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LAIRE/1258: Desertec - Strom aus der Menschenrechtswüste (SB)


Deutschland und Algerien kooperieren auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien

Schwere Menschenrechtsverstöße Algeriens kann die gute Stimmung in der Wirtschaftspartnerschaft nicht trüben


Deutschland und Algerien wollen auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien enger zusammenarbeiten und haben eine gemeinsame Wirtschaftskommission gründet, die sich mit der Förderung der Partnerschaft befaßt. Ein entsprechendes Kooperationsabkommen zurrten der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika und Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche Mittwoch in Berlin fest. Die deutsch-algerische Kommission wird sich auch mit der Verwirklichung der von der deutschen Wirtschaft angeführten Desertec-Initiative befassen. [1] Der Name Desertec steht für einen breit angelegten energiepolitischen Vorstoß deutscher Konzerne (u. a. Siemens, Deutsche Bank, Münchener Rück, E.ON, RWE) und weiterer Geschäftspartner zur Erschließung Nordafrikas und des Nahen Ostens als Energielieferant für die Europäischen Union. Die einstrahlungsreichen nordafrikanischen und arabischen Länder sollen ebenfalls mit Hilfe von Desertec-Projekten den Anteil an erneuerbarer Energie steigern. Die bisherigen Pläne sehen vor, daß bis zum Jahr 2050 400 Milliarden Euro investiert werden, damit die Europäische Union 15 Prozent ihres elektrischen Strombedarfs vor allem mittels solarthermischer Anlagen, Windrädern und Photovoltaik-Anlagen im sogenannten MENA-Raum decken kann - MENA steht für Middle East, North Africa.

Nachdem die Desertec-Initiative im vergangenen Jahr einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde, warfen Kritiker des Großprojekts unangenehme, bis heute nicht beantwortete Fragen auf. Ausgerechnet mit repressiven Staaten wie Marokko, Algerien und Ägypten will die Desertec Industrial Initiative (DII) Abkommen für "grünen" Strom aus der Wüste schließen! Der Strom dürfte nicht grün, sondern rot sein - rot vom Blut all jener, die beispielsweise dem marokkanischen Sicherheitsstaat Anfang November im Wege standen, als er in der besetzten Westsahara das "Lager der Würde" einheimischer Sahrauis zerstörte.

Marokko ist sehr an einer Beteiligung Desertecs an der Förderung erneuerbarer Energien interessiert und will zwei von bislang fünf geplanten solarthermischen Kraftwerken an den Standorten Laayoun und Boujdour in den besetzten Gebieten errichten. Zwar versicherte ein Desertec-Sprecher gegenüber dem "Guardian" [2], daß sie kein Referenzprojekt in der Westsahara ansiedeln werden, aber was sind solche Beteuerungen wert angesichts dessen, daß Marokko die beiden Standorte nicht aufgeben wird. Selbstverständlich wird die Besatzungsmacht im erheblichen Umfang von der Zusammenarbeit mit der DII profitieren, an welchen Standorten auch immer sie sich engagiert.

Neben Marokko ist auch Ägypten ein wichtiger Kooperationspartner der Desertec-Initiative. Bei den Parlamentswahlen Ende November, Anfang Dezember, bei dem die regierende National Democratic Party (NDP) von Präsident Hosni Mubarak einen haushohen Sieg einfuhr, war es nach Einschätzung der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton zu "Unregelmäßigkeiten" gekommen. Sie kritisierte "den beschränkten Zugang unabhängiger Beobachter und der Vertreter der Kandidaten in den Wahlbüros, die Einschränkungen der Presse ebenso wie die Festnahme von Oppositionsaktivisten". [3] Auch aus den USA wurde leise Kritik am Wahlverlauf geäußert, obgleich doch das Land am Nil massiv von den Amerikanern unterstützt wird. Ägypten ist nach Israel der Hauptempfänger US-amerikanischer Rüstungshilfe. [4] Die Bundesrepublik Deutschland exportiert ebenfalls Waffen nach Ägypten und stärkt damit das Regime. [5] In der hiesigen Berichterstattung werden die Repressionen zwar nicht völlig verschwiegen, aber dennoch werden sie nicht an die große Glocke gehängt. Schließlich ist Ägypten ein wichtiger Wirtschaftspartner Deutschlands und wird auch von und für Deutschland als wichtige Ordnungsmacht im arabischen Raum gefördert.

In Algerien wiederum herrschte in den neunziger Jahren ein Bürgerkrieg, dem bis zu 200.000 Einwohner zum Opfer fielen. Der amtierende Präsident Abdelaziz Bouteflika ist letztlich ein Günstling des Militärs, von dem er im April 1999 an die Spitze des Staates gesetzt wurde. Der algerische Militärapparat hatte 1991/92 einen sich abzeichnenden Wahlsieg der Islamischen Heilsfront (FIS - Front islamique du salut) verhindert, den Wahlvorgang abgebrochen und so faktisch die Macht übernommen. Der damals verhängte Ausnahmezustand ist noch heute in Kraft. Inzwischen gilt der gewaltsame Konflikt als beigelegt, aber damit ist er nicht behoben. Unter der Decke rumort es, auch nach zwei Jahrzehnten ist der damalige Wahlbetrug bei den Unterdrückten nicht in Vergessenheit geraten.

Nach wie vor wird in Algerien die Presse eingeschränkt. In der Hauptstadt Algier darf seit 2001 nicht mehr demonstriert werden. Die Rolle des Repressionsapparats aus Militär, Geheimdienst und Polizei während des Bürgerkriegs, insbesondere hinsichtlich des spurlosen Verschwindens von zahllosen Einwohnern, wurde nie aufgearbeitet. Noch heute gibt es geheime Haftzentren, in denen gefoltert wird. An diesen Verhältnissen lassen weder der UN-Menschenrechtsausschuß in seinem Bericht vom November 2007 [6] noch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International [7] den geringsten Zweifel aufkommen.

Deutschland will nicht nur hinsichtlich Desertec mit Algerien kooperieren. Bei Bouteflikas Besuch in Berlin lenkte Bundeskanzlerin Merkel "den Blick auf ein Grenzsicherungsprojekt in Algerien mit Beteiligung der deutschen Wirtschaft", wie finanzen.net berichtete. [8] Durch die Grenzsicherung soll verhindert werden, daß Flüchtlinge aus Afrika die attraktiven Fleischtöpfe Europas erreichen oder, um mit den Worten Merkels zu sprechen: Das Grenzsicherungsprojekt werde sicherlich auch dazu dienen, die Flüchtlingsströme auf dem Kontinent zu unterbinden. Selbstverständlich versäumte es die Bundeskanzlerin nicht, pflichtschuldigst zu erwähnen, daß Deutschlands Politik gegenüber "ganz Afrika" darin bestehe, möglichst viel Bildungschancen für junge Leute zu eröffnen, "damit auch die Gründe für Migranten, für die Migration, nicht mehr gegeben sind". [8]

So allgemein und unverbindlich gehalten, verpflichtet es die Bundesregierung zu gar nichts. Doch selbst in wohlwollend gemeinten Formulierungen wie, "wir wollen Afrika zu einer guten Zukunft verhelfen, weil das nicht nur Afrika nützt, sondern auch Europa", leuchtet der Eigennutz unverhohlen durch. Algerien soll Deutschland und der Europäischen Union als Rohstofflieferant dienen. Gleichzeitig erfüllt der nordafrikanische Staat eine Pufferfunktion zur Absicherung des Wohlstandsraums Europa gegenüber den Heerscharen von Hungerleidern aus Afrika. Daß in Algerien die Menschenrechte mit Füßen getreten werden - und hinter jedem verletzten Menschenrecht steht ein verletzter Mensch -, bekümmert die Kanzlerin anscheinend nicht, wenn sie bei Bouteflika darum wirbt, daß deutsche Unternehmen die Grenzsicherung des Landes übernehmen könnten, da deutsche Firmen über entsprechendes Knowhow verfügten.

Deutschland würde also eine wichtige Aufgabe bei der Absicherung des repressiven Systems erfüllen. Man kann davon ausgehen, daß die Kooperation mit solchen Regimen von Hermes-Bürgschaften und somit vom deutschen Steuerzahler risikotechnisch abgesichert wird. Deutsche Unternehmen sind an EADS beteiligt. Der Rüstungskonzern und weltweit zweitgrößte Flugzeugbauer nach Boeing hat im Sommer 2009 von Saudi-Arabien einen milliardenschweren Auftrag erhalten, die 9000 Kilometer lange Grenze des Landes umfassend abzusichern. Der Ölstaat schottet sich bereits an seiner nördlichen Grenze gegen Irak mittels eines Hightech-Zaun ab. EADS soll zusätzlich und landesweit, teils boden-, teils luft-, teils weltraumgestützte Grenzsicherungssysteme installieren. Einzelheiten des Auftrags wurden nicht bekanntgegeben, doch dürfte dabei die ganze Palette von Beobachtungstechnologien (diverse Radar-, Infrarot- und optische Erfassungssysteme) zum Einsatz kommen. [9]

Die Bezeichnung "Grenzsicherung" für diese Maßnahmen erzeugt leicht eine falsche Vorstellung. Es werden ganze Regionen überwacht, auch sensible Einrichtungen sind davon nicht ausgenommen. Ist solch ein integriertes Überwachungssystem erst einmal installiert, läßt es sich anschließend leicht auf andere Gebiete, öffentliche Gebäude, empfindliche Infrastrukturen, militärische Einrichtungen, etc. erweitern. Sollte Algerien sowohl hinsichtlich Desertec als auch der Grenzsicherung mit Deutschland zusammenarbeiten, wäre es verwunderlich, wenn nicht auch die solarthermischen Anlagen unter den Schirm der besonderen Überwachung durch die EADS-Systeme genommen würden.

Der Transport der generierten Energie durch Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) ist zwar eine erprobte, aber keineswegs so weit entwickelte Technologie, daß sie nicht noch fundamentaler Verbesserungen bedürfte, wie einem jüngeren "Erfolgs-"Bericht der Fraunhofer-Gesellschaft zu einem Teilaspekt der Gleichstromübertragung herauszulesen ist. [10] Aber trotz noch zu erwartender Weiterentwicklungen gilt, daß HGÜs nicht für engmaschige Verbundnetze geeignet sind, was bedeutet, daß der in Algerien und anderen nordafrikanischen Ländern produzierte elektrische Strom über sehr wenige Trassen nach Europa fließen muß. Die sind sabotageanfällig.

Repressive Regime erzeugen Widerstand. Widerstandsbewegungen könnten die Neigung verspüren, den Staat an einer empfindlichen Stelle zu treffen, beispielsweise bei den HGÜs. Zudem bringt sich die Europäische Union immer mehr als militärischer Machtfaktor ins Gerede. Der Rückgang der Militärausgaben in einigen EU-Staaten deutet keine Abkehr von der im Lissabon-Vertrag beschlossenen Politik der fortwährenden militärischen Weiterentwicklung an, sondern im Gegenteil eine Konzentration aufs "Kerngeschäft". Das ist gegenwärtig die Interventionsfähigkeit, die bereits gegen Milizen in afrikanischen Ländern getestet wurde.

Halten wir fest: Ein von deutschen Konzernen forciertes Konzept zur (verglichen mit Photovoltaik auf deutschen Dächern) zentralistischen Energiegewinnung und -weiterleitung in MENA-Bollwerkstaaten für die Europäische Union wird begleitet von Initiativen zur Rundumüberwachung der Grenzen und sensibler Einrichtungen. Man mag es als rein zufällige zeitliche Koinzidenz abtun, daß Bundeskanzlerin Merkel bei Bouteflikas Besuch sowohl für Desertec als auch für die Erfahrung deutscher Unternehmen bei der Grenzsicherung geworben hat. Bei einem genaueren Blick darauf, aus welcher Menschenrechtswüste in Zukunft erneuerbare Energien nach Europa transportiert werden sollen, kann der Zufall allerdings ausgeschlossen werden.


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Anmerkungen:

[1] "Algeria, Germany launch 'Desertec' commission", Magharebia.com, 9. Dezember 2010
http://www.zawya.com/Story.cfm/sidZAWYA20101210065919/Algeria,%20Germany%20launch%20%27Desertec%27%20commission

[2] "Solar giant Desertec to avoid Western Sahara", The Guardian, 23. April 2010
http://www.guardian.co.uk/sustainable-business/desertec-western-sahara

[3] "Sieg für Mubarak. Gewalt und Repression überschatten Wahl in Ägypten", Die Welt, 7. Dezember 2010
http://www.welt.de/politik/ausland/article11438859/Gewalt-und-Repression-ueberschatten-Wahl-in-Aegypten.html

[4] "US-Waffenexporte steigen auf Rekordniveau", Spiegel Online, 14. September 2008
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,578135,00.html

[5] "Deutsche Waffenexporte bedeuten tausendfachen Tod", Pressemitteilung, Jan von Aken, 13. Dezember 2010
http://www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/deutsche-waffenexporte-bedeuten-tausendfachen-tod/?rss

[6] http://www.ohchr.org/EN/countries/MENARegion/Pages/DZIndex.aspx

[7] http://www.ai-algerien.de/

[8] "Deutschland und Algerien setzen Wirtschaftskommission ein - dapd", 8. Dezember 2010
http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/Deutschland-und-Algerien-setzen-Wirtschaftskommission-ein-dapd-975719

[9] "Fencing the Kingdom: EADS Lands Huge Saudi Border Deal", 19. Juli 2009
http://www.defenseindustrydaily.com/Fencing-the-Kingdom-EADS-Lands-Huge-Saudi-Border-Deal-05593/

[10] "Das Stromnetz der Zukunft spart Energie", Presseinformation der Fraunhofer-Gesellschaft, Mediendienst November 2010
http://www.fraunhofer.de/presse/presseinformationen/2010/11/das-stromnetz-der-zukunft-spart-energie.jsp

14. Dezember 2010