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LAIRE/1356: CRISPR-Cas - Bioformen nach Programm ... (SB)



Um den chinesischen Wissenschaftler He Jiankui, der vor einem Jahr mittels der Methode des CRISPR-Cas Veränderungen am menschlichen Genom vorgenommen hatte, woraufhin eine künstlich befruchtete Frau Zwillinge zur Welt gebracht hat, ist es still geworden. Doch damit ist der Geist der genexperimentellen Menschenzüchtung aus der Flasche. Indirekt bestätigt wird die Brisanz des Eingriffs, so er denn stattgefunden hat, durch die seitdem von Politik, Wissenschaft und Medizin wiederholt erhobene Forderung, dringend ethische Standards zu vereinbaren, an die sich die Forschung weltweit zu halten habe.

Ungeachtet dieses Regulationsanliegens wird längst weiter an der Manipulation des menschlichen Erbguts geforscht. Begründet wird dies mit vermeintlich unhinterfragbaren Interessen, beispielsweise der Vermeidung von Erbkrankheiten oder auch mit der Behandlung von gefährlichen Infektionen wie HIV/Aids. Genau durch diese vermeintlich nachvollziehbaren Ziele wird die Saat für eine umfängliche Menschenformung gelegt.

So wie robotische Systeme immer menschenähnlicher werden - nicht unbedingt äußerlich, sondern von ihrer Funktion her -, werden Menschen immer roboterähnlicher. Im Sport werden sie zu Höchstleistungen getrieben, im Berufsalltag zu repetitiven, körperlich ruinösen Bewegungen genötigt. Mit dem zielgerichteten Eingriff durch die auch Gen-Schere genannten Methode CRISPR-Cas könnten sogar andere Menschentypen geschaffen werden. Das wäre dann mit weitreichenden gesellschaftlichen Konsequenzen verbunden.

Im genomischen Eingriff an sich ist bereits die Denkweise angelegt, daß Menschen mit den Mitteln und Methoden der Biotechnologie aufgewertet werden können. Im Umkehrschluß bedeutet das, daß HIV-positive Menschen oder Menschen mit Erbkrankheiten als geringerwertig angesehen werden. Auf der Strecke bleiben Fragen wie, wer den Wert festlegt, nach welchen Kriterien die Bewertung vorgenommen wird und welche Interessen damit verfolgt oder eben unterdrückt werden.

Der Humangenetiker He hatte medienwirksam genau einen Tag vor Beginn eines internationalen Kongresses zum Thema Editieren des Humangenoms berichtet, er habe künstliche Befruchtungen an sieben Elternpaaren vorgenommen, bei denen jeweils der Mann HIV-positiv und die Frau HIV-negativ waren. Die Embryonen seien so behandelt worden, daß sie quasi gegen die HIV-Infektion immun sind. Bei einem der beiden zur Welt gekommenen Babys habe die Behandlung angeschlagen. Lulu und Nana, so die Namen der Kinder, seien wohlauf. [1]

Auch wenn sich viele Fachkolleginnen und -kollegen Hes ob seiner Ankündigung entsetzt zeigten, so erfolgte diese Reaktion womöglich insbesondere wegen der Gefahr, daß sich die Öffentlichkeit fortan strikt gegen CRISPR-Cas wenden könnte. In zahlreichen Laboren rund um den Globus wird zumindest die gleiche Richtung der Menschenzüchtung angestrebt oder eingeschlagen, wenngleich nirgends bis zur Vollendung. So weit man weiß.

Beispielsweise kündigte im Juni dieses Jahres der russische Molekularbiologe Denis Rebrikov von der Kulakov-Fertilitätsklinik in Moskau im Journal "Nature" an, er wolle mit dem CRISPR-Werkzeug gen-editierte, HIV-resistente Babys erzeugen. Dazu will er das gleiche Gen mit der Bezeichnung CCR5 verändern, das auch der chinesische Wissenschaftler He verändert hat. Im Oktober sprach Rebrikov gegenüber dem Journal von seiner Absicht, Eltern, die beide von Geburt an taub sind, mittels CRISPR den Wunsch nach Kindern zu verhelfen, an die diese Eigenschaft nicht weitergeben wird. Voraussetzung seiner Versuche sei allerdings, daß er dafür eine Genehmigung erhält. [2]

Das könnte zwar schwierig werden, weil die einflußreiche orthodoxe Kirche das Gen-Editieren ablehnt. Aber selbst wenn es kein russischer Molekularbiologe sein wird, der als nächstes genom-editierte Säuglinge "produziert", der Wunsch, das Begehren und die Absicht, genau das zu tun, sind in seiner Zunft weit verbreitet. Was den ethischen Diskurs betrifft, herrscht die Ansicht vor, daß keine unkalkulierbaren Risiken eingegangen und internationale Standards für die Methode CRISPR-Cas beschlossen werden sollten. Prinzipielle Einwände kommen lediglich von den Kirchen, die ihren Alleingeltungsanspruch auf den Schöpfungsmythos in Frage gestellt sehen, nicht von den an der Forschung Beteiligten selbst.

Typisch für deren Position ist die Aussage des Generaldirektors der Weltgesundheitsorganisation WHO, Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, der gefordert hat, daß "zur Zeit" nicht am menschlichen Genom geforscht werden sollte, solange nicht die technischen und ethischen Implikationen ausreichend abgewogen sind. Und weiter: "Neue Technologien des Genom-Editierens bergen große Versprechen und Hoffnungen für jene, die an Krankheiten leiden, die wir bislang als unbehandelbar angesehen haben. Doch mancher Gebrauch dieser Technologien stellt eine einzigartige und beispiellose Herausforderung dar - ethisch, sozial, regulatorisch und technisch." [3]

Das klingt ganz und gar nicht nach einer Absage an den genomischen Eingriff. Die WHO und andere Institutionen streben lediglich eine Vereinheitlichung an, so daß alle involvierten Forscherinnen und Forscher nach den gleichen "Spielregeln" antreten und nicht, wie He es vorgemacht hat, plötzlich mit Sensationsmeldungen vorpreschen. So etwas würde nur alle anderen, die sich mit ihrer Forschung bislang zurückgehalten haben, ärgern, den Konkurrenzdruck steigern und dazu führen, daß auch in anderen Laboren am Humangenom herumgedoktert wird.

Die in Aussicht gestellten Anwendungsmöglichkeiten von CRISPR-Cas sind immens und betreffen Pflanzen-, Tier- und Menschenzüchtung. Bereits mit dem Versuch, bestimmte Erbkrankheiten zu eliminieren, werden Werte transportiert, die in der Konsequenz vernichtend gegenüber allem somit als "unwert" definiertem Leben sind. Selektion findet nicht nur im Blumentopf statt, sondern auch in der Petrischale. Da CRISPR-Cas immer wieder als "Chance" bezeichnet wird, werden diejenigen, die auf solche dystopischen Implikationen hinweisen, von vornherein ins Aus manövriert.

Was wäre dagegen einzuwenden, wenn dank CRISPR-Cas eines Tages keine Menschen mehr zur Welt kommen, die empfänglich für HIV sind? Wenn niemals mehr blinde und taube Menschen geboren werden? Oder wenn niemand mehr mit dem Erbe von Chorea Huntington, Hämophilie oder dem Down-Syndrom ausgestattet wäre? Wäre das nicht ideal? Oder umgekehrt, wenn Menschen zur Welt kämen, die, gemäß den vorher festgelegten gesellschaftlichen Anforderungen, leidensfähiger sind, so daß sie sprichwörtlich pausenlos Pakete hin und her tragen oder andere industrienormangepaßte Leistungsmerkmale mehr zeigen?

Äpfel und Speisepilze, die nicht braun werden, sobald sie angeschnitten werden, Sojaöl, das nur "gute" Fette enthält, Weizen, der gegen Pilzbefall immun ist, und viele Anwendungen mehr werden absehbar dafür sorgen, daß Pflanzenarten über ganz andere Eigenschaften verfügen als ihre Elternpflanzen, und Hybridarten entstehen, die es in der Form vorher nicht gegeben hat.

Was bedeutet das, übertragen auf die Manipulation des Humangenoms? Es könnten Menschen entstehen, vielleicht nicht im allernächsten Schritt, aber perspektivisch, deren Erbgut sich nicht mehr nur individuell voneinander unterscheidet, sondern das fundamental anders ist, und es könnten eigene Rassen entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen gezüchtet werden. Das kann, muß aber nicht zwingend nur von Staats wegen gefördert werden. Selbstoptimierung und Aufwertung physischer und kognitiver Leistungsmerkmale treibt Menschen in Schule, Sport und Beruf bereits heute zur Einnahme pharmakologischer Enhancer oder Injektion biomedizinischer Dopingmittel. CRISPR-Cas verheißt einen tiefen Zugriff auf die Matrix des Lebens.

In einer mit CRISPR-Cas von genetischem "Unrat" gereinigten Idealwelt würde der nicht nur latent vorhandene Utilitarismus der heutigen Globalgesellschaft extrem auf die Spitze getrieben. Wohingegen in einer Welt, die so beschaffen ist, daß Menschen beispielsweise mit dem Down-Syndrom nicht als minderwertig angesehen werden, nur weil sie nicht in gleicher Weise die Erfordernisse des an industrielle Produktionsabläufe angepaßten Homo oeconomicus erfüllen, CRISPR-Cas gar nicht so attraktiv erschiene wie heute. In so einer Welt wären möglicherweise auch medizinische Verfahren wie die Präimplantationsdiagnostik, die heute dazu dient, unliebsamem Erbgut den Weg zur Lebensentfaltung zu verwehren, gar nicht erst entwickelt worden. Nicht nur der Beginn des Lebens, auch sein Ende könnte in so einer Welt ganz anders aussehen als heute, also ohne das jens-spahnsche Sparmaßnahmenschwert, das derzeit im Gesundheitswesen wütet, und ohne die hubertus-heilsbrecherische Verarmungspolitik im Rentensystems.


Fußnoten:

[1] http://schattenblick.de/infopool/politik/meinung/pola1335.html

[2] https://www.nature.com/articles/d41586-019-03018-0

[3] https://www.who.int/news-room/detail/29-08-2019-who-launches-global-registry-on-human-genome-editing

27. November 2019


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