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LAIRE/1110: Jemen - Neue Front im Terrorkrieg der USA (SB)


Weltunterordnungskrieger nehmen Nordjemen ins Visier

Die Einwohner Nordjemens sind nicht in erster Linie andersgläubig, sondern arm


Die US-Regierung sucht im Jemen nach Zielen, die sie bombardieren und zerstören kann. Als Vorwand dient der mutmaßliche Versuch eines Selbstmordanschlags auf eine Passagiermaschine, die sich zu Weihnachten im Landeanflug auf Detroit befand. [1] Der 23jährige nigerianische Attentäter ist geständig und plaudert nun anscheinend alles aus, was die Ermittler von ihm hören wollen: Er habe eine Terrorausbildung in Jemen genossen, habe von dort den Sprengstoff erhalten und sei von der Organisation Al Qaida auf den Flugzeuganschlag vorbereitet worden. Und er sei nicht der einzige.

Laut dem TV-Sender CNN [2], der sich auf zwei namentlich nicht genannte US-Beamte beruft, arbeiten die Vereinigten Staaten und Jemen bei der Auswahl der potentiellen Ziele zusammen, um Präsident Barack Obama Vorschläge unterbreiten zu können, falls dieser den Befehl zu einem Vergeltungsschlag erteilt. Die zu zerstörenden Ziele sollten in einem spezifischen Zusammenhang mit dem Attentatsversuch und seiner Planung stehen, hieß es.

"Passende" Ziele ausfindig zu machen war allerdings noch nie das Problem des US-Militärs, sei es 1986 beim Luftschlag auf das Haus des libyschen Staatsführers Muammar al-Gaddafi, 1998 bei der Zerstörung der hochmodernen Medikamentenfabrik al-Shifa am Rande der sudanesischen Hauptstadt Khartum durch dreizehn Cruise Missiles und 2002 bei der Vernichtung eines mit sechs Personen besetzten Fahrzeugs in Jemen durch einer von einer Drohne abgeschossenen Hellfire-Rakete.

Diese Fälle, wie auch die gegenwärtige Suche nach zu zerstörenden "Zielen" in Jemen, lassen keinen Zweifel aufkommen: Das Faustrecht regiert die Welt. Die bei diesen staatsterroristischen Angriffen ums Leben gekommene Menschen besaßen dagegen nur ihre Menschenrechte, aber eben nur so lange, wie sie ihnen von den vorherrschenden Kräften zugestanden wurden. Insofern hat sich herausgestellt bzw. wurde bestätigt, daß die Rechte das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen.

Seit dem Jahr 1990, in dem der von rund 400 schiitisch-zaiditischen Stämmen geprägte Norden Jemens mit dem sunnitisch-salafitisch dominierten Süden zur gemeinsamen Republik Jemen vereinigt wurde, sind bei inneren Auseinandersetzungen viele hundert Einwohner gewaltsam ums Leben gekommen. Jemens Regierung unter dem mehrfach wiedergewählten Präsidenten Ali Abdullah Salih wird nur allzu gern bereit sein, den Amerikanern "Ziele" zu nennen, die sie gern bombardiert sähe. Schließlich ist es dem jemenitischen Militär trotz teils massiver, mit mehreren zehntausend Soldaten durchgeführter Feldzüge nicht gelungen, die Rebellen vernichtend zu schlagen.

Das Ergebnis der von den US-Politikern angekündigten Zielsuche dürfte dem von Anfang Dezember ähneln, als bei Luftangriffen einer Koalition aus Jemen, Saudi-Arabien und den USA zahlreiche Frauen und Kinder schlagartig ins Jenseits befördert wurden. Andere hatten nicht so viel Glück. Ihnen wurden Gliedmaßen weggefetzt oder abgequetscht, die Gedärme aus dem Leib gerissen oder andere lebensgefährliche Verletzungen zugefügt und durften erst nach Stunden oder Tagen der Qual sterben. "Warum hassen sie uns", griff vor einiger Zeit der US-amerikanische Linguist Noam Chomsky im Titel seines gegen den Krieg gerichteten Buchs eine typische Frage westlicher Interventionssoldaten auf. Die Frage sagt schon alles: Die Soldaten wollen nicht wissen, daß sie Menschen töten, deren Lebenssaft die gleiche Farbe hat wie ihrer und deren Träume von einem behüteten, familiären Leben sich nur unwesentlich von den ihren unterscheidet.

Offiziell hat die Regierung der USA noch nicht zugegeben, daß sie bereits Luftangriffe auf Jemen geführt hat, inoffiziell heißt es aus dem Dunstkreis des Weißen Hauses, daß Jemens Regierung die Luftangriffe niemals für sich allein hätte ausführen können. [2] Der jüngste Pakt der beiden Regierungen gestattet es den US-Militärs, den jemenitischen Luftraum zu benutzen und von bemannten und unbemannten Fluggeräten Angriffe zu fliegen. Bislang dürfen die US-Soldaten aber nicht landen, Einwohner abgreifen und verschleppen. Abgesehen davon, daß sich die US-Militärs im Zweifelsfall sowieso nicht daran halten werden, werden sie sich nur deshalb Zurückhaltung auferlegen - wenn überhaupt -, weil sie ansonsten Jemens Präsidenten als ihre Marionette dastehen lassen würden. Einen geschwächten Staatsführer können die USA nicht gebrauchen, das würde die Region aus ihrer Sicht noch mehr destabilisieren.

Die US-Regierung verbreitet die Einschätzung, daß sich in Jemen seit einem Jahr ein Al-Qaida-Netzwerk mit klaren Kommandostrukturen gebildet hat. Aber anstatt das Übel an der Wurzel zu packen - nämlich in Saudi-Arabien -, erweckt das Vorgehen der Vereinigten Staaten, insbesondere wegen ihres nicht zu übersehenden Wiederholungscharakters, den Eindruck gezielter Infiltration und Schwächung unliebsamer Regierungen durch die einst vom US-Geheimdienst CIA aufgebaute Terrororganisation Al Qaida. Auf diese Weise wurden bereits Afghanistan und Irak aufgebrochen - Länder wie Iran, Sudan, Somalia, Eritrea und jetzt Jemen stehen auf der Abschußliste. Die Mehrheit der mutmaßlichen Flugzeugattentäter vom 11. September 2001 in den USA stammte aus Saudi-Arabien. Auch jetzt wird berichtet, daß Al Qaida-Kämpfer von Saudi-Arabien aus die Grenze nach Nordjemen überschritten und sich dort niedergelassen haben. Was läge also näher, als Riad zu bombardieren?

Das ist selbstverständlich kein ernstgemeinter Vorschlag. Er soll nur verdeutlichen, daß all diese Motive, die angeblich hinter dem geplanten Angriff auf Jemen stehen - von simpler Vergeltung über präemptive Terrorismusbekämpfung bis zur Durchsetzung der Menschenrechte - nur vorgeschoben sind und daß es im Kern um die Durchsetzung globaler Herrschaft geht. Das Königshaus von Saud erfüllt dieses Prinzip auf seine Weise und hat sich als williger Partner der Vereinigten Staaten erwiesen - nicht zuletzt in geschäftlichen Dingen. Saudi-Arabien liefert große Mengen Erdöl an die USA und erwirbt umgekehrt Rüstungsgüter aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Von Saudis geflogene Kampfflugzeuge amerikanischer Fertigung haben in diesem Monat wiederholt jemenitische Dörfer angegriffen, in denen sich angeblich Huthi-Kämpfer versteckt gehalten haben.

Mehrheitlich sind die Mitglieder von Al Qaida sunnitisch, die Einwohner Nordjemens jedoch schiitisch. Das paßt eigentlich nicht sonderlich gut zusammen, zumal der befehdete Süden - insgesamt zwei Drittel Jemens - sunnitisch ist. Selbstverständlich muß das kein Problem sein, in vielen Ländern leben Sunniten und Schiiten friedlich nebeneinander, aber wenn in der westlichen Berichterstattung von der Al Qaida-Hochburg in Nordjemen und der "Drehscheibe des Terrors im Nahen Osten" [3] gesprochen wird, dann wird dabei vernachlässigt, daß es eigentlich zwei Hauptkonflikte gibt und daß der Kampf der eingewanderten Al Qaida ein völlig anderer ist als der der angestammten nordjemenitischen Huthi-Rebellen. Wie überhaupt die Beschränkung auf religiöse Unterschiede als vermeintliche Erklärung für die Konflikte in die Irre führt. Die nordjemenitische, an Saudi-Arabien grenzende Saada-Region ist vor allem durch große Armut gekennzeichnet. Damit einher geht eine relative Einflußlosigkeit der nordjemenitischen Parteien und Volksvertreter in der gemeinsamen Regierung. Beides zusammen sowie die Erinnerung an Zeiten, als der eigene Einfluß größer war, liefern den Huthi-Rebellen Nordjemens genügend Zündstoff, um einen Aufstand anzuzetteln.

Sollten in den nächsten Tagen US-Raketen auf nordjemenitische Dörfer abgefeuert werden, dann werden dort keine Menschen getötet, die in erster Linie "andersgläubig", sondern die "verarmt" sind. Wenn man sich im westlichen Kulturkreise schon scheut, Al Qaida als inzwischen verselbständigtes Kunstprodukt der US-Geheimdienste zu betrachten, so wird man sich der Logik nicht verschließen können, daß die willkürliche Tötung von unbewaffneten Einwohnern, ob in Jemen, Afghanistan, Irak oder Somalia, nur immer neue Kämpfer gegen den Westen und neue Konflikte in sogenannten Rückzugsgebieten der Al Qaida erzeugt. Das wissen die Strategen in der US-Regierung, woraus logisch herzuleiten ist, daß sie sich willentlich dafür entschieden haben.

Nach dem Auseinanderfallen des Warschauer Pakts zu Beginn der 1990er Jahre besaßen die Militärs von USA und NATO keinen Gegner mehr und verloren - theoretisch - ihre Existenzberechtigung. Deshalb suchten die Strategen in Washington und Brüssel nach neuen Gegnern und wurden fündig: Terroristen, Terrorgruppen, regierungslose Regionen, "gescheiterte" Staaten wurden erfolgreich als Feindbild aufgebaut. Inzwischen hat sich im hiesigen Kulturkreis der Eindruck durchgesetzt, daß nicht die umfangreichsten Militärapparate den Weltfrieden bedrohen, sondern ein ominöses Netzwerk namens Al Qaida, das sich der asymmetrischen Kriegführung bedient. Das liefert den (unter anderem) den NATO-Staaten nicht nur einen Vorwand dafür, ihre Militärs nicht abschaffen zu müssen, sondern ermöglicht es den Sicherheitsapparaten sogar Zugriff bis auf die Haut (Nacktscanner) und darüber hinaus (Genetischer Fingerabdruck) der Menschen zu erlangen.

Vor einen Jahr hat die israelische Armee die Bevölkerung des Gaza-Streifens angegriffen, rund 1500 Leben ausgelöscht und lebenswichtige Infrastruktur zerstört, um eine Gefahr zu beenden, die allenfalls als asymmetrisch zu bezeichnen ist. Diese blutige "Operation gegossenes Blei" dient inzwischen als Vorbild für andere Regionen, die sich wie der Gaza-Streifen durch eine große Armut auszeichnen. Das zeigen die Bombenangriffe auf Nordjemen. Von den tausenden Einwohnern, die um ihr Leben gerannt sind oder noch rennen werden, sollten demnächst US-Kampfflugzeuge ihre bombigen Neujahrsgrüße schicken, wird es sicherlich auch einige geben, die sich vor lauter Zorn ob ihrer Ohnmacht einer Organisation wie Al Qaida anschließen. Wohin werden sie dann gehen? Vielleicht nach Somalia oder Eritrea, nach Syrien, Nigeria oder Guinea ... an vermeintlichen Rückzugsgebieten von Al Qaida-Kämpfern wird es nicht mangeln.

Noch eine abschließende Bemerkung: Medienberichten zufolge fordern US-Politiker inzwischen, rund einhundert aus Jemen stammende Gefangene des Folterlagers Guantánamo nicht in die Freiheit zu entlassen, denn angeblich zählten zwei ehemalige Insassen zu den Drahtziehern hinter dem gescheiterten Attentatsversuch von Weihnachten. Vielleicht trifft diese Behauptung zu, vielleicht auch nicht, die mutmaßliche Täterschaft beweist keineswegs, daß sie schuldig sind und ihre Käfighaltung berechtigt war. Es kann gar nicht ausgeschlossen werden, mehr noch, es muß sogar als hochwahrscheinlich angesehen werden, daß die beiden durch ihre Gefangennahme und jahrelange Entführungszeit in Guantánamo politisiert wurden - man könnte auch von "terrorisiert" sprechen. Falls die beiden Ex-Insassen Guantánamos die Fäden aus dem Hintergrund gezogen haben, so war das Pentagon ihr Ausbilder.


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Anmerkungen:

[1] Siehe Index LAIRE/1109: Wem nutzt der gescheiterte
Flugzeuganschlag von Detroit? (SB)

[2] "Officials: U.S., Yemen reviewing targets for possible strike", CNN, 30. Dezember 2009
http://edition.cnn.com/2009/WORLD/meast/12/29/us.yemen.strike.targets/index.html

[3] "Terror im Jemen. Al Kaidas Drehscheibe im Nahen Osten", 28. Dezember 2009
http://www.tagesschau.de/ausland/jemen234.html

30. Dezember 2009