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LAIRE/1306: Militarisierung - Warum die Linken keine Ansprechpartner für Merkel sind (SB)


Die Wahl des nächsten Bundespräsidenten wirft ihre Schatten voraus


Bundeskanzlerin Angela Merkel, die erst kürzlich wieder versichert hat, daß sie Kanzlerin aller Deutschen sein möchte, will nur mit einem bestimmten Teil der Volksvertreter über die Nachfolge von Bundespräsident Joachim Gauck sprechen. Gespräche mit den Linken werde sie darüber nicht führen, sondern nur mit den Parteien, "die für uns Ansprechpartner sind", so Merkel in einem Interview mit NDR info. [1]

Wenn die Linken für sie keine Ansprechpartner sind, folgt daraus nicht, daß für sie auch die Menschen, die sich von dieser Partei im Parlament vertreten lassen, keine Ansprechpartner sind? Die Linken haben bei der letzten Bundestagswahl 8,6 Prozent der Stimmen erhalten und sind mit 64 Abgeordneten im Bundestag vertreten. Damit ist Merkel nicht "Mutti der Nation", sondern allenfalls Mutti von einem Teil der Nation, während mehrere Millionen Bundesbürger ausgeschlossen werden.

Das ist nun wirklich keine neue Beobachtung, denkt man beispielsweise an Merkels Befürwortung der von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnten Handelsabkommen CETA und TTIP, erhält aber doch einiges an Gewicht, wenn man bedenkt, daß die Kanzlerin auf Dialog mit dem türkischen Präsidenten Erdogan setzt. Der hat sich den Ruf eines Diktators eingehandelt, weil er nach einem gescheiterten Putschversuch gegen ihn Zehntausende verhaften ließ, mit den Kopfabschneidern des Islamischen Staats paktiert und die eigene Bevölkerung (Kurden, demokratisch gewählte Volksvertreter, linke Kräfte, unliebsame Medienvertreter, Homosexuelle) mit schwersten Repressionen überzieht.

Mit Diktatoren sprechen, aber nicht mit den Linken, mutet schon etwas merkwürdig an. Geht es nicht um eine für jede Bundesbürgerin und jeden Bundesbürger eigentlich sehr wichtige Frage, wer künftig ihr Staatsoberhaupt sein soll?

Als politische Entscheidungsträgerin nach Abwägen der unterschiedlichen, teils einander ausschließenden Interessen zu einem Kompromiß zu gelangen, mit dem nicht alle einverstanden sind, ist demokratische Praxis. Doch Merkel macht keine Kompromisse, sie ist von vornherein korrumpiert, wenn sie gar nicht erst mit den parlamentarischen Vertretern von 8,6 Prozent der Bevölkerung über die Wahl des künftigen Staatsoberhaupts sprechen will.

Nun ist die Bundeskanzlerin nicht verpflichtet, sich ein breites Meinungsspektrum in dieser Angelegenheit einzuholen. Aber so wie der Bundespräsident überparteiliches Oberhaupt aller Deutschen sein sollte, stünde es einer Regierungschefin natürlich gut zu Gesicht, keine Lücke zwischen dem, was sie sagt, und dem, was sie tut, zu lassen. Oder aber Merkel sollte umgekehrt rundheraus sagen, daß sie sich keinen Deut um mehrere Millionen Menschen in der Bevölkerung zu kümmern gedenkt. Dann wüßte man, woran man mit ihr ist.

Die Kandidatinnen und Kandidaten der Linkspartei zur Bundespräsidentenwahl haben sich in der Bundesversammlung nie durchgesetzt. Die mangelnde Gesprächsbereitschaft Angela Merkels paßt in die heutige Zeit, in der Deutschland, angefangen vom Bundespräsidenten über die Kanzlerin bis zu ihrem Kabinett sowie die Claqueure in den Medien, zunehmend militaristischere Töne anschlagen, Soldaten im Innern eingesetzt werden sollen und Bundeswehrsoldaten an der Grenze zu Rußland provozierende Manöver durchführen. Weil so ein Großmachtauftreten mit der Linkspartei (noch) nicht zu machen ist und ihre Kandidaten für das Bundespräsidentenamt üblicherweise erklärte Kriegsgegner sind, entfallen die Linken offenbar als "Ansprechpartner" der Kanzlerin. Vielleicht hat das damit zu tun, daß dem Bundespräsidenten die Funktion obliegt, den "Verteidigungsfall" festzustellen. Einen Quertreiber kann Merkel da nicht gebrauchen.


Fußnote:

[1] https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/landtagswahl_mv_2016/Merkel-TTIP-ist-noch-nicht-gescheitert,merkel2308.html

2. September 2016


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