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FLUCHT/008: Burma - Kachin-Flüchtlinge vor neuer Krise, Regierung lässt Hilfslieferungen nicht durch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. März 2012

Burma: Kachin-Flüchtlinge vor neuer Krise - Regierung lässt Hilfslieferungen nicht durch

von Marwaan Macan-Markar


Bangkok, 26. März (IPS) - Nachdem in Burma tausende ethnische Kachin, die vor den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Rebellen geflohen waren, in Lagern im Norden des Landes einen bitterkalten Winter hinter sich brachten, steht ihnen im nächsten Monat die nächste Krise bevor. Dann nämlich werden heftige Stürme erwartet - die Vorboten der alljährlichen Monsunregen.

In den Camps leben mehr als 45.000 Menschen in armseligen Bambushütten. Hinzu kommen 20.000 Menschen, die sich nach Ausbruch der Kämpfe zwischen Regierungstruppen und KIA im letzten Juni in die von der Regierung kontrollierten Städte Bhamo und Myitkyina in Sicherheit brachten. Weitere 10.000 Kachin haben die Grenze nach China passiert und leben dort als nicht anerkannte Flüchtlinge in provisorischen Dschungelcamps, wie die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) berichtet.

"Es ist wichtig, dass alle Opfer des Konflikts noch vor Ausbruch des Monsuns Hilfe erhalten", meinte Barbara Manzi, Leiterin des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA). "Die schweren Stürme zerreißen die Abdeckplanen, unter denen die Flüchtlinge leben, und erschweren den Zugang zu den betroffenen Menschen", berichtete sie aus der ehemaligen Kolonialstadt Rangun im Telefongespräch mit IPS. "Die Straßen sind eng und nur sehr schwer passierbar."

Doch letztendlich geht es um die Frage, ob Präsident Thein Sein, der an der Spitze einer quasi zivilen Regierung steht, die von den UN koordinierten Hilfslieferungen zu den abertausenden Binnenflüchtlingen im Kachin-Staat durchlassen wird. Bisher ist das nicht der Fall, wie HRW in einem 83-seitigen Bericht kritisiert, in dem zudem die Angriffe der burmesischen Armee auf Dörfer der Kachin beschrieben werden, bei denen Häuser zerstört und geplündert sowie Zehntausende vertrieben wurden.


Menschenrechtsverletzungen der Armee

Soldaten hätten Zivilisten in Verhören bedroht, gefoltert und Frauen vergewaltigt, heißt es in dem Report 'Untold Miseries: Wartime Abuses and Forced Displacement in Burma's Kachin State'. Darüber hinaus habe die Armee Antipersonenminen eingesetzt und auch Kinder im Alter von 14 Jahren gezwungen, an der Front zu arbeiten.

HRW-Mitarbeiter waren 2011 zweimal nach Kachin-Staat gereist, hatten neun Lager für Binnenflüchtlinge sowie Gebiete in der chinesischen Provinz Yunnan besucht, wo viele Kachin untergekommen sind. Der neue Bericht basiert auf mehr als 100 Gesprächen mit Vertriebenen, Flüchtlingen und Opfern von Misshandlungen sowie mit Rebellen der Kachin, Deserteuren der burmesischen Armee und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen.

"Die burmesische Armee verletzt im Kachin-Staat ungehindert Menschenrechte, während die Regierung denjenigen humanitäre Hilfe verweigert, die sie am dringendsten benötigen", monierte Elaine Pearson, stellvertretende Leiterin der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. "Sowohl die Armee als auch die Kachin-Rebellen müssen unverzüglich dafür sorgen, dass sich die schreckliche Situation der Zivilbevölkerung nicht weiter verschlechtert."

Die seit langem fehlende Bereitschaft, nationalen und internationalen Hilfsorganisationen zu erlauben, in von KIA oder anderen Rebellen kontrollierten Gebieten humanitäre Hilfe zu leisten, habe einige Hilfsgruppen abgehalten, sich um den Zugang zu den betreffenden Gebieten zu bemühen, sagte HRW. Organisationen, die die Ausweitung ihres Aktionsradius anstrebten, befürchteten sogar, in Fällen, in denen sie um eine entsprechende Zugangsgenehmigung ansuchten, andere, bereits bewilligte Projekte aufs Spiel zu setzen, heißt es in der HRW-Untersuchung.

Nachdem im Dezember zwei Hilfskonvois die Militärposten in Richtung Laiza, einer Stadt im Herzen des von der KIA kontrollierten Gebietes, passieren durften, waren die Hoffnungen groß, dass sechs Monate nach Beginn der Kämpfe ein dauerhafter Hilfskorridor zustande kommen könnte. Doch ein Anfang März veröffentlichter OCHA-Bericht schildert den begrenzten Erfolg der UN-Organisationen, die burmesische Regierung zu einem Umdenken zu bewegen.

Die Anstrengungen des UN-Hilfskoordinators um die staatliche Genehmigung, allen Vertriebenen zu helfen, hätten zwar zur Einrichtung eines humanitären Korridors in den staatlich kontrollierten Gebieten und "schwer erreichbaren Gebieten im Dezember 2011" geführt. Doch ein nachhaltiger Zugang stehe noch aus, geht aus dem OCHA-Bericht 'Humanitarian Situation and Response Plan in Kachin' hervor.


Zugang verwehrt

"Die Regierung verweigert UN-Hilfskonvois den Zugang zu den von der KIA kontrollierten Gebieten", meinte Mathew Smith, ein führender Autor des HRW-Berichts. "Dass die Hilfslieferungen nicht den Kachin-Staat erreichen, ist eine in (der neuen Hauptstadt) Naypidaw gefällte Entscheidung."

Dass sich die Situation im Kachin-Staat zunehmend verschlechtert, steht in starkem Gegensatz zu den positiven Entwicklungen seit der Amtseinführung von Thein Sein im vergangenen August. Seine Regierung hatte den eisernen Griff des Militärs der letzten 50 Jahre spürbar gelockert, Reformen eingeführt und politische Gefangene freigelassen. Zudem erlaubte sie Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, bei den Wahlen am 1. April für einen Parlamentssitz zu kandidieren.

Die derzeitige Not der Kachin ist eine Reminiszenz der humanitären Krise und Menschenrechtsverletzungen, wie sie die ethnischen Minderheiten bereits seit fünf Jahrzehnten erleiden. So haben die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und ethnischen Rebellen 500.000 Menschen aus ihren Dörfern vertrieben.

Der Ausbruch der Gewalt im vergangenen Juni beendete eine Feuerpause, die Kachin-Führer mit der früheren Militärregierung 1994 geschlossen hatten. Das Abkommen war eines von vielen, das die Generäle mit 17 anderen Separatistenbewegungen seit den 1990er Jahren eingegangen waren. "Die burmesischen Truppen haben mit den Kämpfen im Juni begonnen und die Feuerpause gebrochen", meinte dazu James Lum Dau, Vizechef für auswärtige Angelegenheiten vom politischen Arm der KIA. "Sie dachten, sie könnten uns in wenigen Wochen schlagen. Doch wir werden nicht aufgeben." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.hrw.org/reports/2012/03/20/untold-miseries
http://www.burmalibrary.org/docs13/2012-03-00-OCHA-Kachin-humanitarian_situation_+_plan.pdf
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=107182

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. März 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2012