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LAIRE/1350: Flucht - Ordnung muß sein ... (SB)



Wenn anläßlich des "Tags des Flüchtlings" am 27. September 2019 in zahlreichen Appellen und auf Demonstrationen wieder und, so der Eindruck, mit wachsender Verzweiflung ob der allgemeinen Ignoranz gegenüber diesem Thema (das gewiß kein "Thema" ist ...) für die Aufnahme von Geflüchteten Parolen wie "Kein Mensch ist illegal!" oder "Menschen und Rechte sind unteilbar" ausgegeben werden, dann drückt sich darin ein zutiefst humanitärer Wunsch und die Aufforderung an die Gesetzgebenden aus, Menschen in Not, die ihre Heimat verlassen mußten und sich häufig auf eine lebensgefährliche Reise begeben haben, unterschiedslos aufzunehmen.

Weltweit sind über 70 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Bürgerkrieg, politischer Verfolgung und gesellschaftlicher Diskriminierung. Zwei Drittel der Betroffenen leben in Lagern innerhalb ihres Herkunftslandes. Noch gar nicht eingerechnet ist die Zahl der Menschen, die aufgrund von Naturkatastrophen, der allgemeinen Verelendung der Lebensverhältnisse und des wachsenden Wohlstandsgefälles ihre Heimat verlassen haben.

Begriffe wie Flüchtlinge, Binnenflüchtlinge, Vertriebene, Migrierende und Asylsuchende sind Ausdruck einer administrativen Zuordnung, die zwischen legalen Motiven, weswegen Menschen flüchten, und illegalen Motiven unterscheidet. In dieser Spaltung der Menschen liegt die eigentliche Funktion der Ausdifferenzierung, darin nehmen selbst Hilfsorganisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) eine tragende Rolle ein. Ihr "Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft" gilt auch unter staatlichen Institutionen als maßgeblich. Darin wird auf 155 Seiten juristisch fein abgewogen, wem Flüchtlingsstatus zugestanden werden sollte, woraus sich nicht weniger fein abgewogen ergibt, wem nicht.

Die Appelle des UNHCR, mehr gegen die Fluchtursachen zu unternehmen, wiederholen sich von Jahr zu Jahr wie in einer Endlosschleife. Sie richten sich nur formal an die Staats- und Regierungschefs, ihre eigentliche Adresse verweist nach hinten, in Richtung der Menschen, die flüchten oder in die Lage geraten könnten, flüchten zu müssen oder Geflüchteten helfen wollen. Sie sollen ihren Glauben an und Hoffnung auf den Staat als vermeintlichen Garanten der persönlichen Lebens- und Überlebensvoraussetzungen nicht aufgeben.

Doch erst wenn Menschen das Recht a priori aberkannt wird, von A nach B zu gehen, kommt das Unrecht in die Welt. Flüchtlinge begehen erst dann einen Rechtsbruch, wenn sie die gegen sie errichteten territorialen Grenzen überschreiten. In der grundsätzlichen Verweigerung der bedingungslosen Freiheit des Menschen und umgekehrt dem gewährten Einlaß, also dem Heben des Schlagbaums, zeigt sich die Matrix, in der die gesellschaftliche Ordnung gewoben ist und von der kein Mensch ausgenommen sein darf. In diesem Sinne läßt sich das oben genannte Motto treffend umkehren: Alle Menschen sind illegal!

Sie werden erst dann als legal anerkannt, wenn sie sich dem herrschenden Recht und Gesetz unterworfen haben. Die Initiative vom UNHCR und anderen Institutionen, staatenlosen Menschen zu einem Ausweis und somit einer Staatsangehörigkeit zu verhelfen, widerlegt diese Aussage nicht, sondern bestätigt sie: In dieser Welt sind Menschen per se illegal, mit allen damit verbundenen Nachteilen, es sei denn, sie erhalten einen legalen Status. Dann gehören sie (zu) einem Staat.

Am Ende stellen sich womöglich ganz andere Fragen, als sie mit "legal", "illegal" und anderen rechtsförmigen Zuweisungen berührt werden. An die herrschenden Interessen zu appellieren, sie mögen sich anders verhalten, als sie es tun, bedeutet, ihren Herrschaftsanspruch anzuerkennen. Und damit in letzter Konsequenz auch ihre Praxis, selbst wenn das nicht so gemeint sein sollte. Aber: Nicht an sie oder andere gesellschaftliche Kräfte zu appellieren und statt dessen den Dingen ihren Lauf zu lassen bildet hierzu keinen Ausweg. Diesen Widerspruch auszuhalten, ohne das eigene Anliegen preiszugeben, könnte indes eine Unruhe erzeugen, die sich durch keinerlei Beschwichtigungsbemühungen fesseln läßt.

8. Oktober 2019


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