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STANDPUNKT/488: Jüdische Terroristen (Uri Avnery)


Jüdische Terroristen

von Uri Avnery, 15. August 2015


EINIGE MEINER besten Freunde baten mich, einen Artikel zu schreiben, der die "Administrativhaft" für jüdische Terroristen bedingungslos verurteilt.

Drei verdächtige Terroristen sind schon auf diese Weise verhaftet worden.

Sie sind Mitglieder einer Gruppe, die den Lehren von Rabbi Meir Kahane folgen (der Anführer ist tatsächlich sein Enkel). Kahane war ein amerikanischer Rabbiner, der in dieses Land kam und eine Gruppe gründete, die vom Obersten Gericht als rassistisch und antidemokratisch bezeichnet wurde. Sie wurde gesetzlich verboten. Er wurde später in den USA von einem Araber ermordet. Eine Untergrundgruppe seiner Anhänger ist nun in Israel aktiv.

Dies ist eine der Gruppen, die zu einer geheimen Bewegung, die sich "Preisschild" oder "Hügeljugend" nennt, gehört. Sie hat schon verschiedene Terroraktionen ausgeführt: Brandanschläge auf christliche Kirchen und muslimische Moscheen, arabische Bauern angegriffen und ihre Olivenbäume zerstört. Keiner dieser Täter ist jemals festgenommen worden, weder von der Armee, die als Polizisten in den besetzten Gebieten agiert, noch von Polizisten im eigentlichen Israel. Viele Armeeoffiziere sind selbst Bewohner der - nach internationalem Gesetz illegalen - Siedlungen in den besetzten Gebieten.

Die israelische Öffentlichkeit hat diesen Gräueltaten wenig Aufmerksamkeit geschenkt, aber die zuletzt geschehenen Dinge haben sogar selbstzufriedene Israelis geschockt. Das eine war der Brandanschlag auf eine arabische Wohnung im kleinen Dorf Duma in der Westbank. Im Dunkel der Nacht wurde ein Brandsatz in die Wohnung einer armen arabischen Familie geworfen. Ein 18monatiges Baby verbrannte und sein Vater, seine Mutter und sein Bruder wurden schwer verletzt. Der Vater starb später im Krankenhaus.

Derartige Brandanschläge sind recht üblich, doch bis jetzt gelang es den arabischen Familien immer, sich in Sicherheit zu bringen.

Eine andere Gräueltat wurde in Jerusalem begangen - und zwar gegen Juden. Ein ultra-orthodoxer Jude griff die jährliche Love-Parade im Zentrum der Stadt an. Es gelang ihm, auf einige der Teilnehmer einzustechen. Ein 16jähriges Mädchen starb später an ihren Verletzungen. Der Täter hatte genau dasselbe vor 10 Jahren getan. Er saß eine lange Gefängnisstrafe ab, war aber vor wenigen Wochen entlassen worden und beging noch einmal dieselbe Tat. Er ist ein ultra-orthodoxer Jude, der aber anscheinend keine Verbindung zur Kahane-Bande hat.

Das war zu viel. Seit Jahren wurde kein Jude wegen eines terroristischen Anschlags verurteilt. Viele glauben, dass diese Akte in Zusammenhang mit der Besatzungsarmee und dem Shin Bet, dem internen Sicherheitsdienst begangen wurden. Jetzt jedoch gibt es einen öffentlichen Aufschrei, und die Behörden sind zu der Schlussfolgerung gekommen, sie müssten etwas unternehmen.

Daher die Administrativhaft-Anordnungen.


ADMINISTRATIVHAFT IST ein Vermächtnis des britischen Kolonialregimes, das Palästina bis Mai 1948 beherrschte. Der israelische Staat übernahm sie und änderte nur einige kleine Aspekte.

Diese Art der Haft erlaubt einem Militärkommandeur, eine Person ohne Gerichtsverhandlung ins Gefängnis zu stecken. Die Ermächtigung gilt für sechs Monate, kann aber unbegrenzt erneuert werden. Alle paar Monate muss der Gefangene vor einen regulären Richter gebracht werden, aber die Richter schreiten nur in seltenen Fällen ein. Innerlich nehmen israelische Richter eine stramme Haltung an, wenn ein Offizier des Militärs als Zeuge aussagt.

Der Gefangene hat kein Recht, das Beweismaterial gegen ihn einzusehen und seinen Anklägern gegenüber gestellt zu werden. Es ist ihm ebenso wenig erlaubt, von einem Anwalt vertreten zu werden. Der offizielle Grund ist, dass er nicht vor Gericht gestellt werden kann, ohne dass dabei Informanten oder wertvolle Informationsquellen, die lebensnotwendig sind, um den Terrorismus wirksam zu bekämpfen und Leben zu retten, "verbrannt" werden.


DIESE METHODE ist die ganze Zeit gegen palästinensische Verdächtige eingesetzt worden. Zurzeit füllen viele Hunderte Araber in Administrativhaft die Gefängnisse; einige sind seit vielen Jahren in Haft. Seit dem Beginn der Besetzung 1967 wurden Hunderttausende Araber gemäß dieser Anordnung eingekerkert. Für junge Palästinenser bedeutet dies fast eine Auszeichnung.

Kaum ein Jude ist jemals in Administrativhaft genommen worden. Seit vielen Jahren ist diese Methode überhaupt nicht gegen Juden eingesetzt worden. Die drei Kahanisten, die diese Woche ins Gefängnis gesteckt wurden, sind die ersten seit langer Zeit.

Militärische und zivile Funktionäre erklären diese Art der Haft zu einem wesentlichen und unersetzbaren Mittel, um den jüdischen Terrorismus zu bekämpfen. Alle Kahane-Anhänger und andere faschistische Täter sind darin geübt, beim Verhör zu schweigen. Da sie sicher sind, dass sie nicht gefoltert werden, haben sie also keinen Grund zu reden. Sie lachen ihren Befragern ins Gesicht.

Die arabischen Gefangenen haben natürlich kein solches Privileg. Sie wissen, dass sie gefoltert werden können, wenn sie nicht reden. Nach israelischem Gesetz ist Folter verboten, aber das Gericht erlaubt etwas, das sich "moderater physischer Druck" nennt und schnelle Erfolge erzielt.

Trotzdem darben viele Araber unter unbegrenzt langer Administrativhaft, weil es nicht genügend rechtlich akzeptable Beweise gibt, um sie vor Gericht anzuklagen, ohne "Quellen" zu gefährden.

Gegenwärtig sind die drei in Administrativhaft gehaltenen Juden, denen sich bald noch mehr anschließen werden, wie der Shin Bet verspricht, in drei verschiedenen Gefängnissen untergebracht.


VOR VIELEN Jahren, als ich der Herausgeber des Nachrichtenmagazins Haolam Hazeh war, veröffentlichten wir eine Zeit lang auch eine arabisch-sprachige Ausgabe. Eines Tages wurde einer meiner arabischen Mitarbeiter - nennen wir ihn Ahmed - in Administrativhaft genommen.

Als ich Krach schlug, erhielt ich einen überraschenden Anruf vom Shin Bet. Die Beziehungen zwischen dieser Organisation und mir waren vom ersten Tag des Staates an angespannt. Das mag eine Unterreibung sein, da ihr Chef mich einmal offiziell als "Regierungsfeind Nummer 1" bezeichnete.

Zu meiner größten Überraschung lud mich ein hochrangiger Shin-Bet-Offizier zu einem Gespräch ein: "Ich vertraue ihnen eine äußerst geheime Information an, weil ich möchte, dass sie unser Problem verstehen."

Er sagte mir, dass seine Leute eines Boten habhaft geworden seien, der von einer der großen terroristischen Organisationen geschickt worden sei, um zu Mitarbeitern vor Ort Kontakt aufzunehmen. Einer davon sei unser Ahmed.

"Was meinen Sie, sollten wir tun? Wir können ihn nicht vor Gericht bringen, weil wir keinen Beweis dafür haben, dass er der Organisation angehört. Aber wenn wir ihn frei lassen, könnte ein tödlicher Terrorakt die Folge sein. Die Administrativhaft ist die einzig sichere Option."

Ich war der Überzeugung, dass Ahmed kein Terrorist ist. Als ich noch darüber nachdachte, was zu tun sei, wurde ich aus dem Dilemma befreit: der Shin Bet stimmte einer Entlassung aus der Haft unter der Bedingung zu, dass er das Land verlässt. Er ging in die USA und erhielt eine Green Card (vielleicht mit Hilfe von Schin Bet). Bei einem meiner Vorträge dort sah ich ihn in der 1. Reihe sitzen. Wir umarmten uns.


ICH ERZÄHLE diese Geschichte zum ersten Mal, um das Dilemma zu illustrieren. Indem man diese jüdischen Faschisten frei herumstreunen lässt, könnte dies noch mehr arabisches und jüdisches Leben kosten und vielleicht zu einer Katastrophe führen, zum Beispiel zu einem Brandanschlag auf heilige muslimische Stätten. Es scheint keinen ernsten Beweis gegen sie zu geben. Falls es Shin Bet-Informanten in dieser Gruppe gibt, würde ihr Zeugnis vor Gericht sie entlarven.

Viele von uns werfen Schin Bet und der Polizei völlige Inkompetenz vor, wenn sie mit jüdischen Terroristen konfrontiert sind, während sie äußerst effizient sind, wenn sie es mit palästinensischen Terroristen zu tun haben. Und was noch schlimmer ist: Wir verdächtigen Schin Bet, er sei von den Siedlern infiltriert und arbeite mit ihnen zusammen. Wenn man Schin Bet des Mittels der Administrativhaft beraubt, schwächt man ihn noch mehr oder versieht ihn wenigstens mit einer Ausrede für sein völliges Versagen.

In meiner späten Kindheit war ich Zeuge des Zusammenbruchs der deutschen demokratischen "Weimarer Republik" in Deutschland. Die SA-Leute tummelten sich auf den Straßen, schlugen die Leute, die jüdisch aussahen und lieferten sich Schusswechsel mit den Kommunisten. Die Regierung war machtlos. Polizei und Armee waren von Adolf Hitlers Parteigängern durchsetzt. Richter verhängten schwere Strafen über Kommunisten, ließen dagegen die Nazi-"Patrioten" ungeschoren davonkommen.

Jahre später, als Deutschland in Trümmern lag, wurde der Weimarer Republik (nach der Stadt benannt, in der ihre Verfassung geschrieben worden war) Feigheit vorgeworfen, weil sie nicht gewagt habe, Mittel, die ihr zur Verfügung standen, darunter undemokratische Notstandsermächtigungen, einzusetzen, um rechtzeitig die Nazis zu bekämpfen. Möchte die israelische Republik Gefahr laufen, dasselbe Schicksal zu erleiden?

Es ist ein wirkliches Dilemma. Es verlangt wirkliche Antworten. Nicht die leichten Antworten aus dem liberalen Handbuch. Verantwortliche Antworten. Antworten, die in der realen Welt relevant sind.

Ich bin davon überzeugt, dass die Kahanisten und die anderen faschistischen Gruppen im heutigen Israel weit gefährlicher sind, als die meisten Leute glauben. Dies ist nicht nur eine Handvoll wilden Unkrauts, wie man uns weis machen will. Dies ist ein nationaler Krebs, der sich schnell in unserem nationalen Körper ausbreiten kann.

Ich habe es schon einmal gesehen.


ES IST ein schwieriges Dilemma. Auf jeden Fall für mich.

Stimmen wir der Administrativhaft zu, einer Haft ohne Gerichtsverfahren und ohne demokratische Sicherheitsmaßnahme, um vielleicht dadurch das Leben von Arabern und Juden zu retten, vielleicht schlimmere Katastrophen zu verhindern?

Oder halten wir uns streng an demokratische Prinzipien, entlassen alle, die in Administrativhaft gehalten werden, Araber wie Juden, auch wenn wir wissen, dass einige von ihnen Taten wiederholen werden?

Nach einer ernsten Gewissensprüfung stimme ich für die zweite Option. Aus moralischen und pragmatischen Gründen.

Moralisch glaube ich nicht, dass man eine Seuche mit Cholera bekämpfen kann. Die Administrativhaft ist eine faschistische Methode, auch wenn sie gegen Faschisten angewandt wird.

Und weil es praktisch nicht helfen wird. Es ist so, als würde man Krebs mit Aspirin bekämpfen. Die Verhafteten werden durch andere ersetzt, vielleicht sogar durch Schlimmere.

Es besteht auch die Gefahr, dass die Verhaftung von wenigen als Entschuldigung dient, nichts gegen die Vielen zu tun.

Um diese Seuche zu bekämpfen benötigen wir bessere Ärzte. Der Shin Bet, die Polizei und Armee müssen von faschistischen Sympathisanten gesäubert werden. Offiziere, die der israelischen Republik loyal gegenüber stehen, müssen ihren Platz einnehmen. Juden und Araber müssen gleich behandelt werden.

Wie die Bibel gebietet: "Dein Lager sei rein!"



Copyright 2015 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 15.08.2015
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2015

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