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STANDPUNKT/813: Ost-Turkestan im Visier - 2. Teil (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 26. November 2018
german-foreign-policy.com

Ost-Turkestan im Visier (II)


BERLIN/BEIJING - Uigurische Separatisten, gegen die aktuell die chinesischen Behörden in Xinjiang vorgehen, unterhalten ihre auswärtige Operationszentrale seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik. Bereits in den 1970er Jahren machten sich Exil-Uiguren in München für die Abspaltung des westchinesischen Autonomen Gebiets Xinjiang als "Ost-Turkestan" stark - damals beim US-Propagandasender Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL). Seither sei Deutschland zur "bedeutendsten Basis für die Förderung der ost-turkestanischen Unabhängigkeit" geworden, heißt es in einer Untersuchung über das uigurische Exil. Im Mittelpunkt steht der World Uyghur Congress (WUC) mit Sitz in München, der Exil-Uiguren weltweit vernetzt. Sein Führungspersonal steht im Kontakt unter anderem mit Uiguren in Zentralasien und mit chinesischen Regierungsgegnern im indischen Exil. Der WUC unterhält Beziehungen nach Berlin sowie nach Washington. Eine beim US-Militär erstellte Untersuchung kommt zu dem Schluss, der uigurische Separatismus werde kaum Erfolg haben - jedenfalls nicht ohne äußere Unterstützung.

Zentraler Außenposten

Die Bundesrepublik hat sich seit den 1970er Jahren schrittweise, wie es in einer Studie über das uigurische Exil heißt, als "zentraler Außenposten und bedeutendste Basis für die Förderung der ost-turkestanischen Unabhängigkeit und des uigurischen Nationalismus" etabliert.[1] Einer der ersten bekannten uigurischen Aktivisten in Deutschland war Erkin Alptekin, der seit 1971 beim US-Propagandasender Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) in München tätig war. Alptekin profitierte dabei auch von seinem Namen: Sein Vater Isa Yusuf Alptekin galt als einer der führenden Separatisten im heutigen Xinjiang vor der Gründung der Volksrepublik 1949 und amtierte in der Islamischen Republik Ost-Turkestan, die sich 1933 von China abspaltete, aber nur wenige Monate Bestand hatte, als Generalsekretär. Isa Yusuf Alptekin war seit den 1950er Jahren bis zu seinem Tod 1995 in der Türkei aktiv, während sein Sohn sich in München betätigte - de facto, wie es heißt, als "Anführer der ost-turkestanischen Unabhängigkeitsbewegung in Europa".[2] Zu den diversen Organisationen, die Erkin Alptekin gründete oder leitete, zählt der World Uyghur Congress (WUC) mit Sitz in München. Alptekin amtierte von 2004 bis 2006 als dessen Präsident.

Weltweit vernetzt

Die vor allem in und um München ansässigen Exil-Uiguren haben sich stets bemüht, Einfluss auf die bundesdeutsche Politik zu nehmen - nicht nur mit Demonstrationen und mit Petitionen, sondern auch, indem sie gezielt Parlamentsabgeordnete und Beamte aus den Berliner Ministerialbürokratien kontaktierten.[3] Erkin Alptekin hat maßgeblich daran mitgewirkt. Dabei hat Alptekin vom bayerischen Exil aus nicht zuletzt auch Lobbyarbeit im westlichen Ausland getrieben. Im Frühjahr 2004 etwa besuchte er die Vereinigten Staaten, wo er von einflussreichen Außenpolitikern im US-Kongress empfangen wurde.[4] Im Sommer 2009 briefte er die Menschenrechtskommission des italienischen Parlaments.[5] Alptekin war darüber hinaus bemüht, Kontakte zu Uiguren in Zentralasien zu fördern. So hielt er sich beispielsweise im Frühjahr 2000 zu Gesprächen über die Lage der dortigen Uiguren in Kirgisistan auf. Die uigurische Minderheit in dem Land wird auf rund 50.000 Personen geschätzt.

Im Auswärtigen Amt

Alptekin ist im November 2006 an der Spitze des WUC von Rebiya Kadeer abgelöst worden, einer ehemaligen Unternehmerin aus Xinjiang, die dort in den 1990er Jahren zu einer der reichsten Frauen Chinas wurde, damals auch politische Funktionen in der Volksrepublik innehatte, dann aber wegen separatistischer Aktivitäten inhaftiert und im März 2005 auf politischen Druck Washingtons in die USA entlassen wurde. Seitdem ist sie in den Strukturen uigurischer Separatisten im Exil aktiv. Kadeer, die auch schon für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, hielt sich vor der zweiten Generalversammlung des WUC in München (24. bis 27. November 2006), auf der sie zur Präsidentin der Organisation gewählt wurde, in Berlin auf; sie führte dort Gespräche unter anderem mit Abgeordneten des Bundestags sowie mit Beamten aus dem Auswärtigen Amt. Auf der WUC-Generalversammlung erhielt sie mehr als 50 Gratulationsschreiben hochrangiger Politiker, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel.[6] Im Juni 2007 präsentierte sie ihre Autobiographie ("Die Himmelsstürmerin") in der Bundespressekonferenz in Berlin; im Oktober 2007 wurde sie erneut in der deutschen Hauptstadt empfangen.[7] Kadeer ist des öfteren auch mit hochrangigen Politikern in Washington zusammengetroffen, unter anderem im Juli 2008 mit Präsident George W. Bush.

Morde und Molotowcocktails

Unklar ist die Rolle des WUC im Zusammenhang mit den pogromartigen Ausschreitungen von Uiguren am 5. Juli 2009 in Xinjiangs Hauptstadt Urumqi. Wie zahlreiche Augenzeugenberichte bestätigen, griffen an jenem Tag mutmaßlich Tausende Uiguren Han-Chinesen an, zerstörten mehr als 200 Geschäfte sowie 14 Wohngebäude und setzten mehr als 250 Fahrzeuge in Brand. Nach offiziellen Angaben kamen dabei 197 Menschen zu Tode, darunter 134 Han-Chinesen sowie zehn Angehörige der Minderheit der Hui. Die chinesischen Behörden geben an, der WUC habe zuvor über elektronische Medien aufgefordert, "tapferer zu sein" und "etwas Großes zu tun"; dies sei als ein Aufruf zur Gewalt verstanden worden.[8] Der WUC streitet dies ab. Tatsache ist, dass zwei Tage später zwei Unbekannte im Anschluss an Proteste von Exil-Uiguren in München Molotowcocktails auf das dortige chinesische Generalkonsulat warfen. Am selben Tag bedrohten uigurische Demonstranten auf dem Münchner Marienplatz chinesische Touristen. Ein WUC-Sprecher wird mit der Aussage zitiert, er wisse nicht, wer die Molotowcocktails geworfen habe, "aber wir wissen, dass unsere Leute die chinesische Obrigkeit hassen".[9] Am 1. September 2009 ließ sich der Menschenrechtsausschuss des Europaparlaments von WUC-Präsidentin Kadeer über die Unruhen vom 5. Juli in Urumqi informieren. Laut einer protokollartigen Übersicht des Ausschusses war dabei von Gewalttaten von Uiguren gegen Han-Chinesen nicht die Rede; es wurde lediglich spekuliert, ob die Polizei womöglich Han-Chinesen versehentlich erschossen habe.[10]

Ein Separatistenpakt

Der WUC ist weiterhin in München aktiv. Im November vergangenen Jahres hielt er dort seine sechste Generalversammlung ab, an der mehr als 100 Delegierte aus 18 Staaten teilnahmen. Auch Abgeordnete aus dem Bundestag und dem Europaparlament waren laut WUC-Bericht zugegen. Zum neuen Präsidenten wurde der in Deutschland ansässige langjährige Aktivist Dolkun Isa gewählt, der ein Jahr zuvor noch - vergeblich - versucht hatte, in Dharamsala (Indien) chinesische Regierungsgegner zu treffen.[11] Dharamsala ist als Zentrale des tibetischen Exils bekannt. Der WUC versucht seit je, Organisationen aller chinesischen Separatisten zusammenzuführen, unter anderem auch Anhänger eines abgespaltenen tibetischen Gottesstaats.

Die Bedeutung des Exils

Die Bedeutung des uigurischen Exils erhellt eine wissenschaftliche Arbeit, die im Jahr 2015 am U.S. Army Command and General Staff College in Fort Leavenworth erstellt wurde. Der Autor, ein Major der pakistanischen Streitkräfte, kommt zu dem Schluss, zwar werde die Lage in Xinjiang weiterhin angespannt bleiben. Allerdings werde der uigurische Separatismus voraussichtlich keinen Sieg davontragen können. Dies gelte jedenfalls dann, wenn er "keine äußere Unterstützung und Anerkennung" erhalte.[12]



Mehr zum Thema: Ost-Turkestan im Visier (I)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7784/

Anmerkungen:

[1], [2] Yitzhak Shichor: Virtual Transnationalism: Uygur Communities in Europe and the Quest for Eastern Turkestan Independence. In: Stefano Allievi, Jørgen Nielsen (Hg.): Muslim Networks and Transnational Communities in and across Europe. Leiden/Boston 2003. S. 281-311.

[3] Yitzhak Shichor: Nuisance Value: Uyghur activism in Germany and Beijing-Berlin relations. In: Journal of Contemporary China, 2013. S. 1-18.

[4] Susan V. Lawrence: Why China Fears This Uyghur Exile. Far Eastern Economic Review 09.07.2004.

[5] Troops flood into China region after riots. nbcnews.com 08.07.2009

[6] Yitzhak Shichor: Nuisance Value: Uyghur activism in Germany and Beijing-Berlin relations. In: Journal of Contemporary China, 2013. S. 1-18.

[7] S. dazu Schwächungsstrategien (IV)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/3921/

[8] Civilians, officer killed in Urumqi unrest. Xinhua 06.07.2009.

[9] Yitzhak Shichor: Nuisance Value: Uyghur activism in Germany and Beijing-Berlin relations. In: Journal of Contemporary China, 2013. S. 1-18.

[10] Human Rights Situation of Uyghur Ethnic Group. European Parliament Briefing, Subcommittee on Human Rights - 1 September 2009.

[11] Dipanjan Roy Chaudhury: Dolkun Isa unknown in India till they cancelled his visa. economictimes.indiatimes.com 27.04.2016.

[12] Waqas Ali Khan: The Uyghur Insurgency in Xinjiang: The Success Potential. Fort Leavenworth 2015.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2018

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