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STREITSCHRIFT/007: Dummschwätzer des Tages (Hans Fricke)


Dummschwätzer des Tages

Von Hans Fricke, 27. Juni 2009


Das hatten die heute Regierenden nicht erwartet: Mehr als die Hälfte der Ostdeutschen beurteilen zwanzig Jahre nach den Ereignissen von 1989 einer vom "Ostbeauftragten der Bundesregierung", Wolfgang Tiefensee (SPD), in Auftrag gegebenen Emnid-Umfrage zufolge die DDR positiv und mit den "paar Problemen" habe man gut leben können. Wenige Tage nach dem gewohnten realitätsfernen und im Hinblick auf die Bundestagswahl besonders augenfällig von billigem Zweckoptimismus gekennzeichneten "Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2009" nun diese ernüchternde kalte Dusche. Erste Medienschlagzeilen wie "Mehrheit ostalgisch" oder "Ostdeutsche verklären die DDR" widerspiegeln die Ratlosigkeit der politisch Verantwortlichen und können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die seit zwei Jahrzehnten von ihnen mit enormen personellen und finanziellen Aufwand betriebene Umerziehung im Osten gescheitert ist.

Schon melden sich Politiker wie der Ministerpräsident von Sachsen- Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), zu Wort und bezweifeln, dass die Ergebnisse bei 1208 Befragten in Ost und West repräsentativ seien. Für seine Erklärung: "Der Politik ist es offensichtlich nicht gelungen, das Positive zu vermitteln, das Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bringen", haben sicher nicht nur die als "Ostalgiker" abqualifizierten 57 Prozent der Befragten Ostdeutschen ein müdes Lächeln übrig.

Und sie wissen auch, welche politischen Absichten sich dahinter verbergen, wenn der Ex-OB der 1989er "Heldenstadt" Leipzig, Wolfgang Tiefensee, angesichts der Umfragergebnisse den Ostdeutschen Nachsitzen androht: Die Resultate zeigten, "dass wir in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte nicht nachlassen dürfen". Insbesondere die Schulen sollten sich stärker mit Alltag und Entwicklung der DDR sowie mit der friedlichen Revolution 1989/90 beschäftigen. Im Klartext heißt das: Wenn zwanzig Jahre Gehirnwäsche bei den "Alten" schon nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben, dann müssen wir uns eben stärker auf diejenigen konzentrieren, die die DDR aus eigenem Erleben nicht kennen.

Wolfgang Tiefensee, Wolfgang Böhmer und andere wären gut beraten, würden sie statt ihrer weltfremden Dummschwätzerei darüber nachdenken, was nach zwanzig Jahren "Aufarbeitung der DDR- Geschichte", großer Erfolge beim "Aufbau Ost" und erlebter "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" am 25. Juni Leipziger wieder protestierend auf die Straße trieb. Zu einer ersten Kundgebung in der 1989er "Heldenstadt" unter dem Motto "So darf es nicht weitergehen!" hatten ein Bündnis von Gewerkschaftlern, DKP, Linkspartei, SPD, Kriegsgegnern, Studierenden, aber auch Mitgliedern von ATTAC, aufgerufen. "Die Kundgebung war ein Anfang, um regional fortzusetzen, was mit einer Großdemonstration gegen das Abwälzen der Krisenlasten am 23. März und 16. Mai in Berlin begonnen wurde", resümierte Herbert Münchow, einer der Verantwortlichen.

Dabei gibt die Emnid-Umfrage bei weitem nicht die wirkliche Stimmungslage der Menschen wieder. Dicht unter der Oberfläche vermeintlicher "Normalität" findet, wer finden will, unglaublich viel Zorn und Hass auf diejenigen, die schuld sind an Erwerbslosigkeit, Hartz-IV, Armut, Bildungsnotstand, Pflegenotstand immer schlechterer gesundheitlicher Versorgung, Naturzerstörung und Teilnahme deutscher Soldaten an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen.

"Gleichzeitig", meint Jutta Ditfurth in ihrem neuen Buch Zeit des Zorns "sind Menschen aber auch eingebunden in die Verhältnisse, integriert, solange sie wenigstens noch an Billigkonsum teilhaben können, gelähmt durch die Glotze, oft ängstlich, dass jede befreiende Bewegung ihre Lage noch unsicherer machen könnte. Soziale Deklassierung führt nicht unbedingt dazu, dass die Betroffenen fortschrittlich denken oder sich miteinander solidarisch befreien wollen. Ganz besonders nicht in Deutschland, dem Land der Obrigkeitsgläubigkeit und des Untertanengeistes".

Mit seinen Umfragen und Studien scheint der "Ostbeauftragte" ohnehin keine glückliche Hand zu haben. Erst neulich hatte er eine Studie über die Wirkung all seiner Förderbemühungen im Osten in Auftrag gegeben. Das Resultat lautete: Da ist in einigen Landstrichen nichts mehr drin, und die Förderung bewirkte oft das Gegenteil von dem, was beabsichtigt war. Flugs verschwand das Papier vor einigen Tagen von der Website des Ministeriums, dem Tiefensee vorsteht.

Aber in seinem Drang nach regierungsfreundlichen Umfrageergebnissen scheut Wolfgang Tiefensee offensichtlich weder Mühen noch Kosten. Die neue Studie heißt "Frauen machen Neue Länder - Stark durch die Krise". Sie wurde bezeichnenderweise zeitgleich mit der Kundgebung unter dem Motto: "So darf es nicht weit ergehen!" auf einem Kongress in Leipzig vorgestellt. Eine der Autorinnen, Uta Bauer, erläuterte denn auch, "die Arbeitslosenquote von ostdeutschen Frauen sei im März 2009 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 8,7 Prozent gesunken, während die arbeitsloser Männer im Westen um mehr als 18 Prozent stieg" (AP).

Das liege daran, dass der Dienstleistungssektor, in dem Frauen überwiegend arbeiten, "weniger konjunkturanfällig" sei. Mit anderen Worten: Wer als Friseurin in Erfurt mit vier Euro Stundenlohn nach Hause geht, ist robust. Und wenn im Westen noch ein paar mehr Männer arbeitslos werden, dann liegt das daran, dass die nicht flexibel genug für drei Euro arbeiten wollen.

Ein Land, das einen solchen "Ostbeauftragten" und eine solche Regierung hat, darf nicht erwarten, dass diese ernsthaft entschlossen und in der Lage sind, die anstehenden Probleme zu lösen, denn sie sind seit Jahren selbst Teil dieser Probleme, was besonders jetzt in Zeiten der Krise von Tag zu Tag deutlicher wird.


Hans Fricke ist Autor des im August 2008 im Berliner Verlag am Park erschienenen Buches "Politische Justiz, Sozialabbau, Sicherheitswahn und Krieg", 383 Seiten, Preis 19,90 Euro. ISBN 978-3-89793-155-8


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Quelle:
© 2009 Hans Fricke, Rostock
mit freundlicher Genehmigung des Autors
    


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2009