerfen, doch die Codes für die Aktivierung der Waffen sind nur dem US-Militär bekannt.

Noch vor zehn Jahren war die Forderung nach einem Abzug der Atombomben für alle im Bundestag vertretenen Parteien zumindest ein statthaftes Thema. Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hatte ihn 2009 in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, und 2010 unterstützte auch der Bundestag einen Abzug dieser Waffen aus Deutschland. In einem gemeinsamen Antrag schrieben damals alle Fraktionen, sie begrüßten Absichten der Bundesregierung, sich "dafür einzusetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden". Linke und Grüne setzen sich seit Jahren für den Abzug der Atombomben ein, und im Bundestagswahlkampf 2017 erhob SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ebenfalls diese Forderung. Dazu gekommen ist es bekanntlich nie. [4]

Während mit Blick auf die in Deutschland stationierten US-Atomwaffen die Subordination des deutschen Militarismus deutlich zutage tritt, treibt dieser auf vielen anderen Feldern eigenständig seine Expansion voran. So bleiben die Rüstungsexporte aus Deutschland weiter auf Rekordkurs. Die Bundesregierung hat im ersten Quartal 2020 den Verkauf von Waffen und Kriegsgerät im Wert von 1,16 Milliarden Euro genehmigt, während es im entsprechenden Zeitraum des Vorjahrs noch 1,12 Milliarden Euro gewesen waren. Das geht aus der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine schriftliche Frage der abrüstungspolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, hervor. Bei den Angaben handelt es sich um Zahlen zu Ausfuhrgenehmigungen, nicht zu tatsächlichen Exporten von Rüstungsgütern, doch gelten die Daten als Gradmesser für den grundsätzlichen Kurs in der Rüstungspolitik.

Während der Wert der genehmigten Ausfuhren an EU- und NATO-Staaten rückläufig war, gab es bei den Entwicklungsländern einen starken Anstieg von 134 Millionen Euro 2019 auf 360 Millionen Euro. Diese sind eine Untergruppe der sogenannten Drittländer, die weder zur EU noch zur NATO gehören oder diesen Ländern gleichgestellt sind wie etwa Australien. Die Genehmigungen für Drittländer stiegen von 390 Millionen Euro auf 615 Millionen Euro, wobei dieser Wert zum "weit überwiegenden Teil einzelne großvolumige Genehmigungen im maritimen Bereich" enthält. Dazu dürfte ein U-Boot gehören, das nach Ägypten geliefert werden soll. Das arabische Land war mit 290 Millionen Euro der mit Abstand größte Empfänger von Kriegswaffen aus Deutschland.

Kritik an Rüstungsgeschäften mit Ägypten entzündet sich an der verheerenden Menschenrechtssituation in diesem Land, dessen Beteiligung am Krieg im Jemen und den Waffenlieferungen des Regimes nach Libyen. Sevim Dagdelen forderte erneut einen sofortigen Waffenexportstopp und eine Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile Güter wie medizinische Geräte. Auch bei Menschenrechtlern und Kirchen stoßen Rüstungsexporte an Drittländer grundsätzlich auf massive Kritik. Im vergangenen Jahr übersprang der Gesamtwert der erteilten Genehmigungen erstmals die Marke von acht Milliarden Euro. Mit Blick auf das erste Quartal 2020 scheint eine Trendwende nicht in Sicht, woran auch die Coronapandemie kaum etwas ändern dürfte. [5]

Die dramatische Ausbreitung der Seuche, die weltweit das Leben von Millionen Menschen bedroht, soll die Auslandseinsätze der Bundeswehr nach dem Willen der Bundesregierung keinesfalls beeinträchtigen. So unterstrich Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer: "Wir müssen auch sicherstellen, dass der Kernauftrag, den wir haben, die Bündnis- und Landesverteidigung, die Gewährung der äußeren Sicherheit, aber auch unsere internationalen Verpflichtungen sichergestellt werden." Die Einsätze gingen "ganz normal weiter", man halte "in allen Missionen, in allen internationalen Gebieten" die Leistungen aufrecht.

Am 13. März verlängerte der Bundestag den NATO-geführten Militäreinsatz "Sea Guardian" im Mittelmeer und die Mission "Resolute Support" in Afghanistan um jeweils ein weiteres Jahr. "Sea Guardian" und der Ende März von der EU beschlossene Marineeinsatz "Irini" vor der libyschen Küste, an denen die Bundeswehr mit Kriegsschiffen, Aufklärungsflugzeugen und Hunderten Soldaten beteiligt ist, dienen der Abschottung der Festung Europa gegen Flüchtlinge sowie der Vorbereitung neuer Raubzüge auf dem rohstoffreichen Kontinent. Am 25. März folgte die "Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte" in Syrien und im Irak. Unter dem neuen Mandat sollen die A400M-Transporter der Bundeswehr vom jordanischen Luftwaffenstützpunkt al-Azraq aus weiterhin die Kampfflugzeuge der sogenannten Anti-IS-Koalition betanken und darüber hinaus auch für Flüge in den Irak eingesetzt werden. Hinzu kommt der geplante Einsatz eines Luftraumüberwachungsradars im Irak. Die Ausbildungsmission deutscher Soldaten im Zentralirak soll dabei künftig nicht mehr der US-geführten Operation Inherent Resolve, sondern der NATO unterstellt werden.

Zuletzt erklärte die Bundesregierung ihre Unterstützung für eine Ausweitung der von Frankreich geführten Kriegsoffensive in der Sahelzone. Eine neu gebildete "Task Force" werde unter dem Namen "Takuba" in das Kommando der Operation "Barkhane" integriert und "sich hauptsächlich aus europäischen Spezialeinheiten zusammensetzen, die von den wichtigsten Befehlshabern unterstützt werden und ein hohes Maß an Autonomie bieten", heißt es in einer offiziellen Erklärung des französischen Verteidigungsministeriums. Ziel der Offensive ist die Zusammenfassung aller bisherigen Missionen, an denen Deutschland bereits mit über tausend Soldaten beteiligt ist, in einem umfassenden Kriegseinsatz. So werde die neue Task Force "die malischen Streitkräfte beraten, unterstützen und begleiten, und zwar in Abstimmung mit den G5-Sahel-Partnern, der UN-Mission (MINUSMA) und den EU-Missionen (EUTM Mali, EUCAP Mali und EUCAP Niger)".

Daß die astronomischen Summen, die der deutsche Militarismus verschlingt, keineswegs reduziert, sondern weiter erhöht werden sollen, bekräftigte Außenminister Heiko Maas: "Was die Zwei-Prozent-Vorgaben angeht, gilt das, was wir bisher gesagt haben. Wir haben seit 2014 unsere Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien um 45 Prozent erhöht. Wir stehen auch zu unseren Zusagen und wir beweisen das auch jeden Tag." [6] Während die Coronakrise als vorzügliches Einfallstor eines Bundeswehreinsatzes im Inneren genutzt wird, schreitet die Durchsetzung des deutschen Vormachtstrebens im Nahen und Mittleren Osten wie auch in Afrika voran, von der globalen Positionierung gegen Rußland und China ganz zu schweigen.


Fußnoten:

[1] www.zeit.de/politik/deutschland/2020-04/waffenlieferungen-ruestungsexporte-bundesregierung-ausfuhren-genehmigt

[2] www.jungewelt.de/artikel/376381.ostermarsch-in-zeiten-der-pandemie-kreativer-protest-friedensbewegung-trotzt-coronakrise.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/376371.friedensbewegung-milliarden-für-krieg-statt-für-gesundheit.html

[4] www.zeit.de/politik/ausland/2020-04/nato-usa-atomwaffen-modernisierung-deutschland-buechel

[5] www.tagesschau.de/wirtschaft/ruestungsexporte-193.html

[6] www.wsws.org/de/articles/2020/04/06/mili-a06.html

15. April 2020


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