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OFFENER BRIEF/032: An Bundtagspräsident Dr. Norbert Lammert (RA Armin Fiand)


Offener Brief an Dr. Norbert Lammert von RA Armin Fiand


Deutscher Bundestag
Bundestagspräsident
Professor: Dr. Norbert Lammert
per Fax: 030-227-36878



3. März 2010

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Lammert,

während der Debatte im Deutschen Bundestag am 25. Februar 2010 über die Ausweitung des Afghanistan-Mandats ist es, wie die Medien berichteten, zu einem "Eklat" gekommen. Nach der Rede der Abgeordneten der Linken Frau Christine Buchholz waren Abgeordnete der Linksfraktion aufgestanden und hatten Plakate hochgehalten, auf denen die Namen und das Alter von afghanischen Zivilisten zu lesen waren. Die Zivilisten waren am 04. September vorigen Jahres durch den vom Bundeswehr-Oberst Klein angeordneten Luftangriff auf die beiden, von den Taliban entführten, Tanklastwagen bei Kundus ums Leben gekommen. Sinn der Plakataktion war es, auf diese Opfer aufmerksam zu machen und der Toten zu gedenken. Sie - als Präsident des Bundestages - sahen darin eine gröbliche Verletzung der Ordnung im Bundestag und schlossen die Abgeordneten der Linken von der weiteren Teilnahme an der Sitzung aus.

Zunächst hieß es in einigen Online-Diensten, daß die Abgeordneten auch von der sich anschließenden Abstimmung über die Erweiterung des Afghanistaneinsatzes ausgeschlossen bleiben würden. Das hatten Sie sicherlich auch so beabsichtigt, sich dann jedoch - ich nehme an: auf Grund einer rechtlichen Beratung durch den zuständigen Dienst des Bundestags und einer Beratung im Präsidium oder Ältestenrat (Wollen wir sie reinlassen?) - eines besseren besonnen. Die ausgeschlossenen Abgeordneten durften an der Abstimmung teilnehmen.

Sie tun so, als hätten Sie insoweit Gnade vor Recht ergehen lassen. In Wahrheit sind Sie mit Müh und Not an einem eklatanten Rechtsbruch vorbeigeschrammt. Der Ausschluß der Abgeordneten der Linken von der Abstimmung hätte nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen keinen Bestand haben können, er hätte möglicherweise für Sie auch zu strafrechtlichen Konsequenzen geführt. Zum Beispiel nach §§ 105, 106 StGB (Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans, hier: des Bundestages). Die Abgeordneten der Links-Fraktion sind immerhin die einzigen, die sich geschlossen gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wenden und dies zutreffend damit begründen, daß der Krieg in Afghanistan völkerrechtswidrig ist. Diese Stimme gegen den Krieg wurde durch den "Rausschmiß" aus dem Plenarsaal zum Verstummen gebracht.

Sie haben den Ausschluß der Abgeordneten der Linken auf § 68 der Geschäftsordnung des Bundestages gestützt. Wie kann ein wahrheitsgemäßer (visueller) Hinweis auf die katastrophalen Folgen, die sich aus dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ergeben haben, eine gröbliche Verletzung der Ordnung im Deutschen Bundestag sein, die so schwerwiegend ist, daß sie mit dem Saalverweis geahndet werden muß?

Mir kommt es so vor, als wäre nicht die Ordnung im Bundestag, sondern die Ruhe und das Wohlbefinden des Klubs der Abnicker, Durchwinker und Ja-Sager gestört worden. Diesem Klub gehören die Abgeordneten an, die bereit sind, abzusegnen, was ihnen die Bundesregierung vorlegt, ohne groß darüber nachzudenken, ob dies alles auch so in Ordnung ist und die aus diesem Grunde nicht mit unangenehmen Fakten konfrontiert werden möchten. Abgeordnete, die damit einverstanden sind, daß die deutsche Bundesregierung Soldaten nach Afghanistan schickt, damit sie dort ihren Kopf hinhalten, ohne daß den Soldaten genau gesagt wird, wofür sie ihr Leben riskieren sollen. Abgeordnete, die nichts dagegen einzuwenden haben, daß die deutsche Bundesregierung einen wahren Eiertanz aufführt, wenn sie erklären soll, was der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan denn nun ist. Von "friedenserhaltenden Maßnahmen" und von einem "Stabilisierungseinsatz" ist die Rede, aber auch davon, daß in Afghanistan ein "kriegsähnlicher Zustand" bestehe oder - so neuerdings - ein "bewaffneter Konflikt" im Gange sei. Die Bundesregierung möchte sich da nicht so genau festlegen, sondern die endgültige Antwort auf all diese Fragen aus Scheu vor der eigenen Verantwortung dem Generalbundesanwalt überlassen, der nun schon im fünften oder gar sechsten Monat darüber nachdenkt, ohne bisher damit zu Rande gekommen zu sein, ob die Bombardierung der beiden Tanklastwagen dem Völkerstrafgesetzbuch unterliegt, also in einem Krieg geschehen ist, und ob wegen des Massakers von Kundus der Anfangsverdacht eines Kriegsverbrechens begründet ist.

Warum werden die Dinge nicht beim Namen genannt? Warum sagt man den Soldaten nicht unumwunden und ohne Schnörkel, daß sie in den Krieg geschickt werden - in einen Krieg, der nach den Einschätzungen hoher Militärs nicht zu gewinnen ist. Dann hätten die Soldaten zumindest die Möglichkeit, zu sagen, dafür geben wir uns nicht her und den Kriegsdienst zu verweigern.

Diese Soldaten wären im Recht.

Von deutschem Boden darf kein Krieg, sondern nur Frieden ausgehen. So ist es im sog. Zwei-plus-Vier-Vertrag völkerrechtlich verbindlich festgelegt. Die Vorgesetzten dürfen ihre Soldaten nicht in einen Krieg schicken, auch wenn man ihn neuerdings mit "nichtinternationalen bewaffneten Konflikt" umschreiben will. Und der Bundestag darf einem Krieg unter deutscher Führung oder deutscher Beteiligung nicht zustimmen. Keine Resolution des Sicherheitsrates vermag daran etwas zu ändern. Der Sicherheitsrat hat nicht das Recht, den Gründen, die zum Krieg berechtigen und die in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt sind, aus eigener Rechtschöpfung neue Gründe hinzuzufügen. Hiervon abgesehen, ist durch die Resolutionen des Sicherheitsrats, auf die sich die Bundesregierung immer wieder beruft, Deutschland keineswegs verpflichtet worden, sich an dem Aufmarsch in Afghanistan zu beteiligen. Ebenso wenig sind die Taliban durch diese Resolution zum Freiwild erklärt und allgemein zum Abschuß freigegeben worden.

Warum werden unsere Soldaten belogen und getäuscht?


Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat beim feierlichen Gelöbnis der Bundeswehrsoldaten in Berlin am 20. Juli 2008 eine Rede gehalten, in der er ausgeführt hat:

... wenn wir heutzutage an militärischen Eingriffen in Afghanistan uns beteiligen, dann geschieht es in Übereinstimmung mit unserem Grundgesetz, in Übereinstimmung mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - und gemeinsam mit unseren Verbündeten. Man kann über solche Einsätze streiten. Jedoch jeder Soldat und jeder Rekrut darf sich darauf verlassen. Auch künftig werden Bundestag und Bundesregierung unsere Streitkräfte nur im Gehorsam gegen das Grundgesetz und nur im Gehorsam gegen das Völkerrecht einsetzen. Liebe Junge Soldaten! Ihr habt das große Glück - ganz anders als ich als Rekrut des Jahres 1937! -' Ihr habt das Glück, einer heute friedfertigen Nation und Ihrem heute rechtlich geordneten Staat zu dienen. Ihr müsst wissen: Euer Dienst kann auch Risiken und Gefahren umfassen. Aber Ihr könnt Euch darauf verlassen: Dieser Staat wird Euch nicht missbrauchen. Denn die Würde und das Recht des einzelnen Menschen sind das oberste Gebot- nicht nur für die Regierenden, sondern für uns alle.

Schön wäre es, wenn es so wäre. Leider ist es nicht so.


Die neueste Version der Bundesregierung, daß der Bundeswehreinsatz in Afghanistan der Beitrag Deutschlands in einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt nach dem humanitären Völkerrecht ist, ist zwar trickreich, weil damit suggeriert wird, es handele sich im Ergebnis um einen humanitären Einsatz. In Wahrheit handelt es sich aber bei diesem Konflikt um eine Auseinandersetzung, die den Zweck hat, Menschen und Sachwerte zu vernichten. Das bezeichnete man früher als Krieg. Es gibt keine "humanitären Kriege". Das humanitäre Völkerrecht hieß früher Kriegsvölkerrecht. Es regelt, welche humanitären Grundsätze in einem Krieg oder, wie es heute heißt: in einem bewaffneten Konflikt, zu beachten sind.

Man führe sich vor Augen, welches Affentheater die Bundesregierung aufgeführt hat, als das Massaker von Kundus publik geworden war, das man am liebsten verschwiegen hätte. Kein Zivilist ist zu Schaden gekommen, ausschließlich Taliban-Kämpfer - hieß es zunächst. Dann, als zivile Opfer beim besten Willen nicht mehr geleugnet werden konnten - warum hätte sich etwa der amerikanische Oberkommandierende der ISAF-Truppen in Afghanistan, General McChrystal, schon kurz nach der Bombardierung der beiden Lastwagen bei der afghanischen Zivilbevölkerung entschuldigen sollen, wenn diese von dem Angriff gar nicht betroffen wäre? - wurden schnell ein paar Krokodilstränen vergossen. Bundeskanzlerin Merkel erklärte - wie mir schien, innerlich völlig unbeteiligt - am 08.September 2009 im Bundestag:

Letzte Woche Freitag hat eine der schwersten militärischen Auseinandersetzungen der Bundeswehr mit den Taliban im Rahmen des ISAF-Einsatzes in Afghanistan stattgefunden. Zahlreiche Menschen haben ihr Leben verloren. Über die Folgen, insbesondere über zivile Opfer, gibt es widersprüchliche Meldungen. Das genau zu klären, wird uns heute Morgen nicht möglich sein.

Umso mehr sage ich eines vorweg - und zwar ohne jede Umschweife -: Jeder in Afghanistan unschuldig zu Tode gekommene Mensch ist einer zu viel.

Wir trauern um jeden Einzelnen. Jeder unschuldig Verletzte ist einer zu viel. Wir fühlen mit ihnen und ihren Angehörigen. Unschuldig verletzte und zu Tode gekommene Menschen, auch und gerade infolge deutschen Handelns, bedauere ich zutiefst. Es ist mir wichtig, dies heute als deutsche Bundeskanzlerin vor diesem Hohen Haus und genauso dem afghanischen Volk gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Ich denke, ich sage das in Ihrer aller Namen.

Devise: Wenn Zivilisten getötet werden, sagen wir ganz schnell unseren Zauberspruch auf, daß wir das sehr bedauern und tiefes Mitleid empfinden und daß selbstverständlich auch nur ein unschuldig zu Tode gekommener Mensch einer zu viel ist. Und Hokuspokus ist alles wieder im Lot. Und wir können zum nächsten Gefecht übergehen.

Frau Merkel hat in ihrer Regierungserklärung am 08. September 2009 auch ausgeführt:

Die lückenlose Aufklärung des Vorfalls vom letzten Freitag und seiner Folgen ist für mich und die ganze Bundesregierung ein Gebot der Selbstverständlichkeit. Die Bundeswehr wird mit allen zur Verfügung stehenden Kräften genau dazu beitragen. Den Ergebnissen kann und will ich heute nicht vorgreifen. Ich stehe dafür ein, dass wir nichts beschönigen werden, aber ich stehe genauso dafür ein, dass wir Vorverurteilungen nicht akzeptieren werden.

Nichts ist bisher aufgeklärt. Das meiste ist unklar geblieben. Es gibt Widersprüche. Es gibt Versuche, die Wahrheit zu verschleiern. Deshalb musste ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß eingesetzt werden, der herausfinden soll, was tatsächlich geschehen ist. Ob ihm das gelingen wird, ist ungewiß.

Als Bundestagspräsident ist es natürlich, sehr geehrter Herr Lammert, Ihre Aufgabe, über das Ansehen und die Würde des Parlaments zu wachen. Beides haben die Abgeordneten der Linken nicht angetastet. Das Ansehen und die Würde des Parlaments werden aber nachhaltig beschädigt, wenn Kriegsverbrechern wie dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush (im Mai 2002, damals waren Sie noch nicht Präsident des Bundestages) und dem israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres (im Januar 2010) im Deutschen Bundestag Gelegenheit gegeben wird, die verbrecherische Politik ihrer Staaten zu rechtfertigen und ihnen die Abgeordneten anschließend durch stehende Ovationen Anerkennung zollen.

Dank und Anerkennung gebührt den Abgeordneten der Linken, weil sie den Unsinn des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr herausgestellt und weil sie dafür gesorgt haben, daß aus dem Plenarsaal, der ein Ort der lebhaften Debatte sein und bleiben soll, kein Schlafsaal wird.

Diejenigen, die den Willen des Volkes missachten (die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr), aus ihrer Ruhe zu schrecken, ist nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht der Abgeordneten, die ihre Aufgabe nicht darin sehen, der Regierung gefällig zu sein und nach ihrer Pfeife zu tanzen, sondern darin, die Regierung zu kontrollieren und sie darauf aufmerksam zu machen, daß Deutschland in Afghanistan auf dem falschen Wege ist und daß die Toten des Massakers von Kundus zur Umkehr mahnen.

Sie, sehr verehrter Herr Bundestagspräsident, haben sich auf die Fraktion der Linkspartei "eingeschossen", weil Sie auf Grund Ihrer konservativen Geisteshaltung die Linken in unserer Gesellschaft offensichtlich grundsätzlich als Störfaktor ansehen. Am liebsten sähen Sie wohl, wenn die Linken aus der politischen Landschaft wieder verschwinden würden. Dann wäre man wieder ganz unter sich. Diese Sicht der Dinge würde Ihre Verhaltensweise am 25.02. 2010 erklären.

Ich verkenne nicht, daß der "Rauswurf" der Abgeordneten der Linken auch etwas Gutes hatte. Denn nun ist dem Wähler noch einmal mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt worden, wer für Krieg und wer für Frieden ist und wie man versucht, die mundtot zu machen, die sich kompromisslos gegen den Krieg aussprechen.

Mit freundlichen Grüßen
Armin Fiand

Armin Fiand
Rechtsanwalt
Mail: fiand@arcor.de


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Quelle:
Offener Brief an Dr. Norbert Lammert von RA Armin Fiand, 3.3.2010
© 2010 by RA Armin Fiand


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2010