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DILJA/1153: Kriegsgefahr? Die Bedrohung der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik (SB)


Die Koreanische Demokratische Volksrepublik (Nordkorea) steht nach erfolgtem Atombombentest am Pranger der offiziellen Atommächte

Die Bedrohung der Republik durch die atomare Präventivdoktrin der USA wird gezielt ausgeblendet


Nach oberflächlichstem Studium aktueller Agenturmeldungen scheint die Lage klar zu sein: Die Koreanische Demokratische Volksrepublik (KDVR), in der westlichen Öffentlichkeit "Nordkorea" genannt, hat sich durch den von ihr selbst bestätigten und am Montag, dem 25. Mai 2009 unterirdisch durchgeführten Atomwaffentest eines ebenso schwerwiegenden wie unbezweifelbaren Verstoßes gegen die vom Weltsicherheitsrat 2006 verabschiedete UN-Resolution 1718, die ihr jegliche Tests atomarer Waffen und ballistischer Raketen untersagt, schuldig gemacht. Wer den gesamten Kontext der Beziehungen zwischen dem Weltsicherheitsrat und insbesondere den fünf Vetomächten zu dem kleinen, nach wie vor kommunistischen Land in Ostasien auszublenden und zudem geflissentlich zu ignorieren bereit ist, daß die führende und unanfechtbare Weltmacht USA ihre atomare Präventiv-Doktrin auch unter Präsident Obama fortzusetzen gedenkt und insofern nach wie vor eine höchst akute und keineswegs unplausible Bedrohungssituation für Nordkorea besteht, wird in die vermeintlich einhellige weltweite Empörung mit einstimmen.

Da in der allgemeinen Berichterstattung alles ausgelassen wird, was die Schritte der nordkoreanischen Regierung zumindest nachvollziehbar macht, während gleichzeitig jede ihrer Maßnahmen und Entscheidungen aus einem Blickwinkel dargestellt werden, der die ihr vom Westen zugeschriebene Rolle einer unliebsamen Diktatur und akuten Gefährdung ganz Ostasiens zu bestätigen scheint, fällt gar nicht weiter ins Gewicht, daß Nordkorea, verhielte sich alles so, wie es den internationalen Medien zu entnehmen ist, allem Anschein nach beschlossen haben müßte, politischen wie militärischen Selbstmord zu begehen. So wurde am 15. April vermeldet, daß die Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO "auf Wunsch Nordkoreas" die Überwachung der Atomanlagen des Landes beendet und, nachdem sie alle Siegel von den verschlossenen Räumen innerhalb des Atomkomplexes entfernt hätten, auf Aufforderung der Regierung in Pjöngjang das Land verlassen haben.

Zugleich kündigte Pjöngjang am 14. April die sogenannten Sechser-Gespräche um sein umstrittenes Atomprogramm auf, die Nordkorea zuvor mit den USA, China, Rußland, Japan und dem Bruderstaat Südkorea auf der Basis eines im Februar 2007 geschlossenen Abkommens geführt hatte. In diesem hatten beide bzw. alle sechs Seiten den Verzicht Nordkoreas auf eine atomare Bewaffnung im Gegenzug zu Hilfslieferungen an das von Hungersnöten geplagte Land vereinbart; in dessen Folge waren wesentliche Teile der Nuklearanlagen in Yongbyon bereits unbrauchbar gemacht worden. Nun jedoch, Ende April 2009, erklärte das Außenministerium Nordkoreas, das Land habe mit der Rückgewinnung von Plutonium aus benutzten Kernbrennstäben begonnen. In dem 2008 stillgelegten und teilzerstörten Versuchsreaktor Yongbyon werde, so offizielle Verlautbarungen aus Pjöngjang, die Nuklearforschung wieder aufgenommen. Das Vorgehen des Weltsicherheitsrates wurde als inakzeptable Beleidigung bezeichnet, wobei den Vereinten Nationen vorgehalten wurde, sich der "räuberischen Haltung der USA und Japans" unterworfen zu haben. Den fünf übrigen Teilnehmern an den durch Nordkorea beendeten Sechsergesprächen wurde entgegengehalten, ihnen ginge es allein um die weitere Beschränkung der Souveränität Nordkoreas.

Bereits im Oktober 2006 hatte die Koreanische Demokratische Volksrepublik einen ersten unterirdischen Atombombentest mit Erfolg durchgeführt. Eine Verletzung des Atomwaffensperrvertrages, dem das Land im Jahre 1985 beigetreten war, stellte dieser Versuch nicht dar, hatte Nordkorea doch am 10. Januar 2003 seinen Austritt erklärt, nachdem die USA im Oktober 2002 das Land beschuldigt hatten, sein Atomwaffenprogramm fortzusetzen. Das Vertragswerk erhebt bekanntlich den Anspruch, die Gefahr eines atomaren Infernos zu bannen durch die den (offiziellen) Atommächten auferlegte Verpflichtung, Nuklearwaffen niemals gegen Nicht-Atomstaaten einzusetzen (damit diese sich nicht gezwungen sehen, aus Gründen der Selbstverteidigung selbst atomar aufzurüsten), während die dem Vertrag beigetretenen Nicht-Atomstaaten ihrerseits auf die Entwicklung nuklearer Waffentechnologie verzichten und die Einhaltung dieser Verpflichtung durch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA gegebenenfalls überprüfen lassen, wobei ihnen das Recht auf die zivile Nutzung der Kernenergie ausdrücklich zuerkannt wird.

Die amtliche Nachrichtenagentur Nordkoreas KCNA meldete zu dem jüngsten Atomwaffentest, das Land habe "am 25. Mai erfolgreich einen weiteren unterirdischen Atomtest als Teil seiner Maßnahmen zur Stärkung seiner nuklearen Abschreckung und Selbstverteidigung durchgeführt". Russische Nachrichtenagenturen bestätigten diesen Test am Montag und meldeten unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium, russische Anlagen hätten eine Atomexplosion angemessen, die, so ITAR-Tass, in der Stärke der von den USA auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen 20-Kilotonnen-Bomben entsprochen hätte. Ebenfalls am Montag erfolgten drei Raketentests der nordkoreanischen Armee an der Ostküste des Landes. Am Dienstag wurden zu Testzwecken zwei weitere Raketen, vermutlich eine Boden-Luft- und eine Anti-Schiffsrakete mit Reichweiten von 130 Kilometern, abgeschossen. Das Raketenprogramm Nordkoreas wird von seiten des Westens neben dem Atomprogramm als "große Bedrohung" in der gesamten Region Ostasiens dargestellt.

Aus der Berichterstattung internationaler Medien und Agenturen geht kaum hervor, was die Regierung in Pjöngjang zu all diesen Schritten veranlaßt haben könnte. Wie könnte es um die (nukleare) Bedrohung, der Nordkorea sich ausgesetzt sieht, bestellt sein? Namentlich die USA haben in den 1990er Jahren stets bekundet, niemals Atomwaffen gegen nicht nuklear bewaffnete Staaten, die den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben haben, einzusetzen. Dennoch hatte der frühere US-Präsident Bill Clinton die Direktive PDD-60 unterschrieben, durch die in die US-Liste möglicher Zielländer atomarer Angriffe neben Rußland und China auch als "Schurkenstaaten" diskreditierte Länder wie der Iran, der Irak und eben auch Nordkorea aufgenommen worden waren. Als Begründung wurde angeführt, daß in diesen Ländern atomare, biologische oder chemische Massenvernichtungsmittel herstellt oder gelagert werden würden. Im Fall des Irak ist inzwischen zweifelsfrei erwiesen, daß die Kriegsrechtfertigung der von den USA angeführten Angriffsallianz auf eben zu diesem Zweck angeführten Lügen beruhte.

Was also könnte die nordkoreanische Führung im Oktober 2006 veranlaßt haben, ungeachtet der Tatsache, durch diesen Schritt ihren Gegnern hochwillkommene Steilvorlagen zu liefern, einen ersten Atomwaffentest durchzuführen? Spätestens im Mai des vorangegangenen Jahres (2005) war bekannt geworden, daß der damalige Pentagon-Chef Donald Rumsfeld bereits im Sommer 2004 einen "Interim Global Strike Alert Order" (in etwa: ein einstweiliger Alarmbefehl zum globalen Zuschlagen) erlassen hatte, der sich nicht nur auf den Einsatz konventioneller Präzisionswaffen, sondern auch, wie der Washington Post am 17. Mai 2005 zu entnehmen war, den Einsatz nuklearer Waffen vorsieht. Darin wurde in einem von William M. Arkin verfaßten Artikel offengelegt, daß im Sommer 2004 das US-Strategic Command (Stratcom) durch den "Global Strike"-Befehl angehalten wurde, ein Alarmsystem einzurichten, mit dem "feindliche Länder" rund um den Globus jederzeit angegriffen werden könnten.

Basierend auf einer vom damaligen Präsidenten George W. Bush im Januar 2003 erlassenen Direktive werden in dem Krisenplan Stratcoms laut Washington Post unter der Rubrik "kinetische Präzisionswaffen" konventionelle und nukleare Waffensysteme als Einheit angeführt, und zwar zur Bekämpfung "unmittelbarer Bedrohungen", die von Staaten wie dem Iran, aber auch Nordkorea, ausgehen würden. Mit anderen Worten: Die Behauptung und keineswegs, wie der Krieg gegen den Irak bereits bewiesen hat, eine tatsächliche Bewaffnung mit für die Nichtatomstaaten illegalen Atomwaffen stellt nach US-amerikanischen Militärstrategien eine ausreichende Option für den Ersteinsatz atomarer Waffen dar. Der Washington Post zufolge ist der Einsatz tief in den Boden eindringender taktischer Atomwaffen vorgesehen, wenn US-Geheimdienste von einem bevorstehenden Angriff auf die USA ausgehen oder in einer längeren militärischen Operation gegnerische Anlagen mit konventionellen Waffen nur schwer zerstört werden können.

Wer sich in die Lage der Regierung in Pjöngjang zu versetzen bereit ist, wird, noch dazu angesichts der inzwischen erwiesenen und von US-Präsident Bush selbst eingestandenen Kriegslügen im Irak, wohl ermessen können, daß sich das Land keineswegs vor Angriffen sicher wähnt. In Reaktion auf den 2006 erfolgten ersten Atomwaffentest verabschiedete der Weltsicherheitsrat besagte UN-Resolution 1718, die Nordkorea fürderhin weitere Nukleartests wie auch Tests ballistischer Systeme untersagte. In Hinsicht auf die im Land so dringend benötigten und in Aussicht gestellten Hilfsgüter - Nahrungsmittel und Treibstoff - erklärte sich Nordkorea 2007 bereit, sein Atomprogramm einzustellen. Der Versuchsreaktor Yongbyon wurde 2008 stillgelegt und teilweise zerstört.

Anfang April dieses Jahres hatte der frisch gewählte US-Präsident Barack Obama eine Initiative für eine Welt ohne Atomwaffen angekündigt. Tatsächlich hegen die USA jedoch nicht die geringste Absicht, das eigene atomare Bedrohungspotential abzubauen oder auch nur zu verringern. Wie die Nachrichtenagentur AP am 24. April 2009 unter Berufung auf das Pentagon berichtete, wird derzeit an einem Bericht zur Nuklearstrategie der USA (Nuclear Posture Review) gearbeitet, der 2010 als Grundlage für die US-Militärstrategie der kommenden fünf bis zehn Jahre vorgelegt werden soll. Darin soll zwar von weiteren Rüstungskontrollen zur Reduzierung der Atomwaffenarsenale die Rede sein, nicht jedoch von einer gänzlichen Abschaffung atomarer Waffen. Unter "Beibehaltung eines sicheren Abschreckungspotentials" des US-Militärs sollen demnach andere Staaten zur Abrüstung gezwungen werden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird sich für die nordkoreanische Regierung die Annahme, durch den Wechsel im US-Präsidentenamt in Hinsicht auf die militärische Bedrohungslage einer sicheren Zeit entgegensehen zu können, als Irrtum erwiesen haben.

Zugleich wurde das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Nordkorea und den westlichen Führungsstaaten zusätzlich angeheizt durch eine harsche Reaktion des Weltsicherheitsrates auf einen von Nordkorea am 5. April durchgeführten und drei Wochen zuvor angekündigten Start einer Rakete, mit der ein Kommunikationssatellit in die Erdumlaufbahn gebracht wurde. Mit der Behauptung, dies sei ein als zivile Raumfahrt getarnter Test einer militärischen Langstreckenwaffe gewesen, versuchten die USA, Japan und Südkorea, Nordkorea unter Druck zu setzen. Japan rief umgehend den Weltsicherheitsrat an, der sich aufgrund der zurückhaltenden Reaktionen Rußlands und Chinas, die zur Mäßigung in der eskalierenden Krise aufriefen, zunächst nicht auf eine scharfe Verurteilung Nordkoreas einigen konnte.

Schon beim NATO-Gipfel in Strasbourg hatte US-Präsident Obama dem ostasiatischen Land Strafmaßnahmen angedroht für den Fall, daß es den angekündigten Start einer Fernmeldesatellitenrakete durchführen würde. Nach einer ersten Dringlichkeitssitzung konnten sich die USA, deren UN-Botschafterin Susan Rice die durch nichts bewiesene Behauptung, bei dem Start der Trägerrakete habe es sich um einen nach Resolution 1718 verbotenen Langstreckentest gehandelt, mit ihrer Forderung nach einer Verurteilung und noch schärferen Sanktionierung Nordkoreas noch nicht durchsetzen. Zehn Tage später wird dann allerdings doch eine weitere Resolution des Weltsicherheitsrates verhängt, in der der Start der nordkoreanischen Rakete als Verletzung von Resolution 1718 bezeichnet wird. Nie zuvor habe der Weltsicherheitsrat einen solchen Satellitenstart verurteilt, hieß es dazu aus Pjöngjang. Die Frage, ob es sich bei dieser Rakete um eine Langstreckenwaffe gehandelt habe oder nicht, wird in dieser Sicherheitsraterklärung offen gelassen. Die USA fordern Nordkorea auf, seine "provokativen Drohungen" einzustellen.

In Reaktion auf diese Ereignisse und die Haltung des Weltsicherheitsrates in der Frage des am 5. April gestarteten Kommunikationssatelliten hat die nordkoreanische Regierung allem Anschein nach beschlossen, den mit den Sechsparteien-Gesprächen und den Inspektionen der IAEO eingeschlagenen Verhandlungsweg zu beenden. Die offen erklärte und inzwischen durchgeführte Absicht, das Atomwaffenprogramm wieder aufzunehmen, wird von den führenden Weltsicherheitsratsmitgliedern, die allem Anschein nach ihrerseits solche Reaktionen provoziert haben, nun aufs Allerschärfste verurteilt. US-Präsident Obama hielt Nordkorea vor, die internationale Gemeinschaft rücksichtslos herauszufordern und den Frieden zu gefährden. Der jüngste Test sei eine "Gefährdung der ganzen Welt", so Obama, der zudem eine "starke Antwort" der USA ankündigte. Bundeskanzlerin Merkel verlangte, der "Verselbständigung des nordkoreanischen Handelns" müsse ein Ende gesetzt werden. Rußland und China, die in der Frage des Kommunikationssatelliten noch eine etwas moderatere Position bezogen hatten, bekundeten ihre Bereitschaft, im Weltsicherheitsrat eine "harte" Resolution gegen Nordkorea mitzutragen.

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, erklärte, Nordkorea werden "den Preis zahlen" müssen, wenn es "weiterhin die internationale Gemeinschaft provoziert". In einer von den 15 Ratsmitgliedern in völliger Einhelligkeit und kürzester Zeit verabschiedeten Erklärung des Weltsicherheitsrates wurde eine "entschiedene Opposition" zum Vorgehen Nordkoreas zum Ausdruck gebracht. Der amtierende Ratspräsident, der russische UN-Repräsentant Vitali Tschurkin, stellte zudem klar, daß es sich bei dieser Erklärung nur um eine erste Stellungnahme handelt: "Dies ist noch nicht alles, sondern nur ein Signal dafür, in welche Richtung wir steuern." Am Dienstag wurde in der nordkoreanischen Zeitung Rodong Sinmun hingegen der Vorwurf der Kriegstreiberei gegen die USA erhoben. Washington schüre die Spannungen und bereite einen Angriff vor, so die Zeitung.

Der südkoreanische Präsident Lee Myung Bak teilte nach einem Telefonat mit Obama seinen Landsleuten mit, dieser habe ihn gebeten, sie daran zu erinnern, daß das starke Militär der USA sowie deren atomarer Schutzschild Südkorea gegen die Bedrohungen Nordkoreas schützen werden. Zugunsten Nordkoreas gibt es nicht das geringste Schutzversprechen, und da Pjöngjang sich nun schwerer Verfehlungen gegen UN-Resolutionen schuldig gemacht hat, wie leicht festzustellen ist, wenn man nur die Bedrohungen, die allein seitens der USA und ihrer durchaus präventiven Nuklearstrategien für Staaten wie Nordkoreas bestehen, außer acht läßt, steht das Land auf internationaler Bühne isolierter denn je da.

Wer noch immer argwöhnt, die Nordkoreaner hätten doch keinen wirklichen Grund, sich durch die westliche Führungsmacht USA bedroht zu fühlen, sei an die Ereignisse des Jahres 1994 erinnert, bei denen - nach Angaben des damaligen südkoreanischen (!) Präsidenten Kim Young-Sam dieser seinen US-amerikanischen Amtskollegen Clinton nur mit größter Mühe von der Absicht, in Korea erneut Krieg zu führen, abbringen konnte, wie folgender, im Schattenblick im Jahre 2000 veröffentlichter Textpassage [1] zu entnehmen ist:

Als 1994 der nordkoreanische Staatsgründer Kim Il Sung verstarb und das im Westen als kommunistische Bastion geächtete Land sich nach Auffassung seiner politischen Gegner in einer "ideologischen Krise" befand, bereiteten die USA nach Aussagen des damaligen südkoreanischen Präsidenten einen Angriff auf den nördlichen Bruderstaat vor. Im Sommer 1994 waren die Beziehungen zwischen den beiden Koreas durch die Behauptung belastet worden, der Nordstaat hätte in seinem Yongbyon-Kernkraft-Komplex einsatzfähige Atomwaffen entwickelt. Diese angebliche atomare Bedrohung des Südens durch den Norden wurde vor allem in der US-amerikanischen Presse angeheizt, verschwand dann jedoch ebenso rasch wieder von der Tagesordnung, wie sie zuvor mit wohldosiertem Kalkül lanciert worden war.

Einen aufschlußreichen Hinweis darauf, was damals hinter den Kulissen tatsächlich vor sich gegangen sein mag, ist der Juni-Ausgabe der deutschen Zeitschrift "Geheim" (Nr. 2/2000) zu entnehmen. In deren Meldung, die sich auf einen Bericht der Nachrichtenagentur afp bezieht, heißt es unter dem Titel "Nuklearkatastrophe in letzter Minute gestoppt", daß Südkoreas Präsident Kim Young-Sam im Juni 1994 den amerikanischen Präsidenten Bill Clinton nur mit äußerster Anstrengung davon abbringen konnte, einen Luftangriff auf nordkoreanische Atomanlagen fliegen zu lassen.

Der afp-Bericht, der in der westlichen Presse ohne das geringste Echo verhallte, geht seinerseits auf ein Interview zurück, das der ehemalige südkoreanische Präsident mit der unabhängigen südkoreanischen Tageszeitung "Hankyoreh" geführt hat. Darin soll Kim Young-Sam geschildert haben, wie er im Juni 1994 in einem halbstündigen Telefonat den US-Präsidenten von dessen Angriffsplänen nur in buchstäblich "letzter Minute" habe abbringen können. "Zu diesem Zeitpunkt war die Situation wirklich gefährlich", so der ehemalige Präsident Südkoreas über seinen telefonischen Kampf mit dem eigentlich verbündeten US-Präsidenten gegen einen erneuten Krieg, den die Clinton-Administration nach seinen Worten schon vorbereitete. "Clinton versuchte mit allen Mitteln, dass ich meine Meinung änderte, aber ich kritisierte die Vereinigten Staaten dafür, dass sie auf dem Territorium unseres Landes einen Krieg mit den Norden planten", so Kim Young-Sam in besagtem Zeitungsinterview (laut "Geheim" 2/2000, S. 13).

Der Verdacht, daß auch in der gegenwärtigen Krise Weichenstellungen in Hinsicht auf einen Krieg bereits erfolgt sein könnten, läßt sich nicht gänzlich von der Hand weisen. Im Jahre 2003 - dem Jahr, in dem der Irak angegriffen wurde - entwickelten die USA auch eine Initiative gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen (PSI). Die daran teilnehmenden Staaten mandatierten sich selbst dazu, "verdächtige" Schiffe zu kontrollieren. Südkorea hat sich an PSI bislang nur als ein Beobachter beteiligt nicht zuletzt deshalb, weil der Bruderstaat im Norden, mit dem es in den zurückliegenden Jahren einen Kurs der vorsichtigen Annäherung gegeben hatte, klargestellt hat, daß eine Vollmitgliedschaft Südkoreas bei PSI als Kriegserklärung gegen Nordkorea aufgefaßt werden würde.

Diesen Schritt hat Seoul nun allerdings - in Reaktion auf den jüngsten Atomtest sowie die Raketentests des nordkoreanischen Militärs - vollzogen mit der Folge, daß Nordkorea umgehend erklärte, sich an den 1953 zur Beendigung des Krieges zwischen den beiden koreanischen Staaten vereinbarten Waffenstillstand - ein Friedensvertrag zur völkerrechtlichen Beilegung des Kriegszustandes wurde nie geschlossen - nicht mehr gebunden zu fühlen. Wie ein Sprecher des nordkoreanischen Militärs laut KCNA am Mittwoch erklärte, würde nun jeder "feindliche Akt gegen unsere Republik", worunter auch jede Durchsuchung oder Beschlagnahme eines nordkoreanischen Schiffes fallen würde, einen "starken Militärschlag" nach sich ziehen. Nordkorea könne, so hieß es desweiteren, die Sicherheit südkoreanischer und amerikanischer Schiffe entlang der innerkoreanischen Seegrenze im Gelben Meer nicht mehr garantieren.

Sollte es zutreffend sein, daß westliche Staaten einen Systemwechsel in Nordkorea mit letzten Endes militärischen Mitteln zu erzwingen gewillt sein, könnte die gegenwärtige, von weltweiter Empörung gegen das "Regime" in Pjöngjang getragene Krise das Ergebnis einer systematisch eingefädelten Provokationsstrategie sein. Schon Anfang April, als Nordkorea den angekündigten Start eines Kommunikationssatelliten durchführte, hatten die USA und Japan bereits Kriegsschiffe in der Region in Stellung gebracht. Ein kleiner "Zwischenfall" würde bei den nun bereits vollzogenen Bereitstellungen genügen, um einen Krieg zu entflammen, der vor der Weltöffentlichkeit selbstverständlich damit begründet werden würde, die Menschen in Südkorea und Japan zu verteidigen, und an dem die Koreanische Demokratische Volksrepublik mit Sicherheit nicht das geringste Interesse haben kann.

[1] Im Schattenblick unter POLITIK\MEINUNGEN am 26. Juli 2000 unter "DILJA/114: Nordkorea 1994 einem US-Luftangriff nur knapp entronnen" veröffentlicht

28. Mai 2009