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LAIRE/1371: Schuldenlast - nur zur Rettung des herrschenden Systems ... (SB)



Die ärmeren Länder verwenden einen erheblichen Teil ihrer Staatseinnahmen darauf, ihre Schulden zurückzuzahlen. Jetzt haben die beiden Finanzinstitutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) vorgeschlagen, daß die Entwicklungsländer ihren Schuldendienst vorübergehend aussetzen dürfen, damit sie mehr Mittel zur Bekämpfung der Coronaviruspandemie zur Verfügung haben. [1]

Der Vorschlag ist nicht so freundlich gemeint, wie er vorgibt zu sein, zeigt sich darin doch eine bewährte Herrschaftspraxis. Ohne solch ein zeitlich befristetes Entgegenkommen müßten Finanzinstitutionen und Geberländer befürchten, daß bei einem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung überhaupt keine Gelder mehr gezahlt werden und darüber hinaus das gesamte System der Schuldenlast in Frage gestellt wird.

Die ärmeren Länder zahlen jährlich rund 50 Milliarden Dollar an unterschiedliche Gläubiger zurück. Aufgrund der Zinsbelastung übersteigt die bereits zurückgezahlte Summe mancher Schuldner die Höhe des ursprünglichen Kredits. Es findet ein ständiger Finanzabzug vom Globalen Süden statt; zugleich müssen sich die Empfängerländer politisch willfährig zeigen.

In den westlichen Medien meint man plötzlich festzustellen, daß die Gesundheitssysteme der afrikanischen Staaten ungenügend entwickelt sind, um die Verbreitung der Sars-CoV-2-Pandemie einzudämmen und an Covid-19-Erkrankte zu heilen. Ganz so, als tauche dieses strukturelle Problem erst jetzt auf und gelte nicht schon bei der Bewältigung von HIV/Aids, Tuberkulose, Malaria, Cholera und anderen Infektionskrankheiten. Und ganz so, als habe der ungenügende Aufbau von Gesundheitseinrichtungen nicht auch mit den Forderungen der Geldgeber an die afrikanischen Regierungen zu tun, die ihre staatlichen Zuwendungen reduzieren sollten. Dazu zählt die Verschlankung der Gesundheitssysteme, die Einführung von Schulgeld, die Senkung der Staatsquote, das Streichen staatlicher Subventionen von Energie und Grundnahrungsmitteln und einiges mehr.

Ecuador ist hierfür ein aktuelles Beispiel. Mit wirtschaftsfreundlichen Maßnahmen war es Präsident Lenín Moreno gelungen, einen IWF-Kredit in Höhe von 4,2 Milliarden Dollar zu ergattern. Im März 2020 hat das Land eine Tranche von 320 Mio. Dollar an den IWF zurückgezahlt, und das in einer Zeit, da laut einem Bericht der tageszeitung in der ecuadorianischen Großstadt Guayaquil Leichen von Covid-19-Verstorbenen am Wegesrand liegen bleiben und 400 Leichen nicht aus privaten Wohnungen abgeholt worden sind. [2]

Jahr für Jahr sterben auf dem afrikanischen Kontinent zig Millionen Menschen, weil sie keinen Zugang zu einer adäquaten medizinischen Versorgung haben. Beispielsweise Malawi. Dort leben 18 Mio. Menschen, und das Land hat nur 25 Intensivbetten und 7 Beatmungsgeräte. Auf 100.000 Menschen kommen zwei Ärzte. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Vor kurzem wurden in Malawi die ersten drei Sars-CoV-2-Infizierten gemeldet.

Doch wie viele Menschen sind dort schon in den letzten Jahren gestorben, weil nicht die für ihre Erkrankung notwendigen Medikamente und Therapien zur Verfügung standen? Haben IWF und Weltbank alles darangesetzt, daß sich diese desolate Lage unverzüglich ändert? Haben sie Malawi geholfen, ein flächendeckendes Gesundheitssystem nach neuestem Stand der medizinischen Forschung aufzubauen? Nein, nichts dergleichen. IWF und Weltbank sowie, nicht zu vergessen, die hinter ihnen stehenden Regierungen verfolgen ganz andere Interessen. Das schließt nicht aus, daß sie hier und da den Bau eines Krankenhauses finanzieren, aber immer auf der Basis, daß sich ein Land verschuldet und anschließend in einer für die Gläubiger komfortablen Schuldabhängigkeit befindet.

Nun appellieren IWF und Weltbank an die G20-Staaten, die Rückzahlungsforderungen an die Entwicklungsländer auszusetzen. Das würde den Ländern dabei helfen, unverzüglich Geld für die Bekämpfung des Coronavirusausbruchs freizusetzen. Ist man in den Chefetagen der beiden Finanzunternehmen auf einmal menschenfreundlich geworden? Wohl kaum.

In den Entwicklungsländern lebt ein Viertel der Weltbevölkerung. Sollten dort einige Staaten kollabieren, könnte das die sowieso absehbare, weltweite Rezession auslösen oder vertiefen. Dann würde offenbar werden, daß es vielleicht doch Alternativen zu dem auf Geld und Tausch beruhenden Wirtschaftssystem gibt und die - vermeintlich freie - Marktwirtschaft an der Frage der Grundsicherung aller Menschen gescheitert ist.

Reihenweise wird zur Zeit der bislang vorherrschende Marktliberalismus durch den Staat "korrigiert". Da besteht vom Standpunkt der Profiteure der bestehenden Ordnung die Gefahr, daß Forderungen nach planwirtschaftlichen Maßnahmen - Bevorratung von Atemschutzmasken, Desinfektionsmitteln und Beatmungsgeräten wären nur der Anfang - auch auf andere Bereiche ausgedehnt werden. Außerdem stehen auf einmal Fragen im Raum wie, warum die Mieten so exorbitant hoch sind und ob nicht Wohnen zur Grundversorgungsleistung eines Staats gehören sollte.

IWF und Weltbank wurden nur deshalb zu ihrem gemeinsamen Appell bewegt, weil durch das Coronavirus grundlegende gesellschaftliche Veränderungen eintreten könnten, die auch vor dem gegenwärtig bevorzugten Geschäftsmodell nicht haltmachen. Es ist sicherlich gut, wenn die Entwicklungsländer unverzüglich mehr Geld zur Verfügung haben und dieses in den Aufbau ihrer Gesundheitssysteme und die Bekämpfung der Coronaviruspandemie stecken. Besser wäre es jedoch gewesen, wenn dies schon vor langer Zeit geschehen wäre. Das war jedoch unter anderem von jenen Institutionen hintertrieben worden, die sich nun für ein Aussetzen der Schuldenrückzahlung aussprechen.


Fußnoten:

[1] worldbank.org/en/news/statement/2020/03/25/joint-statement-from-the-world-bank-group-and-the-international-monetary-fund-regarding-a-call-to-action-on-the-debt-of-ida-countries

[2] https://taz.de/Corona-im-Globalen-Sueden/!5673605/

6. April 2020


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