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DILJA/1191: Militäroffensiven, Luftangriffe, Vertreibung - der erzwungene Krieg Pakistans (SB)


Unter dem Label "Antiterrorkrieg" führt Pakistan einen aufgezwungenen Krieg im eigenen Land

Die pakistanische Bevölkerung hat gleichwohl mehrheitlich in den USA die Bedrohung Nr. 1 erkannt


Am 1. Juli 2009 wurden in Pakistan die Ergebnisse einer von der University of Maryland (USA) in der Zeit zwischen dem 17. und 28. Mai durchgeführten Befragung veröffentlicht. Demnach hätten 81 Prozent der pakistanischen Bevölkerung bekundet, die "Taliban" seien die größte Bedrohung des Landes, und immerhin 70 Prozent der Befragten hätten sich einverstanden gezeigt mit der seinerzeit bereits angelaufenen militärischen Großoffensive der pakistanischen Streitkräfte im Nordwesten des Landes. Ungeachtet der offenen Frage, ob die US-amerikanischen Befrager durch suggestive Fragestellungen und Formulierungen bei der Generierung derartiger, für Washington höchst genehmer "Meinungsumfragen" tief in die Trickkiste manipulativer Techniken gegriffen haben oder nicht, bliebe anzumerken, daß ein solches Votum, wäre es tatsächlich in dieser Art und in diesem Umfang abgegeben worden, nicht mehr und nicht weniger bestätigen würde als die Effizienz regierungsamtlicher Propaganda für einen Krieg im eigenen Lande, der der pakistanischen Regierung aufgenötigt worden ist.

Im Befragungszeitraum war die Offensive bereits angelaufen, hatte jedoch noch nicht das in der Geschichte Pakistans bislang einmalige Ausmaß der Vertreibung von rund 3,4 Millionen Menschen erreicht mit einem aufgrund der noch immer wirksamen Medienzensur - ausländische Berichterstatter werden vom Kampf- bzw. Flüchtlingsgebiet ferngehalten - völlig unabsehbaren Ausmaß menschlicher Nöte, Mangellagen und Tragödien. Gegen drei Bezirke in der Nordwest-Grenzprovinz hatten die pakistanischen Streitkräfte ihre auf die Vertreibung, um nicht zu sagen Auslöschung der Taliban abzielende Großoffensive "Rah-e-Rast" Ende April begonnen (gegen den Bezirk Untere Dir am 26. April, gegen Buner am 28. April und gegen den als Taliban-Hochburg eingeschätzten Bezirk Swat am 8. Mai). In Swat hatte die Armee bereits Ende 2007 mit ebenfalls 15.000 Soldaten eine Offensive gegen Taliban-Kämpfer, deren Zahl offiziell mit 500 angegeben worden war, durchgeführt mit der Folge, daß mehrere hunderttausend Menschen vertrieben wurden. In diesem Jahr gingen die Streitkräfte auf vergleichbare Weise vor, obwohl der schon 2007 vorgeschobene Zweck, die Taliban vertreiben und/oder vernichten zu wollen, nicht erreicht worden war - deren Zahl soll sich in der Folgezeit noch verzehnfacht haben.

Unter dem Label "Anti-Taliban"-Kampf wurde in den zurückliegenden Monaten dieses Jahres eine ungleich größere und noch weitaus folgenschwerere Militäroffensive durchgeführt, die wohl nicht zufällig in die Amtszeit des neuen US-Präsidenten Barack Obama fällt. Das Vorgehen des Militärs könnte, sieht man von der angeblichen Taliban-Bekämpfung einmal ab, als nahezu todsicheres Mittel bewertet werden, um Pakistan von seinen nordwestlichen Gebieten ausgehend in einen langjährigen und nahezu unauflösbaren Bürgerkrieg zu manövrieren. Das Friedensabkommen, das die drei noch im Frühjahr unter der Kontrolle der Taliban stehenden Distrikte Swat, Buner und Dir mit der Provinzregierung in Peshawar geschlossen hatten, wurde durch die Offensive hinfällig. Mit den Stammesführern und Milizenchefs der Nordwest-Grenzprovinz Absprachen und Vereinbarungen zu treffen, die im Minimum den Ausbruch offener (Bürger-) Kriegshandlungen verhindern, ist keine Erfindung der letzten Jahre, sondern hatte sich schon als probates Mittel britischer Kolonialherren früherer Tage erwiesen.

Der jetzige Präsident Pakistans, Asif Ali Zardari, scheint jede Hemmung oder auch nur taktische Zurückhaltung, die nicht unkomplizierte Lage im Nordwesten des Landes zumindest nicht weiter eskalieren zu lassen, längst verloren zu haben. So wurden durch die jüngste Großoffensive Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und einem völlig ungewissen Schicksal überantwortet. Zardari ließ es bei dem Vertreibungskrieg gegen die drei genannten Distrikte, den er sich nicht scheute, als "totalen Krieg" zu bezeichnen, nach dessen erfolgreichem Abschluß nicht bewenden, sondern weitete die Kampfhandlungen bereits Anfang Juni auf die Region Südwasiristan aus. Zu diesem Zeitpunkt hatte Generalmajor Athar Abbas erklärt, daß die Vertreibung der Taliban aus dem nordwestpakistischen Swat-Tal nur der erste Schritt in einem Prozedere sei, das er einen "Normalisierungsprozeß" nannte.

Bei ihren Vertreibungsoffensiven gehen die pakistanischen Militärs in der Regel so vor, daß sie zunächst die Bevölkerung über Flugblätter, Lautsprecher und Radio binnen weniger Stunden zum Verlassen ihrer Wohnungen und Häuser aufrufen. Diesen Ankündigungen folgen Luftangriffe und Ausgangssperren, die nach wenigen Tagen die zurückgebliebenen Bewohner in größte Not bringen, da sie sich, zumal auch die Wasser- und Stromversorgung abgestellt wird, nicht mehr mit dem Lebensnotwendigsten versorgen können. Sobald dann die Ausgangssperre aufgehoben wird, ergreift der verbliebene Rest der Bevölkerung gezwungenermaßen doch die Flucht. Die völlig absehbare und einkalkulierte Flüchtlingskatastrophe stellt einen keineswegs unerheblichen Bestandteil der Kriegs- und Vertreibungsstrategie dar. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon warnte denn auch am 1. Juni vor einer "destabilisierenden Sekundärkrise" und erklärte, daß das menschliche Leid der Flüchtlinge "ungeheuer groß" sei.

Tatsächlich hatten weder die pakistanische Regierung noch die westlichen Staaten, die sie zu dieser Offensive verleitet, um nicht zu sagen genötigt hatten, auch nur die mindesten Vorkehrungen für den Transport sowie die Versorgung und Unterbringung der Vertriebenen getroffen. Namentlich die US-Regierung unter Präsident Barack Obama ließ jede nennenwerte Hilfe bei der Bewältigung des Flüchtlingselends vermissen, obwohl - oder gerade weil? - sie die pakistanischen Militärs und Politiker zuvor unter Druck gesetzt hatte. Die pakistanische Regierung hatte die Großoffensive als einen "Krieg um ihr eigenes Überleben" bezeichnet, den Pakistan nicht verlieren könne. "Wir können uns nicht erlauben, den Krieg zu verlieren, und wir werden ihn mit Gottes Hilfe gewinnen. Anderenfalls steht das Überleben des Landes auf dem Spiel", hatte Premierminister Jusaf Rasa Gilani seinerzeit erklärt.

Da die USA seit 2003 ihren "Verbündeten" Pakistan mit zunehmenden Druck zu einem immer aggressiveren und die bestehenden Vereinbarungen mit der Nordwest-Grenzprovinz sowie den Stammesgebieten verletzenden Vorgehen verleitet haben, könnte sich hinter diesen Worten eine noch massivere Drohung Washingtons verbergen dergestalt, daß Islamabad mehr oder minder unverhohlen mit Krieg seitens der US-Streitkräfte gedroht wird, sollte die pakistanische Armee den sogenannten Antiterrorkampf nicht in einer von Washington als zufriedenstellend bewerteten Weise zu führen bereit sein. Insofern kann nicht ausgeschlossen werden, daß Premierminister Galani mit seiner Behauptung, es ginge bei dieser Großoffensive um das Überleben Pakistans, nicht einfach nur Kriegspropaganda betreibt, in dem er die Taliban zu einer angeblich die ganze Nation gefährdenden Bedrohung aufbaut, sondern, wenn auch indirekt, die Zwangslage seiner Regierung auf den Punkt zu bringen versucht hat.

In der pakistanischen Bevölkerung hat, will man weiteren Umfrageergebnissen Glauben schenken, ohnehin ein erheblicher Meinungsumschwung stattgefunden. Einer im Auftrag des arabischen Senders Al-Dschasira von dem mit dem US-amerikanischen Gallup-Institut verbundenen "Gallup Pakistan" durchgeführten Befragung nach glauben nur noch sehr wenige Pakistani an die regierungsamtliche Lesart, derzufolge der Krieg gegen die islamische Bedrohung im Nordwesten des Landes zur Sicherung der Existenz der ganzen Nation geführt werde. Doch nicht nur das. Der am vergangenen Wochenende veröffentlichten Umfrage zufolge akzeptieren nur neun Prozent der pakistanischen Bevölkerung die im Land von den US-Streitkräften durchgeführten Drohnen-Angriffe. 67 Prozent der Befragten lehnen jegliche Operation des US-Militärs auf pakistanischem Territorium ab. Befragt nach der mußtmaßlichen Bedrohungslage ergab sich ein nach US-amerikanischen Maßstäben nicht minder katastrophales Bild, denn nur elf Prozent vertraten die Auffassung, daß "die Taliban" die größte Bedrohung Pakistans seien, während 18 Prozent den benachbarten Erzfeind Indien und eine klare Mehrheit von 59 Prozent die USA als größte Bedrohung bezeichneten.

Die wohllancierte Behauptung, "ganz Pakistan" unterstütze die Militäroffensive gegen die Taliban, ließ sich durch diese Umfrage ebenfalls nicht bestätigen. Demnach hatten sich immerhin noch 41 Prozent mit dem militärischen Vorgehen einverstanden erklärt, während 43 Prozent Verhandlungen mit den Taliban bevorzugten. Schlecht abgeschnitten hat auch Präsident Asif Ali Zardari, mit dessen Politik nur elf Prozent der Befragten einverstanden waren, während 42 Prozent erklärten, er leiste "schlechte Arbeit". Zardari, der als Präsident von US-amerikanischen Gnaden gelten kann, verfügt in Pakistan über keine zuverlässige politische Basis; augenscheinlich sehen nicht einmal die westlich orientierten Eliten des Landes in ihm einen kompetenten Vertreter ihrer spezifischen Interessen.

Nun dürfen Umfragen und Statistiken, so man sie, um es mit Churchill zu sagen, nicht selbst gefälscht hat, so oder so nicht überbewertet werden. Das Dilemma Pakistans, nach dem Amtsantritt Barack Obamas und der seitdem forcierten Afpak-Strategie, wie die Ausweitung des US-Krieges von Afghanistan auf das eigentlich mit Washington verbündete Pakistan kurz umschrieben wird, noch zugespitzt, liegt jedoch ohnehin auf der Hand. Es mehren sich die Stimmen, die keineswegs grundlos oder unplausibel argwöhnen und befürchten, daß Pakistan durch den ihm mehr oder minder aufgezwungenen "Antiterror"- Kampf in ein Bürgerkriegsland verwandelt werden soll, was es dem US-Militär dann ermöglichen würde, hochoffziell als vermeintliche Befriedungs- oder Ordnungstruppe in das Land vorzudringen. Diese Auffassung vertritt unter anderem Akram Zaki, der zwischen 1997 und 2002 dem Senat in Islamabad angehörte und seit den 1950er Jahren für sein Land als Diplomat, so unter anderem auch als Botschafter in den USA, tätig war. So zeigte er in einem in der jungen Welt veröffentlichten Interview [1] die Zusammenhänge, die seiner Auffassung nach die Gefahr einer US-amerikanischen Invasion in Pakistan in sich bergen, folgendermaßen auf:

Wiederholte Behauptungen, Al-Qaida-Führer, einschließlich Osama bin Laden, versteckten sich in Pakistan, bergen die Gefahr der Verletzung der territorialen Integrität. Obamas Konzept deutet an, daß die USA auch unser Territorium als Kriegsgebiet betrachten. Eine Invasion in Pakistan wäre ein großer Fehler.

Zaki stellt die Situation seines Landes in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Nachbarland Afghanistan:

Die USA haben den Krieg in Afghanistan nahezu verloren. Während US-Präsident Barack Obama am Rückzug aus dem Irak bastelt, schickt er immer mehr Truppen nach Afghanistan und verlängert mit der Strategie "Af Pak" den Feldzug. Als die USA seinerzeit in Vietnam verloren, griffen sie Kambodscha am. Dann mußten sie in Schande gehen. Wenn sie den gleichen Fehler in unserer Region wiederholen, wird das Ergebnis ähnlich sein.

Und schließlich bringt der pakistanische Ex-Diplomat zur Sprache, was in Pakistan sehr viele Menschen gegen die USA aufbringt. Auf die Frage, ob nicht US-Raketenangriffe auf pakistanische Dörfer als Invasion zu werten sind, erklärte er:

Die Drohnenangriffe, so wird behauptet, richten sich gegen Al-Qaida, jedoch sind die meisten der Toten und Verletzten Zivilisten, insbesondere Frauen und Kinder. Die Menschen in Pakistan empfinden diese Überfälle als Aggression.

Am Dienstag dieser Woche sind im Nordwesten des Landes abermals zehn Menschen durch einen solchen Angriff US-amerikanischer Drohnen getötet worden. Seit dem Sommer des vergangenen Jahres und mehr noch nach dem Amtsantritt Barack Obamas haben die US-Streitkräfte diese mittels unbemannter und mit mehreren Raketen bestückten Flugkörper, die noch dazu von einer CIA-Zentrale in Afghanistan oder den USA selbst koordiniert werden, durchgeführten Angriffe auf pakistanisches Territorium noch intensiviert. Alles Bitten und Betteln, eine andere Handhabe haben pakistanische Offizielle ohnehin nicht, aus Islamabad half nichts.

Die Einwände ihrer "Verbündeten", daß diese Angriffe nicht nur die Souveränität Pakistans verletzen, sondern die Bevölkerung gegen die Regierung in Islamabad, der völlig zu Recht zum Vorwurf gemacht wird, mit einer ausländischen Streitmacht zu kooperieren, die immer wieder das Land angreift und Menschen tötet, aufbringt, verhallten wirkungslos. Da der jetzigen US-Regierung noch weniger als ihrer Vorgänger-Administration unterstellt werden kann, sie handele aus Unkenntnis dieser im Grunde leicht zu erfassenden Zusammenhänge, liegt die Schlußfolgerung nahe, daß Washington nicht nur eine Destabilierung Pakistans in Kauf nimmt, sondern sogar höchst aktiv auf eine Bürgerkriegssituation hinarbeitet, um den US-amerikanischen Hegemonialkrieg in Eurasien von Afghanistan auf Pakistan vollends ausweiten zu können.

[1] "Invasion in Pakistan wäre ein großer Fehler". USA und NATO haben den Krieg in Afghanistan nahezu verloren. Die Ausweitung der Kampfzone auf das Nachbarland ist nicht hinnehmbar. Ein Gespräch mit Akram Zaki, von Jürgen Cain Külbel, junge Welt, 14.08.2009, S. 3

14. August 2009