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STANDPUNKT/258: NATO-Patriot-Raketen und NATO-Truppen zum Schutz kolonialen Eigentums? (Brigitte Queck)


NATO-Patriot-Raketen und NATO-Truppen zum Schutz kolonialen Eigentums?

von Brigitte Queck, 27. Januar 2013



Seit dem 11. September 2001 führen die USA im Verbund mit anderen NATO-Staaten an der UNO-Charta vorbei einen von ihnen deklarierten Verteidigungskrieg gegen "Terroristen" erst gegen Afghanistan, dann im Nahen Osten und nunmehr in Afrika.

Es gehe beim Einsatz von NATO-Truppen, auch jetzt in Mali, angeblich 'nicht um Wirtschaftsinteressen' oder gar Einflussgebiete ehemaliger Kolonialmächte, wie z.B. Frankreichs u.a., sondern nur um einen Kampf gegen den Terror. Der erklärte "Krieg gegen den Terrorismus", den der französische Präsident in den vergangenen Wochen ständig als Notwendigkeit beschwor, wurde kürzlich durch Aussagen des französischen Verteidigungsministers Jean-Yves Le Drian unwillkürlich als Lüge entlarvt.

Jean-Yves Le Drian äußerte am 24.01.2013 gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Le Point", Frankreich wolle künftig die Uranminen in Arlit, Akouta und Imouraren im Norden Nigers von französischen Elitesoldaten des "Commandement des Opérations Spéciales" (COS) bewachen lassen.

Man muss wissen, dass die Uranförderung im Grenzgebiet zu Mali den wirtschaftlichen Nerv Frankreichs berührt. Zirka ein Drittel der 58 in Frankreich befindlichen Atomkraftwerke, die mehr als drei Viertel des Strombedarfs im Lande decken, werden mit Uran aus Niger bestückt. Geplant ist in Zukunft sogar eine Erweiterung des Uranabbaus durch den französischen Konzern Areva, der Ende 2013 eine neue Mine in Imouraren in Betrieb nehmen will.

Seit im September 2010 sieben Areva-Mitarbeiter - darunter fünf Franzosen - aus dem Sicherheitstrakt in Areva von einem Dschihadisten-Kommando entführt und nach Mali verschleppt worden sind (vier davon befinden sich bis heute in der Gewalt der Al Quaida, die, wie man weiß, Hand in Hand mit dem Westen zusammenarbeitet!), fordert der französische Konzern Areva einen stärkeren Schutz der französischen Uranminen, zumal seine Belegschaft in diesem Jahr auf mehr als 300 Personen anwachsen und die derzeitige Uranproduktion dort von 3500 Tonnen um mehr als das Doppelte gesteigert werden soll.

Der Uranbergbau stößt auf zunehmende Kritik von Umweltgruppen, die Areva anklagen, für ihre Produktion zwei Drittel des notwendigen Trinkwassers für die dortige Bevölkerung zu verbrauchen.

Außerdem durchschneidet das neu geplante Uranabbaugebiet, das nach seiner Inbetriebnahme als französisches Sicherheitsgebiet eingestuft und damit von außen streng abgeriegelt würde, das Jahrhunderte alte Siedlungsgebiet des Volksstammes der Tuareg, die schon einmal im Jahre 2007 für ihre angestammten Rechte gekämpft hatten.

Inzwischen haben sich viele Tuareg den bewaffneten Gruppen angeschlossen, die der französische Präsident und auch die Vertreter anderer Westmächte kurz als "islamische Terroristen" abstempeln.

(Quelle: mic.Paris, 24.01.13 und FAZ vom 25.01.13 "Paris will Uranmunition in Niger mit Soldaten schützen")

Allein dieses Beispiel zeigt, dass die Wirtschaftsinteressen der westlichen Länder mit ihren Kolonialinteressen an und in Afrika Hand in Hand gehen.

Die Errichtung von NATO-Stützpunkten überall in den afrikanischen Ländern, wo es begehrenswerte Rohstoffe gibt, dient der Sicherung von Maximalprofiten der entwickelten westlichen Länder durch unmenschliche Ausbeutung der Bevölkerung des afrikanischen Kontinents, die durch die Präsenz von NATO-Soldaten aufrecht erhalten werden soll!!

Dass die Tuareg mit ihrem Protest gegen die Stationierung von Soldaten aus NATO-Ländern in ihren von ihnen bewohnten afrikanischen Ländern nicht allein sind, zeigen die andauernden Demonstrationen der Bevölkerung in der der NATO zugehörigen Türkei. Sie verwehrt sich dagegen, dass sich ihr Staat an NATO-"Antiterroraktionen" in anderen Staaten beteiligt.

So berichtet die FAZ vom 23. Januar auf der Grundlage von Berichten aus Kahramanmaras, dass nach dem 21.01.13, als die ersten deutschen Patriot-Einheiten in der Türkei anlangten, Bundeswehrsoldaten bei ihrem Ausgang am folgenden Tag von circa 40 türkischen Zivilisten bedroht worden sind.

Dabei war einem Soldaten ein Sack über den Kopf gezogen worden.

Jeder Bewohner der Türkei versteht diese Anspielung, die sich auf einen Vorfall aus dem Jahre 2003 bezieht, als amerikanische Soldaten in der von mehrheitlich Kurden besiedelten Stadt Suleimanija im Nordirak 11 Soldaten einer türkischen Sondereinheit überwältigten und ihnen Säcke über den Kopf stülpten.

Der türkische Generalstab sprach damals von einer tiefen Verletzung des türkischen Nationalstolzes und der Ehre der türkischen Streitkräfte. Daraufhin versperrte die Türkei für drei Tage ihre Grenzen für amerikanische Nachschubverbände. Erst, nachdem der türkische Ministerpräsident Erdogan bei dem damaligen amerikanischen Vizepräsidenten Cheney interveniert hatte, wurden die gefangen genommenen türkischen Soldaten frei gelassen.

Dieser Vorfall hatte damals einem türkischen Regisseur als Vorlage für seinen Amerika und Israel kritischen Film "Tal der Wölfe", der auch die Szene des Überfalls auf türkische Soldaten zeigte, gedient.

In Erinnerung an diese Schmach, die amerikanische Soldaten türkischen Soldaten im Jahre 2003 angetan hatten, erklärte einer der Sprecher der türkischen Arbeiterpartei am 23.01.13 auf einer ANTI-NATO-Demonstration laut türkischen Medienberichten:

"Wir werden es nicht zulassen, dass die Türkei das Zentrum von Angriffen auf den Nahen Osten wird. Wir werden es Soldaten Amerikas und der NATO nicht gestatten, sich frei in diesem Land zu bewegen. Ob es deutsche oder amerikanische Soldaten waren, denen wir Säcke überstülpten, ist egal. Sie sind alle NATO-Soldaten."

Ein Bundeswehrsoldat erklärte, dass auf einem Flugblatt, das auf einer Demonstration in Iskenderun verteilt wurde, sinngemäß stand:" Wir treffen uns, bringt euere Säcke mit!"

Schlussfolgernd dazu schätzt der FAZ-Journalist Michael Martens ein, "das die größte Bedrohung für die in der Türkei eingesetzten deutschen, niederländischen und vor allem amerikanischen Patriot-Einheiten womöglich nicht syrische Raketen, sondern türkische Chauvinisten sind".

Ein "Angriff des syrischen Regimes auf das NATO-Mitglied Türkei ist zumindest derzeit äußerst unwahrscheinlich. Läßt sich das auch für Angriffe radikaler türkischer Nationalisten sagen?"

Die wahrscheinlich für den Zwischenfall in Iskenderun Verantwortlichen sei zwar nur eine kleine Splittergruppe in der Türkei, aber mit außerordentlicher Breitenwirkung.

So würden in der türkischen Bevölkerung folgende Ansichten über den Zweck der ausländischen Militärpräsenz in der Türkei kursieren:

1. die NATO wolle Israel dabei helfen, den Iran zu bombardieren;

2. die Amerikaner würden eine Invasion auf Syrien vorbereiten;

3. der Einsatz der NATO in der Türkei sei Teil eines Planes "den Nahen Osten in einem See aus Blut zu verwandeln".

Aus diesem Grunde plane die Bundeswehr über eine Art "Tag der offenen Tür" und Vorträgen der türkischen Bevölkerung die Angst vor der Stationierung der Patriot-Kontingente zu nehmen und auch die deutschen Soldaten besser auf ihren Einsatz im Ausland vorzubereiten. Was immer das auch heißen mag.

Klüger wäre es wohl, nicht nur die deutschen Soldaten vor ihrem Einsatz, sondern schon die Schüler und Gymnasiasten mit dem Grundgesetz - unserer Verfassung - vertraut zu machen, deren Artikel 87 a den Einsatz der Bundeswehr im Ausland verbietet.

Allen anderen NATO-Soldaten aber sei ein Blick in den NATO-Vertrag vom 4. April 1949, mit Vorwort und Artikel 1 empfohlen, die ebenfalls aussagen, dass nur die Verteidigung der Grenzen der NATO-Mitgliedsländer im Falle eines Angriffes von außen statthaft ist.


Brigitte Queck, Diplomstaatswissenschaftlerin Außenpolitik

(Quellen: mic.Paris, 24.01.13, FAZ vom 23.01.13 "Angriff auf deutsche Soldaten - Land und Meute" und FAZ vom 25.01.13 "Paris will Uranmunition in Niger mit Soldaten schützen")

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Quelle:
© 2013 by Brigitte Queck
mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2013