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STREITSCHRIFT/032: "Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe" (Hans Fricke)


"Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe"

Von Hans Fricke, 19. März 2010


Sie ist sich treu geblieben, die Ex-Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl (CDU). Sie hat tatsächlich die Stirn, anlässlich des 20. Jahrestages der "ersten freien und demokratischen Wahlen" in der DDR (Kohl) - für Prof. Egon Bahr (SPD) waren es die "schmutzigsten Wahlen, die ich je in meinem Leben beobachtet habe" - im RBB.Inforadio von sich zu geben: "Ich beobachte oft eine Frustration wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der vielen Lebensbrüche. Aber man muss den Menschen erklären, dass dies nicht die Folgen der Wiedervereinigung sind, sondern die Folgen der desaströsen Wirtschaftslage in der DDR."

Ausgerechnet sie, die einer im Ergebnis so schmutziger Wahlen zustande gekommenen Volkskammer vorsitzen durfte, betet gehorsam diese in der CDU-Zentrale geborene Legende nach. Einer Volkskammer, von der politisch wachsame Zeitzeugen wissen, dass wahltaktische Plänkeleien, undurchsichtige Geheimniskrämerei, Neid wegen Posten und Diäten, Überbetonung von Parteiinteressen bei Ignoranz von Sachkompetenz bei vielen Abgeordneten eine größere Rolle gespielt hatten als die Vertretung der Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler. Ehemalige Abgeordnete dieser "Volksvertretung" gaben zu, dass ihnen die Flut der von ihnen auf Bonner Geheiß zu beschließenden Gesetzesvorlagen keine Zeit ließen, sich vor den Abstimmungen gewissenhaft mit ihrem Inhalt zu beschäftigen, dass deshalb vieles nur noch "durchgewinkt" wurde und dass ihnen auch für das gründliche Studium des umfangreichen "Einigungsvertrages" und seiner vielen Anlagen die Zeit fehlte. Eine Arbeitsweise, die durchaus das Kalkül der Bonner Autoren gewesen sein kann, denn was man aus Zeitnot nicht liest, das kann man auch nicht beanstanden oder gar ablehnen.

Die Folge des "segensreichen" Wirkens der unter Frau Bergmann-Pohl tagenden Volkskammer ist ein beschlossener "Einigungsvertrag", der in Grundelementen kolonialistisch formuliert und deshalb mit den Lebensinteressen, der Würde und dem Selbstwertgefühl von 16 Millionen ehemaligen DDR-Bürgern unvereinbar ist. Er ist kein Dokument gleichberechtigter Vereinigung, sondern ein Dokument einseitiger Vereinnahmung und damit ungleicher Rechte.

Die Behauptung, dass die DDR schon vor ihrem Anschluss an die BRD pleite war, gehört zu den von der Bundesregierung immer wieder gebrauchten Lügen, wogegen sie die amtliche Schlussbilanz der Bundesbank von 1999, welche die Zahlungsfähigkeit der DDR bis zuletzt bestätigte, wohlweislich öffentlich nicht erwähnt. Sie braucht diese Lüge, um von ihrer eigenen Verantwortung für die brutale Zerschlagung der DDR-Volkswirtschaft, für die Beseitigung von Konkurrenz westdeutscher Monopole und für die schamlose Inbesitznahme von Filetstücken für 'nen Appel und 'nen Ei durch das bundesdeutsche Kapital abzulenken. Der regierungsamtlich verordnete Mythos über den ökonomischen Bankrott der DDR wird uns weiter begleiten, auch wenn kompetente Wissenschaftler und Politiker das Gegenteil nachweisen und das Ausland diese These nie so recht akzeptiert hat.

Dass Frau Bergmann-Pohl für ihre "Dienste" im Auftrag der CDU mit dem Posten einer Staatssekretärin belohnt wurde - Insider meinten damals, sie wisse in Bonner Boutiquen besser Bescheid als in ihrem Ressort - und noch immer gehorsam das Lied ihrer Auftraggeber singt, charakterisiert den Wert Ihrer Dummschwätzerei. Viel wichtiger sind dagegen Meinungen kompetenter Zeitzeugen wie beispielsweise der bekannte Dramatiker Rolf Hochhuth, der in seinem Stück "Wessis in Weimar. Szenen aus einem besetzten Land" das in Ostdeutschland Geschehene als "Variante des Kolonialismus" bezeichnet, das "nirgendwo gegen Menschen des Kontinents, geschweige denn des eigenen Volkes, je praktiziert wurde". Der frühere Erste Bürgermeister Hamburgs, Henning Voscherau, meinte 1996: "In Wahrheit waren fünf Jahre Aufbau Ost das größte Bereicherungsprogramm für Westdeutschland, das es je gegeben hat." Und der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Pastor Heinrich Albertz, erklärte aus Anlass der Währungsreform, dass ein Einmarsch ehrlicher gewesen wäre, als das, was jetzt geschehe.


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Quelle:
© 2010 Hans Fricke
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2010