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LAIRE/1286: Reduzierung von Weltraumschrott - Hegemonialmacht USA verhandlungsbereit (SB)


Anwachsende Müllmenge im All zwingt Staaten an den
Verhandlungstisch über Sicherheitsfragen


Die USA sind bereit, mit der Europäischen Union zusammenzuarbeiten, um ein internationales Weltraumabkommen zu verabschieden, das vor allem die Vermeidung von Weltraummüll regeln soll. Zwar wird ein im Dezember 2008 vom EU-Rat vorgelegter Entwurf für einen freiwilligen "Code of Conduct" [1] für Weltraumaktivitäten von der US-Regierung in der jetzigen Version abgelehnt, aber zumindest als "solide Grundlage" für Verhandlungen anerkannt. Das berichtete die "Washington Post" [2] unter Berufung auf ein namentlich nicht genanntes Mitglied der US-Administration. Die Vereinigten Staaten hätten entschieden, in formale Beratungen und Verhandlungen mit der Europäischen Union und anderen Raumfahrtnationen über die Entwicklung eines internationalen Verhaltenskodex einzutreten, sagte der Offizielle.

Die Zeitung behauptet allerdings, daß diese Ankündigung der Aussage der Staatssekretärin für internationale Sicherheit und Waffenkontrolle, Ellen Tauscher, widerspreche, die in der vergangenen Woche den EU-Entwurf als "zu restriktiv" bezeichnet habe. Der unterstellte Gegensatz in den Erklärungen aus der US-Administration erweist sich jedoch als etwas überspitzt dargestellt, denn Tauscher hat über ihre Absage hinausgehend erklärt, daß die Regierung ihre Pläne in Kürze darlegen werde. Zu möglichen Modifikationen des Entwurfs oder zur Verwendung einzelner Abschnitte für ein anderes Vertragswerk äußerte sie sich nicht.

Restriktionen der Weltraumaktivitäten werden von der US-Regierung vor allem deshalb nicht vorbehaltlos akzeptiert, weil dadurch ihren militärischen Ambitionen Zügel angelegt werden könnten. Doch ist ein Vertrag zum Umgang mit Weltraummüll, der militärische Belange unberührt läßt, ein Widersinn, da im Falle eines militärischen Konflikts Trümmerteile produziert werden könnten, die den bestehenden und zukünftigen Verkehr im All behindern. Bei einer größeren kriegerischen Auseinandersetzung, bei der womöglich einige Staaten ihre Satelliten gegenseitig zerstören, wären sogar sich selbst verstärkende Effekte vorstellbar, wenn die Trümmerteile andere Satelliten beschädigen, aus der Bahn werfen und auf weitere Objekte lenken. Eine hervorragende Voraussetzung, die Entstehung von Weltraummüll zu vermeiden, besteht sicherlich darin, auf die weitere Militarisierung des Alls zu verzichten. Dazu waren aber die USA schon in der Vergangenheit nicht bereit, und heute dürften auch andere Staaten von ihren Bemühungen, einen Rüstungswettlauf ins All zu verhindern, auf Distanz gegangen sein.

Die 1983 vom damaligen US-Präsident Ronald Reagan vorgeschlagene Strategic Defense Initiative (SDI), die auch unter dem Titel Star Wars-Programm bekannt wurde, hat sich als technologisch unausgereift und zu teuer herausgestellt und wurde deswegen von Nachfolgeregierungen aufgegeben. Einzelne Bestandteile dagegen wurden weiterverfolgt. Insbesondere die wachsende Speicherdichte und Geschwindigkeit von Chips zur Steuerung von ballistischen Körper und die Entwicklung leistungsstarker Laser sorgten für enorme technologische Innovationen. Der Fortschritt der USA auf dem Gebiet der Weltraumtechnologien kam zeitgleich mit dem Niedergang des potentiellen Hauptkonkurrenten im All, Rußland.

Im vergangenen Jahrzehnt bemühten sich China und Rußland, im Rahmen eines Vertragswerks der Vereinten Nationen die Militarisierung des Alls rechtsverbindlich zu verbieten. Das wurde von den USA ablehnt. Full spectrum dominance, totale Hegemonie zu Wasser und zu Lande, in der Luft und auch im Weltraum, steht im Zentrum der Militärdoktrin "Joint Vision 2020" der Vereinigten Staaten. 2007 setzte China ein unmißverständliches Signal, daß es den hegemonialen Anspruch der USA im All nicht hinnimmt. Es überprüfte und demonstrierte seinen militärischen Fortschritt und schoß einen eigenen, ausgedienten Wettersatelliten im Orbit ab. Dafür nahm es sogar die Entstehung einer Trümmerwolke und entsprechende internationale Empörung über den Vorfall in Kauf.

Im Jahr darauf veröffentlichte die EU ihren "Code of Conduct", der nicht zuletzt Leitlinien zur Reduzierung von Weltraummüll vorschlägt. Der Entwurf stößt nicht nur bei der US-Regierung auf Ablehnung, sondern nach Angaben von Michael Krepon [3], Mitgründer des US Think Tanks Stimson Center, auch bei Brasilien, Indien, Rußland und China. Zu ihren Gründen äußerte sich Krepon nicht. Es läßt sich allerdings vermuten, daß der EU-Entwurf in den Augen dieser Staaten inakzeptabel ist, weil er die Unterzeichner in die Pflicht nehmen will, Fortschritte bei der Implementierung des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Test Ban Treaty) zu erzielen. China, Indien und die USA haben diesen Vertrag jedoch nicht ratifiziert. Wiederum lehnen Brasilien, China und Indien den Haager Kodex gegen die Verbreitung ballistischer Raketen (The Hague Code of Conduct against Ballistic Missile Proliferation) ab, auf dessen Anerkennung ebenfalls die Unterzeichnerstaaten des EU-Entwurfs hinarbeiten sollten. [4]

Ein allgemeinerer Vorbehalt der Schwellenländer gegen den Kodex dürfte darin bestehen, daß die Militarisierung des Alls als potentiell weitgehendste Umweltverschmutzung jener Sphäre zu wenig, gleichzeitig aber die Möglichkeiten von Ländern, ins All vorzustoßen, ohne sich Vorschriften machen zu lassen, aus ihrer Sicht zu sehr eingeschränkt wird.

Daß die führende Weltraummacht USA überhaupt ihre Bereitschaft bekundet, eine internationale Vereinbarung über Maßnahmen zu Sicherheitsfragen im All zu treffen, dürfte mit dem allmählich über den Kopf wachsendem Problem des Weltraummülls zu tun haben. Die Internationale Raumstation (ISS) mußte schon häufiger Weltraumschrott ausweichen. Auch bei Missionen zum Mond und darüber hinaus wird darauf geachtet, daß die Sonden schadensfrei die Trümmerwolke rund um den Planeten durchstoßen. Mehr als 16.000 orbitale Objekte, die größer als zehn Zentimeter sind, werden ständig per Radar erfaßt. Schätzungen zufolge liegt die Zahl kleinerer Teile im dreistelligen Millionenbereich. Auf Weltraumschrott müssen im Zweifelsfall auch die Militärs Rücksicht nehmen, in ihrer Lesart wird so etwas als eine Frage der nationalen Sicherheit betrachtet. Die Bereitschaft der USA, mit der EU und anderen Staaten über Fragen der Sicherheit im All zu verhandeln, ist nicht als Rückzug vom Anspruch globaler Hegemonie zu verstehen, sondern als Teil seiner Verwirklichung.



Anmerkungen:

[1] http://www.eu2008.fr/webdav/site/PFUE/shared/import/1209_CAGRE_resultats/Code%20of%20Conduct%20for%20outer%20space%20activities_EN.pdf

[2] http://www.washingtontimes.com/news/2012/jan/16/new-space-arms-control-initiative-draws-concern/?page=all

[3] http://www.spacenews.com/policy/120112-wont-adopt-code-conduct-space.html

[4] In dem EU-Entwurf heißt es nicht "The Hague Code of Conduct against Ballistic Missile Proliferation", sondern "International Code of Conduct against Ballistic Missile Proliferation". Gemeint ist das gleiche.

18. Januar 2012