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LAIRE/1253: CDU-Politiker kritisiert Ansatz von Misereor, die Kleinbauern zu fördern (SB)


"Ideologisierte" Entwicklungshilfe?

CDU-Abgeordneter zeiht Misereor und andere Hilfsorganisationen der Verantwortung für Hunger und Armut in den Entwicklungsländern


Misereor und andere Organisationen seien mitverantwortlich für Hunger und Elend in der Welt, behauptet der sogenannte Welternährungs-Experte der CDU-Bundestagsfraktion, Johannes Röring, laut einem Bericht der Deutschen Welle [1]. Sie verherrlichten eine kleinbäuerliche Struktur und lehnten technischen Fortschritt ab, werden die Hilfsorganisationen in die Nähe von Maschinenstürmern gerückt. Die Landwirtschaft in Afrika und Lateinamerika müsse stärker industriealisiert werden, so der ausgebildete Landwirt aus dem Westmünsterland.

Auf seiner Internetpräsenz hat Röring ein ausführlicheres Interview mit Volker Resing von der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) zu diesem Thema eingestellt [2]. Auf die Frage, wieso die Entwicklung nicht vorankomme, erwiderte Röring, "ein zentraler Grund für die Fehlentwicklung" sei die "völlig falsche Philosophie" vieler Entwicklungshilfeorganisationen. Namentlich nannte er Misereor. Bei dieser Einstellung werde "eine afrikanische Dorfidylle" gepredigt, die mitverantwortlich für Hunger und Elend sei. Es fehle an fachlichem Know-How und an Investitionen in Maschinen, Saatgut und Infrastruktur, "dann könnten diese Länder Afrikas den Hunger überwinden und aus eigener Kraft zu mehr Wohlstand kommen".

Hierzu ist zunächst einmal anzumerken, daß nicht Misereor und andere Hilfsorganisationen den Kurs der deutschen Entwicklungspolitik bestimmen, sondern die Regierung. Also maßgeblich die Partei, der Röring angehört. Da liegt das eigentliche Problem, weniger bei den Hilfsorganisationen.

Es ist die Bundesregierung, die sich weigert, den von der Weltbank initiierten Weltagrarbericht zur Bekämpfung von Hunger und Armut, an dem mehrere hundert Experten vier Jahre lang gearbeitet haben, zu unterzeichnen. In dem umfänglichen Bericht wird klargestellt, daß mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Erträge weltweit von Kleinbauern produziert wird, weshalb diese gefördert werden sollten, und daß die industrielle Landwirtschaft, einschließlich der Grünen Gentechnik, nach Bewertung auch sozioökonomischer und Nachhaltigkeitsfaktoren nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt habe. Von ihr sei somit auch keine Lösung für das Problem von Hunger und Armut zu erwarten.

Diese Expertise zählt für Röring offenbar nicht. Er zeichnet ein düsteres Bild vom Kleinbauerntum: "Warum helfen wir den Bauern dort nicht, Unternehmer zu werden? Warum helfen wir nicht, etwa durch bessere Ausbildung, durch Gründung von Bauernverbänden, durch den Bau von Lagerstätten, von der Subsistenzwirtschaft weg zu kommen und auch etwa mit Agrargütern oder Nahrungsmitteln Handel zu treiben? Stattdessen wird erklärt, die Afrikaner wollen nur mit Ochs und Esel ihr Stückchen Land bestellen, dann seien sie glücklich. Ich glaube das nicht." [2]

Weder Hilfsorganisationen wie Misereor noch die Herausgeber des Weltagrarberichts sehen in der Bewirtschaftung des Bodens mit Ochs und Einzahn-Holzpflug eine Lösung des globalen Hungerproblems. Das zu unterstellen grenzt an Verhöhnung. Man muß sich fragen, wieso der CDU-Politiker, der aus dem Großbauerntum kommt, die Vorschläge und Konzepte auch zum Beispiel internationaler Bauernverbände wie Via Campesina oder nationaler Verbände wie die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL) ignoriert und statt dessen den Eindruck erweckt, daß alle, die sich für das Kleinbauerntum aussprechen, die afrikanische Landwirtschaft auf einem primitiven Niveau halten wollen.

Röring trifft mit seiner Vorstellung, daß die Bauern in den Entwicklungsländern in die Lage versetzt werden sollen, sich irgendwann "aus eigener Kraft" aus der Misere zu befreien, auf einen breiten Konsens in der staatlichen wie nichtstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Da geht Misereor mit ihm d'accord. Bei dieser Vorstellung wird jedoch übersehen, daß die vorherrschenden Kräfte der Weltwirtschaftsordnung, die auf die Möglichkeit zur Kapitalakkumulation geeicht ist, nicht am eigenen Ast sägen, der ihnen bislang Vorteile gegenüber allen anderen gebracht hat.

Die Geschichte beispielsweise der ehemaligen afrikanischen Kolonialstaaten zeigt, daß die Vorstellung, diese seien "in die Unabhängigkeit" entlassen worden, lediglich formal zutrifft. Faktisch wurden sie in die Verschuldung getrieben, und ihre Agrarproduktivität wurde systematisch zerstört, so daß sie zutiefst abhängig von den Industriestaaten blieben. Das hat der philippinische Soziologieprofessor und Träger des Alternativen Nobelpreises Walden Bello in seinem Buch "Politik des Hungers" (Assoziation A) detailliert beschrieben: Länder, die sich ernährungstechnisch selbst versorgten oder gar darüber hinaus für den Export produzierten, wurden in landwirtschaftliche Importländer umgewandelt. Dazu trugen nicht zuletzt die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank bei.

Heute versucht die Europäische Union mit den 77 AKP-Staaten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen abzuschließen. Hatten die Europäer früher mit allen AKP-Staaten gemeinsam verhandelt, so sind diese inzwischen in regionale Gruppen gespalten. Die EU kommt mit ihrem Anliegen nicht recht voran, denn die AKP-Staaten wehren sich dagegen, daß sie ihre Märkte für europäische Unternehmen öffnen sollen, was darauf hinausliefe, daß die Kleinbauern und Händler der armen Staaten mit den kapitalstarken europäischen Agrokonzernen konkurrieren müßten. Und die Regierungen hätten sich vertraglich ihrer letzten Möglichkeiten beraubt, beispielsweise durch Einfuhrzölle und Subventionen die Bauern zu schützen.

Solange dieses System extrem ungleicher Chancen im globalen Konkurrenzkampf besteht, verkommt die propagierte Befreiung "aus eigener Kraft" zum bloßen Blendwerk und Rechtfertigungsvorwand, um nicht die Konsequenz ziehen zu müssen und die Hunger und Armut generierende Produktionsweise zu hinterfragen. Hier erfüllen selbst die Hilfsorganisationen gewissermaßen eine legitimatorische Funktion, indem sie partiell die destruktiven Folgen dieser Verwertungsordnung abmildern und Menschen, die ansonsten verarmt oder gar verreckt wären, helfen.

Die Kritik Rörings zeigt, daß diese Organisationen nicht davor geschützt sind, gelegentlich Prügel seitens der vorherrschenden Kräfte zu beziehen. Das gilt um so mehr, sollten sie ihre Arbeit allzu ernst nehmen und daran rühren, daß eigentlich die Systemfrage gestellt werden müßte, um Armut und Hunger in der Welt die Grundlage zu entziehen. Die Attacke des CDU-Politikers gegen Hilfsorganisationen kommt wohl nicht zufällig zu einem Zeitpunkt, da diese enger an die Kandare genommen und die deutsche Entwicklungspolitik mehr denn je an Wirtschaftsinteressen ausgerichtet werden sollen.


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Anmerkungen:

[1] CDU-Politiker Röring kritisiert "ideologisierte Entwicklungshilfe", 4. November 2010
http://www.dw-world.de/dw/function/0,,12356_cid_6188391,00.html

[2] Welternährung als globale Herausforderung. Johannes Röring MdB im Interview mit Volker Resing (KNA) im Anschluss an eine Afrika-Reise zum Thema Welternährung, 4. November 2010
http://www.johannes-roering.de/index.php?ka=1&ska=1&idn=108

7. November 2010