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KOLLATERAL/019: Zentralafrikanische Republik - Helfer im Fadenkreuz bewaffneter Gruppen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. April 2014

CAR: Helfer im Fadenkreuz bewaffneter Gruppen - Bewaffnete Eskorten umstritten

von Jonathan Rozen


Bild: © Jean-Pierre Mustin/ EU/ECHO/cc by 2.0

Der Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik hat mehr als 600.000 Menschen zu Flüchtlingen gemacht
Bild: © Jean-Pierre Mustin/ EU/ECHO/cc by 2.0

New York, 8. April (IPS) - In der Zentralafrikanischen Republik (CAR), einem Land, in dem nach UN-Angaben "ethnisch-religiöse Säuberungen" stattfinden und staatliche Strukturen "verschwunden" sind, erweisen sich Hilfseinsätze nicht nur als schwierig, sondern auch als gefährlich.

"Für alle in diesem Land bedeutet die Gewalt eine unerhörte Gefahr für die Sicherheit", bestätigt Judith Léveillée, stellvertretende Leiterin des CAR-Büros des Weltkinderhilfswerks UNICEF in Bangui. "Im letzten Jahr wurden neun Helfer getötet. Das hier ist mein siebter Einsatz. Doch so etwas habe ich noch nie erlebt."

Der Konflikt in der CAR begann im Jahr 2012, als muslimische Séléka-Rebellen Angriffe gegen die Regierung führten. In den darauffolgenden zwei Jahren entwickelte sich der Konflikt zunehmend zu einem Krieg zwischen christlichen Anti-Balaka- und den Séléka-Milizen. Zwar sind Muslime Hauptzielscheiben der Gewalt, doch richtet sich diese auch gegen Christen.

"Es gibt Situationen, in denen wir nicht zu den Menschen durchkommen, die wir erreichen müssten, weil uns die Kämpfer den Zugang erschweren", erläutert Steve Taravella, ein Sprecher des Welternährungsprogramms (WFP). "Straßen werden blockiert, Konvois umgeleitet, Lebensmittellieferungen geplündert und die Menschen attackiert", berichtet er.

Nach Erkenntnissen der UN sind die Kampfhandlungen in der Hauptstadt Bangui zwar aufgrund der Aufstockung der internationalen Truppen und der Massenflucht zurückgegangen. Dennoch stellt die extreme und oft überraschend ausbrechende Gewalt in der CAR die Helfer vor eine Vielzahl von Problemen. Schätzungsweise 2,2 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.


Zufahrtswege versperrt, Unsicherheit und Überfälle verbreitet

"Wir haben erlebt, dass die einzige Straße, die von Kamerun nach Bangui führt und die wir als Transportkorridor für Nahrungsmittel verwenden, vollständig abgeriegelt war, weil sich die mehrheitlich muslimischen Fahrer aus Kamerun nicht über die Grenze trauten", erläutert Fabienne Pompey, eine Sprecherin des WFP-Regionalbüros mit Sitz in der CAR. "Jetzt ist der Weg zwar wieder frei, doch werden die Transporte von Soldaten der MISCA begleitet." Die MISCA ist die Friedensmission der Afrikanischen Union (AU).

"Unsicherheit und Überfälle setzen auch den Hilfsorganisationen zu. Es ist problematisch, den Weg über die Straßen zu nehmen und es besteht die Gefahr, dass unsere Fahrzeuge gestohlen werden", berichtet Marie-Servane Desjonqueres, Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz für das zentrale und südliche Afrika.

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Die EU schickt über den Luftweg Hilfsgüter in die Zentralafrikanische Republik
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In einer Sechs-Punkte-Erklärung vom 20. Februar 2014 hatte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die Notwendigkeit betont, die MISCA aufzustocken und ein sicheres Umfeld zu schaffen, damit die Hilfslieferungen die notleidenden Bevölkerungsgruppen erreichen. Doch nach wie vor laufen die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen Gefahr, von bewaffneten Gruppen angegriffen zu werden, wie die Vereinten Nationen am 3. April berichteten.

Derzeit sind nur 2.000 französische Soldaten im Rahmen der Sangaris-Operation und 6.000 Mann der MISCA in der CAR im Einsatz. Auf Anfrage des UN-Generalsekretärs hat die Europäische Union die Entsendung von knapp 1.000 Soldaten zugesagt.

UNICEF- und WFP-Mitarbeiter greifen inzwischen auf bewaffnete Eskorten zurück, um auch in die Gebiete zu kommen, in denen die Sicherheitslage besonders kritisch ist. Nur wenn es sein muss, lasse man sich von Sangaris- oder MISCA-Soldaten begleiten, erläutert Léveillée. "Es ist sehr wichtig, dass wir unsere Neutralität bewahren. Wir wollen nicht, dass man uns automatisch mit bewaffneten Eskorten in Verbindung bringt."

Am 3. März schlug Ban Ki-moon für die CAR eine 12.000 Mann starke UN-Friedensmission vor. Erwartet wird, dass der UN-Sicherheitsrat (UNSC), der alle Friedenseinsätze genehmigen muss, über die entsprechende Resolution in der zweiten Aprilhälfte entscheiden wird. Wie der derzeitige UNSC-Präsident, der Nigerianer Freude Ogwu, am 2. April gegenüber Journalisten erklärte, könnte die Umsetzung im September erfolgen.


Dialog statt Eskorten

Einige Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen (MSF) und die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung (IFRC) verzichten vollständig auf bewaffnete Begleitpersonen. Sie setzen ausschließlich auf Verhandlungen mit den Konfliktparteien, um sich den Zugang zu den Menschen zu verschaffen.

"Wir verlassen uns darauf, dass uns die Konfliktparteien respektieren", betont Sylvain Groulx, Leiter der in Bangui stationierten MSF-Mission. "Wir sind unbewaffnet und greifen nie auf bewaffnete Begleitpersonen zurück", so auch der IFRC-Sprecher Benoit Matsha-Carpentier, gegenüber IPS. "Das widerspräche unseren Grundsätzen."

Die IFRC greift auf ein Netzwerk nationaler Gesellschaften zurück, die auf lokaler Ebene Unterstützung leisten. Die entsprechende Gesellschaft in der CAR hat sowohl der IFRC als auch anderen Hilfsorganisationen dabei geholfen, sich Zugang zu der Bevölkerung zu verschaffen.

"Wenn es für uns vor Ort zu gefährlich wird, greifen wir auf lokale Partner zurück", schildert Desjonqueres. "Unsere wichtigste Partnerorganisation in der CAR ist das Rote Kreuz der Zentralafrikanischen Republik, das landesweit über ein starkes Netzwerk mit vielen Freiwilligen verfügt."

In einem Konflikt wie in der CAR, der bereits tausenden Menschen das Leben gekostet und mehr als 600.000 in die Flucht geschlagen hat, sind die Hilfslieferungen zwar wichtig, aber keine Lösung des Problems. "Am besten wäre es, wenn der Konflikt politisch beigelegt werden könnte", meint Pompey. "Der Frieden muss von innen kommen." (Ende/IPS/kb/2014)


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IPS-Tagesdienst vom 8. April 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2014