Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KRIEG

FLUCHT/006: Pakistan - Großer Flüchtlingsansturm aus Afghanistan, Behörden greifen durch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Februar 2012

Pakistan: Großer Flüchtlingsansturm aus Afghanistan - Behörden greifen durch

von Ashfaq Yusufzai

Viele afghanische Flüchtlinge leben vom Straßenhandel - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Viele afghanische Flüchtlinge leben vom Straßenhandel
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, 24. Februar (IPS) - In der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa an der Grenze zu Afghanistan wollen die Behörden strikter gegen illegale Zuwanderer aus dem Nachbarland vorgehen. Sie haben die Zentralregierung um Erlaubnis gebeten, die Situation in die eigene Hand zu nehmen, um mit dem sozial und wirtschaftlich folgenschweren Ansturm fertig zu werden.

Während der sowjetischen Invasion Afghanistans 1979 waren bereits fünf Millionen Afghanen über die durchlässige 2.400 Kilometer lange Grenze in das Nachbarland geflohen. Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR leben in Pakistan inzwischen legal rund 1,7 Millionen afghanische Flüchtlinge. Hinzu kommen nach Erhebungen des pakistanischen Innenministeriums etwa 400.000 Afghanen ohne Papiere. Viele von ihnen haben sich in der an ihre Heimat angrenzende Provinz Khyber Pakhtunkhwa niedergelassen.

Pakistan erscheint vielen Afghanen als einziger Ausweg aus einem Leben, das von Armut und Verfolgung gekennzeichnet ist. So berichtet Haji Dost Muhammad von der Dschirga (Stammesrat) Afghanischer Flüchtlinge, dass die Menschen nicht in ein Land zurückkehren wollten, wo es weder Strom und Wasser noch Bildungsmöglichkeiten gebe. "Unsere Kinder sind hier geboren und aufgewachsen. Sie wollen nicht zurück, weil sie in Pakistan etwas lernen können. Erst wenn sich die Lage in Afghanistan bessert, sind wir zur Heimkehr bereit."


Flüchtlinge für pakistanische Bevölkerung eine große Bürde

Viele Pakistaner sind mittlerweile frustriert darüber, dass sie die Last einer Flüchtlingsschar tragen müssen, die auf dem lokalen Arbeitsmarkt eine Konkurrenz darstellt und für den Anstieg der Kriminalität verantwortlich gemacht wird. Die Ermittlungsbehörde FIA und die Polizei sind mit ihrem Vorhaben, Menschen ohne Papiere nach dem Ausländergesetz zur Rechenschaft zu ziehen, bisher nicht weitergekommen.

Wie ein Regierungsbeamter gegenüber IPS erklärte, muss die Zentralregierung endlich Vorkehrungen treffen, um Afghanen ohne Papiere am Betreten des Landes zu hindern. Es seien größere Bemühungen notwendig, um ein jahrzehntealtes Problem zu lösen.

In Khyber Pakhtunkhwa wird der Ruf nach einer Einwilligung der Zentralregierung immer lauter, künftig alle Afghanen ohne Aufenthaltsgenehmigung aus der Region deportieren zu dürfen.

Im Januar vergangenen Jahres hatte sich jedoch eine Drei-Parteien-Kommission aus Vertretern des UNHCR, Pakistans und Afghanistans darauf verständigt, dass die Aufenthaltsbewilligung für afghanische Flüchtlinge angesichts des fortdauernden Konflikts in ihrem Herkunftsland um zwei Jahre verlängert wird.

Der von IPS befragte Beamte kritisierte allerdings, dass diese "vage" Einwanderungspolitik eine langfristige Lösung hinauszögere. "Während die Frage mit inkompetenten Behörden wie der Dreier-Kommission beraten wird, hat die fortdauernde Präsenz der Afghanen vielfältige sozio-ökonomische Probleme in Khyber Pakhtunkhwa hervorgerufen", sagte er.

Da die Bewohner der Provinz und der Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) die Folgen des ausufernden Zustroms von Flüchtlingen tragen und etwa mit billigeren Arbeitskräften konkurrieren müssten, sollten die Provinzen ein Mitspracherecht bei Entscheidungen zu dieser Frage haben, forderte er.

Nach einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Innenministeriums in Islamabad lebt zusätzlich zu den Flüchtlingen und Einwanderern im Norden noch etwa eine Million Afghanen in der Hauptstadt und in anderen Landesteilen. Viele von ihnen hätten sich inzwischen mit eigenen Firmen selbstständig gemacht.


Illegale Einwanderer besorgen sich falsche Pässe

Ein weiterer Vorwurf lautet, dass sich viele Immigranten falsche Pässe beschaffen würden, um unter anderem Namen Geschäfte und Bankkonten zu eröffnen sowie Immobilien und Autos zu kaufen. "Wir fanden heraus, dass etwa 80.000 Afghanen illegal Identitätspapiere erworben haben. Jetzt greifen wir strikt durch. So sind wir bereits gegen Hunderte Dokumentenfälscher vorgegangen", sagte Jawad Ali von der Nationalen Meldebehörde (NADRA). Sondereinsatzkräfte der Polizei und der Geheimdienst hätten die Regierung über straffällige Flüchtlinge informiert.

Offiziellen Daten zufolge besuchen mehr als 14.000 Afghanen staatliche und private Bildungseinrichtungen. 470 Einwanderer seien Vorbeter in Moscheen. Nachdem mehrfach darüber berichtet wurde, dass islamische Geistliche Extremismus und religiöser Zwietracht Vorschub leisteten, hieß es aus informierten Kreisen, dass 164 aus ihren Ämtern entfernt worden seien. Das Innenministerium gab der Polizei kürzlich grünes Licht für unverzügliche Aktionen gegen verdächtige Religionsführer, die noch auf ihren Posten verblieben seien.

Trotz der Entsendung zusätzlicher Grenztruppen ist der Zustrom von Afghanen über wenig genutzte Routen ungebrochen. Täglich versuchen zudem Hunderte Menschen legal über den einzigen offiziellen Übergang Torkham nach Pakistan zu gelangen. Die Behörden von Khyber Pakhtunkhwa schlugen dem Innenministerium im Islamabad vor, vier zusätzliche Grenzübergänge nach Afghanistan zu öffnen, um den Ansturm von Einwanderern in den Griff zu bekommen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://un.org.pk/unhcr/
http://www.unhcr.org/refworld/country,LEGAL,,LEGISLATION,PAK,4562d8cf2,3ae6b4f314,0.html
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106851

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. Februar 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2012