Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

STANDPUNKT/253: Menetekel Mali (Ingolf Bossenz)


Menetekel Mali

von Ingolf Bossenz, 18. Januar 2013



»Auf mein Signal lasst ihr die Hölle los!« Die Eröffnungssequenz von Ridley Scotts Film »Gladiator«, in der Roms General Maximus (Russell Crowe) diesen Schlachtbefehl erteilt, zeigt die Gnadenlosigkeit, mit der seinerzeit der Krieg der Welten tobte - der Welt der Zivilisation (Rom) und der Welt des Barbarentums (Germanien). Die Schlacht (im Film) wurde von den Römern gewonnen, der Krieg (in der Geschichte) bekanntlich nicht. Am Ende triumphierten die wilden, zügellos-rohen Horden von jenseits des Limes über die bestens bewaffneten und disziplinierten Legionen einer blasierten Großmacht, die sich als unübertreffliche Krönung aller Geschichte sah.

Mittlerweile sind mehr als 1500 Jahre vergangen, doch man könnte meinen, das Trauma des Triumphes der »Barbaren« über das Römische Reich wirke bis heute fort - in der aus den Römischen Verträgen hervorgegangenen Europäischen Union. Statt aus Wäldern und Sümpfen des Reichsrandes kommen die Feinde des Imperiums heute aus Wüsten und Savannen Afrikas: islamische Gotteskrieger, die mit Terror und Tod territoriale Brückenköpfe an sich reißen, um von dort aus den Alten Kontinent unter das Joch von Scharia und Scharfrichterschwert zu zwingen. Aktuelles Beispiel: Mali.

Vom Norden dieses westafrikanischen Landes, den islamistische Insurgenten in ihre Gewalt gebracht haben, müsse man nur eine Staatsgrenze bis zum Mittelmeer überwinden, hysterisierte Bundesaußenminister Westerwelle bereits vor einem Vierteljahr. Wenn dort »ein sicherer Hafen gebaut werden kann für den Terrorismus der Welt, dann gefährdet das nicht nur Mali und die nordafrikanischen Staaten, sondern dann gefährdet es uns auch in Europa«.

Nachdem Frankreichs Legionäre und seine Luftwaffe auf das Signal von Präsident Hollande in Mali »die Hölle losgelassen« hatten, scharten sich die Regierungen der EU-Staaten gleichsam in einer Heiligen Allianz um den Interventen. Etwas ist faul - nicht nur im Staate Dänemark, der Frankreich wenigstens mit einem Transportflugzeug unterstützen will.

Die »schweißbetriefte Eil'« (Shakespeare, Hamlet), mit der Kriegslust und -begeisterung kundgetan und für Knappendienste die knappen Kassen geöffnet werden, erinnert an den Sommer 1914, als »Burgfrieden« und »Union sacrée« dem Erregungsrausch um das kommende Blutbad den politischen Rahmen gaben.

Natürlich ist Mali kein neuer »großer Krieg der weißen Männer«, wie Arnold Zweig den Ersten Weltkrieg nannte. Immerhin: Damals konnte man sich zunächst durchaus noch Illusionen hingeben, was Ausmaß und Dauer des Abschlachtens betraf. Im »Krieg gegen den Terror«, sollte man annehmen, ist nach Afghanistan, Irak, Somalia etc. dafür kein Platz mehr. Doch Dostojewski hatte zweifellos recht: Die Selbsttäuschung beherrscht der Mensch noch sicherer als die Lüge. Und die Staaten, jene »kältesten aller kalten Ungeheuer« (Nietzsche), beherrschen beide Instrumente perfekt.

Zwar unterlassen es Politik und Medien mittlerweile, das Böse in einer dichotom-schlichten Weltsicht à la George W. Bush zu personifizieren. Statt des »Leibhaftigen« wird eher das Leibhafte bemüht. So wenn die Pariser Zeitung »Libération« wähnt, die Mali-Intervention könne »die Ausbreitung des bisher unkontrollierten Terror-Tumors bremsen oder diesen Tumor zumindest ausreichend zersetzen«.

Indes: Das Mali-Abenteuer birgt nicht nur die Gefahr neuer Metastasen des »Terror-Tumors«, sondern auch der Progression des militaristischen Krebsgeschwürs an einem Staatenkörper, der sich des Friedensnobelpreises rühmt. Wenn, wie Clausewitz meinte, der Krieg »eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« ist, zeigt der Mali-Krieg die Gefährlichkeit dieser Politik.



Der Autor ist Redakteur des »nd«.

*

Quelle:
Ingolf Bossenz, Januar 2013
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 18.01.2013
http://www.neues-deutschland.de/artikel/810208.menetekel-mali.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2013