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LAIRE/1077: Cheney vs. Obama - Polit-Inszenierung um "Sicherheit" (SB)


Herrschaftssicherung durch Propagierung konträrer Positionen

US-Fernsehen inszeniert Rededuell zwischen Obama und Cheney über Guantánamo und Fragen der Sicherheit


Eines muß man den Amis zugestehen, sie wissen es, sich in Szene zu setzen und das Publikum zu unterhalten. Das gilt nicht nur für Hollywood und Las Vegas, auch der Politzirkus in Washington kennt sich darin bestens aus. Jüngstes Beispiel: Präsident Barack Obama und der ehemalige US-Vizepräsident Dick Cheney lieferten sich vergangene Woche eine Art Rededuell - Obama im Nationalarchiv, Cheney im berüchtigten konservativen Think Tank American Enterprise Institute, das eine Reihe von neoliberalen Mitgliedern der früheren Regierung George W. Bushs beherbergt und von dem bekannt ist, daß es die ideologische "Blaupause" für die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA geliefert hat.

Vordergründig haben Obama und Cheney über Guantánamo und Fragen der Sicherheit parliert und über ihre angeblich konträren Ansichten gestritten.Der unausgesprochene Titel des Schaustück: Sicherung des Fortbestands der Herrschaft. Die Regieanweisung lautete: Die Schauspieler sollten das Publikum davon überzeugen, daß es in einer pluralistischen, an demokratischen Grundwerten orientierten und vor allen Dingen nicht zu hinterfragenden Gesellschaftsform lebt. Um dieses Ziel zu erreichen ist es unverzichtbar, Widersprüche aufzubauen und vermeintliche Meinungsverschiedenheiten auszutragen.

So hat Obama schon bald nach der Amtsübernahme im Januar angekündigt, das Gefangenenlager Guantánamo binnen einem Jahr zu schließen - Cheney hält das für einen Irrtum und weiß zumindest die Mehrheit der Senatoren, darunter auch viele Demokraten, hinter sich. Sie haben Obama vergangene Woche die Zustimmung zur Finanzierung von 80 Millionen Dollar für die Schließung des Lagers verweigert, solange nicht geklärt sei, was mit den Gefangenen geschähe.

Als wüßte er schon mehr unkte Cheney, daß die Sicherheit der USA gefährdet ist, wenn man nur halbe Sachen mache. Es gebe keinen Mittelweg, "halbe Maßnahmen" bedeuteten "halbe Sicherheit". Außerdem: Durch die harschen Verhörmethoden der CIA wurden Tausende Leben gerettet. Obama solle auch die Berichte über die Erfolge der Verhöre veröffentlichen.

Obgleich Cheney, der in den letzten Wochen häufiger Attacken gegen Obama gefahren hat, während seiner Amtszeit die Möglichkeit besessen hätte, jene ominösen positiven Erkenntnisse aus Folterberichten zu veröffentlichen, und er insofern Ansprüche an Obama stellt, die er selbst nicht erfüllt hat, wird ihm seitens der Mainstreampresse hüben wie drüben des Atlantiks Vorteile in der Auseinandersetzung attestiert. Cheney befände sich im Angriff, Obama in der Defensive, lautet die nahezu einhellige Einschätzung der Lohnschreiber.

Und während eifrig darauf geachtet und darüber debattiert wird, wer von den Kontrahenten wohl besser ankommt - was nicht zuletzt eine Frage der Medienmacht ist, die allerdings nicht thematisiert wird -, werden auf diesem Weg auch inhaltliche Fragen abgehandelt. Cheney kommt besser "rüber", dann muß an seinem Argument, daß Folter keine Folter ist und diese gebraucht wird, um das Land sicher zu machen, etwas dran sein.

Scheinbar mimt Obama den Antipoden, doch der Gegensatz beschränkt sich lediglich darauf, welchen imperialistischen Kurs die USA fahren wollen. Während Obama die Europäer stärker an dem gemeinsamen Projekt gegen den Rest der Welt beteiligen will, wird ihm genau das von Cheney vorgeworfen: Er, Obama, wolle mit der Schließung Guantánamos nur den Europäern gefallen, behauptete er. Den Europäern zu gefallen klingt in den Ohren der Amerikaner wie etwas überaus Verabscheuungswürdiges.

Vielleicht wird Obama in den nächsten Monaten weiter demontiert, doch gelänge das der Opposition nur, weil der amtierende Präsident die Politik seines Vorgängers nahezu nahtlos fortgesetzt hat und somit auf die Kritik ansprechbar ist. Typisch für die Obama-Position: Die Militärtribunale für die Guantánamo-Insassen sollen nicht rückhaltlos abgeschafft, sondern für solche Gefangenen aufrechterhalten werden, gegen die kein ausreichendes Belastungsmaterial vorliegt, das vor einem ordentlichen Gericht in den USA zur Verurteilung genügen würde. Bei Militärtribunalen dagegen reicht die Vorverurteilung, um Angeklagte, denen ein auch nur annähernd akzeptabler Rechtsbeistand verwehrt wird, zu lebenslänglicher Haft oder gar zum Tod zu verurteilen. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Die Angeklagten wurden nicht delinquent, müssen aber sterben, weil sie von den Anklägern als "gefährlich" eingeschätzt werden ... dagegen wirken die Hexenproben der mittelalterlichen Inquisition fast schon aufgeklärt.

Es steht zu vermuten, daß ausgerechnet jene Menschen, die durch keine Folter gebrochen und zu andere Menschen belastende Aussagen gebracht werden konnten, zu eben dieser Kategorie der "Terroristen", die von Militärtribunalen abgeurteilt werden sollen, gerechnet werden. Wohlgemerkt, das ist nicht der Standpunkt eines notorischen Folterleugners Dick Cheney, sondern der des Hoffnungsträgers Obama, der den Wechsel verheißen hat wie hierzulande ein Bundeskanzler Helmut Kohl einst "blühende Landschaften" in Ostdeutschland verkündete. (Daß es sich dabei um das blühende Unkraut handelte, das sich in den in einer breiten Fluchtbewegung verlassenen Dörfern ausbreiten würde, verschwieg Kohl wohlweislich.)

Indem Obama den Widersacher zur Bush-Administration spielt, gelingt es ihm, gesellschaftliche Kräfte einzubinden und zu demobilisieren, die womöglich viel härter mit dem früheren Folterregime ins Gericht gegangen wären. Nach und nach ist Obama von seinen früheren Verheißungen zurückgewichen - damit war er genau der richtige Mann, das imperiale Projekt der USA fortzusetzen. Cheneys laufenden Attacken muten zwar wie der revanchistische Konter an, diese Einschätzung unterstellt jedoch Obama ein Anliegen, für das dieser nie gestanden hat.

24. Mai 2009