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LAIRE/1335: CRISPR-Cas - finstere Premiere ... (SB)



Ein chinesischer Forscher berichtet, daß erstmals zwei Menschen, deren Keimbahn er nach der CRISPR/Cas9-Methode behandelt hat, zur Welt gekommen sind. Bei einem der beiden Säuglinge wurde angeblich erfolgreich ein Genabschnitt so behandelt, daß HI-Viren nicht mehr in die Zelle eindringen können [1].

Sollte sich diese Behauptung bestätigen, wäre das der Dammbruch, von dem viele Sachverständige behaupten, daß es niemals dazu kommen dürfe - zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt, an dem noch völlig unklar ist, ob man den Geist je wieder in die Flasche bekommt, sobald er einmal freigesetzt ist. Es handelt sich um lupenreine Menschenexperimente, und dieser Logik folgend wäre zu fragen, ob womöglich versucht wurde, das Kind mit HIV zu infizieren, um zu testen, ob der Eingriff geklappt hat.

Ist der Eingriff geglückt, wird die Eigenschaft der HIV-Immunität vermutlich an nachfolgende Generationen weitergegeben. Ob bei den Zwillingen weitere Eigenschaften wie beispielsweise Krebs erzeugt wurden, weiß man nicht.

Die Meldung, daß weltweit erstmalig eine künstlich befruchtete Frau zwei genom-editierte Säuglinge zur Welt gebracht hat, hätte der chinesische Forscher He Jiankui von der Southern University of Science and Technology in Shenzhen (China) terminlich nicht besser plazieren können als diese Woche Montag, nämlich genau einen Tag vor Beginn des Second International Summit on Human Genome Editing (Zweiter internationaler Gipfel zum Humangenom-Editieren) in Hongkong. Bisher wurde das Resultat weder durch andere Forscher bestätigt noch gibt es dazu ein veröffentlichtes Paper. Dennoch haftet der Behauptung Hes eine gewisse Glaubwürdigkeit an, da der an den Universitäten Stanford und Rice in den USA studierte und anschließend nach China zurückgekehrte Humangenetiker kein Unbekannter ist. Er besitzt mehrere Patente für Techniken zur Veränderung von Erbgut und hat zwei biomedizinische Firmen gegründet. Zudem werden seine Experimente in einem Register für klinische Versuche in China aufgelistet [2].

Demnach hat He künstliche Befruchtungen an sieben Elternpaaren vorgenommen, bei denen jeweils der Mann HIV-positiv und die Frau HIV-negativ ist. Die Embryonen wurden so behandelt, daß die Gen-Schere (das Bakterien-Enzym Cas9) das Gen mit der Bezeichnung CCR5 herausschneidet, das eine entscheidende Rolle beim Eindringen des HI-Virus in die Zelle spielt. Ziel war es, das Baby gegen eine HIV-Infektion genetisch zu "impfen". Nach der Modifikation der DNA der Embryonen haben die Forscher (ihrer Einschätzung nach) sichergestellt, daß tatsächlich das Ziel-Gen herausgetrennt wurde, und die gen-editierten Embryonen in die Gebärmutter eingepflanzt. Die beiden einige Wochen alten Zwillinge namens Nana und Lulu sollen gesund und bei ihrer Mutter sein.

Vollständig geklappt hat der Menschenversuch offenbar nicht. In einem der Zwillinge wurden beide Kopien des CCR5-Gens verändert, in dem anderen jedoch nur eine Kopie. Das wußte man schon, als der Embryo noch in der Petri-Schale war. Damit widerspricht He seinem selbsterklärten Ziel, Eltern zu Kindern zu verhelfen, die nicht HIV-infiziert werden können. Man könnte also von einem Menschenversuch innerhalb eines Menschenversuchs sprechen, und es bedeutet vermutlich, daß eines der Mädchen weiterhin HIV-infiziert werden kann, aber daß die Infektion nicht so schnell abläuft.

Auf den sogenannten CCR5-Rezeptor ist man bei der Untersuchung des "Berlin-Patienten" Timothy Ray Brown gestoßen, der über keinen funktionierenden CCR5-Rezeptor verfügt und sich nicht mit dem HI-Virus anstecken kann.

Immer vorausgesetzt, daß sich alles so abgespielt hat, wie He gegenüber der Nachrichtenagentur AP sowie in einem kurzen Video auf Youtube berichtet, waren die Experimente aus verschiedenen Gründen höchst problematisch. Die CRISPR/Cas9-Methode war erst vor sechs Jahren von einer Arbeitsgruppe um die Amerikanerin Jennifer Doudna (University of California, Berkeley) und die Französin Emmanuelle Charpentier (heute Direktorin des Berliner Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie) im Wissenschaftsjournal "Science" vorgestellt worden [3].

Es liegen noch keine Ergebnisse von Langzeitversuchen an menschlichen Zellen vor. Man weiß aber, daß die Gen-Schere unbeabsichtigte Effekte auslösen kann. Sie kann an irgendeiner anderen Stelle des Genoms DNA-Stränge aufschneiden (Off-target-Effekt) oder auch am gleichen Gen immer wieder schneiden (On-target-Effekt), eben so lange, wie die Gen-Schere ihre Wirkung behält. Das kann zwischen mehreren Stunden und einigen Wochen sein.

Wenn hier Begriffe wie Schneiden, Editieren, Genom und Gene sowie Bezeichnungen wie CCR5 verwendet werden, dann wird damit der Eindruck erweckt, als sei die Theorie hinter diesen Anwendungen hinreichend schlüssig, alles in allem verstanden und bringe in der konkreten Umsetzung eindeutige Ergebnisse hervor. Das ist ein Irrtum. Rund 15 Jahre nach der Sequenzierung des menschlichen Genoms gibt es in der Biomedizin nicht einmal Klarheit darüber, was ein Gen ist und wieviele Gene beispielsweise der Mensch besitzt.

Waren Gene lange Zeit als jene Sequenzen im Erbgut definiert worden, die Proteine kodieren, wurde entdeckt, daß auch nicht-kodierende RNA-Moleküle eine wichtige Funktion in den Vorgängen von Zellen erfüllen. Was ein Gen ist und was nicht, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Die Ungewißheit wird auch daran deutlich, daß die Datenbank GENCODE des im britischen Hinxton ansässigen European Bioinformatics Institute (EBI) 19.901 protein-kodierende Gene und 15.779 nicht-kodierende Gene im menschlichen Erbgut gezählt hat. Wohingegen die Datenbank RefSeq des US National Center for Biotechnology Information (NCBI) auf 20.203 protein-kodierende und 17.871 nicht-kodierende Gene kommt [4]. Salopp gesagt, wird auch heute noch im menschlichen Erbgut ziemlich herumgestochert, um fündig zu werden.

Ungeachtet solcher vermeintlichen Nebensächlichkeiten, daß man nicht einmal die Grundlagen seines eigenen Handelns geklärt hat, wurden im Mai 2015 von einem anderen chinesischen Team menschliche Embryonen genom-editiert, allerdings ohne sie heranwachsen zu lassen. Das war der Anlaß dafür, daß im Dezember 2015 die Chinesische Akademie der Wissenschaften, die britische Royal Society, die U.S. National Academy of Sciences (NAS) und die U.S. National Academy of Medicine (NAM) in Washington eine gemeinsame Konferenz - der erste International Summit on Human Genome Editing - abgehalten und zum Abschluß verschiedene Leitlinien vereinbart haben [5].

Unter anderem wurde es als "unverantwortlich" bezeichnet, genomische Eingriffe an menschlichen Embryonen durchzuführen, bevor nicht wesentliche Fragen unter anderem zur Sicherheit der Methode geklärt sind. Solche und weitere Formulierungen sind jedoch breit interpretierbar und bieten keine Gewähr, daß nicht an menschlichen Embryonen geforscht wird. Das geht auch aus der Ad-hoc-Empfehlung des Deutschen Ethikrats zum Thema "Keimbahneingriffe am menschlichen Embryo" vom 29. September 2017 hervor. Darin wird eine "subtile aber gleichwohl bedeutsame Veränderung in der Bewertung ethischer Verantwortbarkeit" in einer Empfehlung eines von der NAS und NAM einberufenen Komitees zum Thema Genome-Editing der menschlichen Keimbahn konstatiert. Es werde von einem "Nicht-Erlauben, solange die Risiken nicht geklärt sind" zu einem "Erlauben, wenn die Risiken besser eingeschätzt werden können" gewechselt [6].

Die Biomedizin ist gewiß nicht der einzige Forschungszweig, in dem ein weltweites Wettrennen der "besten Köpfe" um Forschungserfolge stattfindet. Davon ist das Genom-Editieren jedenfalls nicht ausgenommen. Im Gegenteil. Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna führen schon seit Jahren gerichtliche Auseinandersetzungen mit dem Forscher Feng Zhang vom Broad Institute, einem biomedizinischen und genomischen Forschungszentrum in Cambridge, Massachusetts, um Patentrechte. Dabei geht es um die Frage, wer welche Methode zu welchem Zeitpunkt als erstes entdeckt hat und Patentschutz anmelden darf.

Die Ankündigung Hes erweckt ganz den Eindruck, als wolle er in die Geschichtsbücher eingehen als derjenige, der das klammheimliche Wettrennen um den ersten genom-editierten Menschen gewonnen hat. Unterdessen hat die Southern University of Science and Technology eine Stellungnahme abgegeben, derzufolge sie nicht über Hes Eingriff informiert gewesen sei und auch keine Erlaubnis dazu gegeben habe. Die Forschungen verletzten ethische Standards und akademische Normen, heißt es. Der Forscher sei seit dem 1. Februar 2018 beurlaubt und habe seinen Posten bis Januar 2021 aufgegeben. Nun würden Untersuchungen eingeleitet [7]. Die Rice University wiederum hat Ermittlungen gegen Hes Supervisor Prof. Michael Deem über dessen mögliche Rolle bei diesen Experimenten aufgenommen. Deem ist Mitglied in den Beratergremien der beiden Firmen Hes [8].

Der Ethiker Prof. Julian Savulescu von der University of Oxford bezeichnet das Experiment, falls es wahr sei, als "monströs". Die Embryonen wären gesund gewesen, und das Gen-Editieren könne Off-target-Mutationen auslösen, die früher oder später im Leben zu genetischen Problemen führen und beispielsweise Krebs auslösen könnten [9].

Ähnlich äußerte sich Peter Dabrock, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Der Einsatz von Genome-Editing am menschlichen Embryo sei zum jetzigen Zeitpunkt und beim derzeitigen Stand der Technik in keiner Weise zu verantworten, erst recht nicht ohne einen dringenden medizinischen Grund. Die hier angeblich behandelten Embryonen hätten sich auch ohne einen solchen Eingriff zu gesunden Menschen entwickeln können. Und weiter: "Die Menschheit muss ein Mitspracherecht haben. Immerhin handelt es sich um einen Eingriff in die biologische Grundlage des Menschen. Er betrifft ja nicht nur einen Einzelnen, sondern potentiell alle seine Nachkommen. Kurzum: Bei den Experimenten handelt es sich um unverantwortliche Menschenversuche. Die Politik muss sich auf globaler Ebene endlich des Themas annehmen." [10]

Es war allerdings schon Ende 2015 bei der Konferenz in Washington klar, daß eines Tages Eingriffe am menschlichen Genom gemacht werden und es nur noch eine Frage der Zeit sei, wann dies geschieht. Niemand, der sich mit der CRISPR/Cas9-Methode befaßt, kann durch die aktuelle Ankündigung Hes überrascht worden sein. Und obwohl Länder wie das Vereinigte Königreich und die USA freizügigere Bestimmungen haben als die Bundesrepublik Deutschland, ist es wohl kein Zufall, daß die ersten gen-editierten Menschen in China zur Welt gekommen sind.

Äußerst bedenklich sind die Versuche nicht allein wegen möglicher Nebenwirkungen und Spätfolgen oder weil Lulu und Nana, sollten sie jemals Kinder bekommen, ihnen ihre Genveränderung vererben könnten, sondern weil die Möglichkeit einer derartig tiefgreifenden Menschenmanipulation weitreichende gesellschaftliche Implikationen in sich birgt. Es gilt mehr oder weniger für jeden Staat, aber China ist sicherlich Vorreiter darin, Bürgerinnen und Bürger in ein extrem enges soziales Korsett zu zwängen. Zur Zeit sind die Menschen in mehreren Versuchsregionen einem System unterworfen, bei dem sie soziale Pluspunkte erhalten, wenn sie Wohlverhalten an den Tag legen, und ihnen Punkte vom Konto abgezogen werden, wenn man sich über sie beschwert hat oder sie bei Rot über die Ampel gegangen sind und Ähnliches. Wer einen schlechten Punktestand hat, muß mit erheblichen Nachteilen bei der Wohnungs- und Jobsuche rechnen und darf beispielsweise auch keine Fernreisen machen [11].

Dieses System will China bis 2020 landesweit einführen. Wenn ein Staat eine derartig umfangreiche Sozialkontrolle vornimmt, wird er dann darauf verzichten - sofern es technologisch machbar ist -, Menschen biomedizinisch so zu formen, daß sie die gesellschaftlichen Anforderungen unhinterfragt erfüllen? Wird der Staat nicht regulierend bis in die letzte Zelle der Menschen hinein eingreifen wollen, um Kontrollzuwachs zu erlangen?

Wer hätte vor zehn oder zwanzig Jahren gedacht, daß im heutigen China eine soziale Dystopie verwirklicht wird, bei der Menschen "freiwillig" die Straße fegen, um soziale Pluspunkte zu erlangen, oder umgekehrt mit ihrem Konterfei und ihrer "schändlichen" Punktezahl an den öffentlichen digitalen Pranger gestellt werden, wenn sie sich Fehlverhalten haben zu Schulden kommen lassen? Die mittels Belohnen und Bestrafen fest verankerte Sozialkontrolle spricht dafür, daß der Staat vielleicht in zehn, zwanzig Jahren anfangen könnte, den gleichen Kontrollanspruch nur diesmal nicht mit sozialen, sondern biomedizinischen Züchtigungs- und Zuchtmitteln auszudehnen, um des Menschen bis ins Innerste hinein habhaft zu werden.


Fußnoten:

[1] tinyurl.com/ybp933zm

[2] http://www.chictr.org.cn/showprojen.aspx?proj=32758

[3] http://science.sciencemag.org/content/337/6096/816

[4] https://www.nature.com/articles/d41586-018-05462-w

[5] http://www8.nationalacademies.org/onpinews/newsitem.aspx?RecordID=12032015a

[6] tinyurl.com/ya7ph8ea

[7] https://www.sustc.edu.cn/news_events_/5524

[8] https://theconversation.com/researcher-claims-crispr-edited-twins-are-born-how-will-science-respond-107693

[9] https://www.bbc.com/news/health-46342195

[10] https://www.ethikrat.org/mitteilungen/2018/anwendung-von-keimbahneingriffen-derzeit-ethisch-nicht-vertretbar/

[11] http://www.deutschlandfunkkultur.de/chinas-sozialkredit-system-auf-dem-weg-in-die-it-diktatur.979.de.html?dram:article_id=395126

27. November 2018


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