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STANDPUNKT/088: Juncker will Griechen enteignen (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 24. Mai 2011

Juncker will Griechen enteignen
Chef der Eurogruppe bringt Treuhand-Modell für Griechenland ins Gespräch

Von Uli Brockmeyer


Premierminister Jean-Claude Juncker, Chef der Eurogruppe, hat Griechenland eine Privatisierung des Staatsbesitzes nach dem Modell der deutschen Treuhand vorgeschlagen. »Ich würde es sehr begrüßen, wenn unsere griechischen Freunde nach dem Vorbild der deutschen Treuhandanstalt eine regierungsunabhängige Privatisierungsagentur gründen würden«, wird Juncker von der Agentur dapd aus einem Gespräch mit dem Hamburger »Spiegel«. Diese Institution solle »auch mit ausländischen Experten besetzt sein«.

»Die Europäische Union wird das Privatisierungsprogramm künftig so eng begleiten, als würden wir es selbst durchführen«, kündigte Juncker an. Die möglichen Erlöse bezifferte er auf »erheblich mehr als die 50 Milliarden, die die griechische Regierung vorgeschlagen hat«.

Die EU erwarte von Griechenland auch, »daß die beiden großen politischen Gruppierungen des Landes ihre kleinlichen Streitigkeiten beilegen«, sagte Juncker. »Regierung und Opposition sollten gemeinsam erklären, daß sie sich zu den Reform-Vereinbarungen mit der EU bekennen.« Erst wenn Griechenland seinen Haushalt konsolidiert habe, könne man eine »sanfte Umschuldung« einleiten.


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Es ist bezeichnend, daß der Chef der Eurogruppe ausgerechnet das Model ins Gespräch bringt, mit dem seinerzeit 17 Millionen DDR-Bürger enteignet, entrechtet und entwürdigt wurden. Die sogenannte Treuhandanstalt, die per Federstrich sämtliches Eigentum an Produktionsmitteln und Ländereien übernahm, das per Gesetz dem Volk gehörte, ist eines der unrühmlichsten Kapitel der jüngeren deutschen und europäischen Geschichte.

Die »Treuhand«, geschaffen auf Beschluß einer nicht demokratisch gewählten Institution, erhielt damals den Auftrag, alles zu verscherbeln und zu Geld zu machen, was irgendwie abzusetzen war. Es spielte dabei keine Rolle, daß die Betriebe, die zum größten Teil zerstückelt und aufgelöst wurden, eigentlich denen gehörten, die sie aufgebaut und die in ihnen - zum größten Teil erfolgreich - gearbeitet hatten. Die zumeist westdeutschen Kapitalisten und Spekulanten, die die Betriebe für den buchstäblichen »Appel und ein Ei« aufkauften, hatten normalerweise keinerlei Interesse an den Unternehmen selbst, sondern meist nur an den Immobilien.

Anzumerken ist auch, daß ostdeutschen Interessenten die Möglichkeit des Großeinkaufs zu Spottpreisen normalerweise nicht gewährt wurde. Dann wäre möglicherweise die Gefahr aufgekommen, daß diese Unternehmen unter neuer Leitung, zum Beispiel als Genossenschaft, weiter produziert hätten. Und das widersprach den eigentlichen Interessen der »Treuhand« und ihrer Erfinder. Deren wahres Ziel bestand nämlich in erster Linie darin, blitzschnell und ohne Verluste, vor allem ohne einen Schuß abzugeben, einen Markt mit 17 Millionen Konsumenten zu übernehmen, auf dem möglichst keine eigenen Produkte hergestellt werden.

Die Griechen werden dem Eurogruppenchef sicher sehr dankbar sein für seine guten Ratschläge. Ein Wunder, daß er nicht gleich vorgeschlagen hat, die Insel Rhodos zu enteignen und einem der bekannten luxemburgischen Reisebüros zur »treuhänderischen« Verwertung, pardon: Verwaltung zu übergeben...


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Quelle:
Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2011